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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XIV.
men seinen Leib und begruben ihn und kamen
und verkündigten es Jesu.
So abgeschlachtet also
wird im dunkeln der Lehrer Gottes, der Zeuge der Wahr-
heit, der Täufer des Herrn. Er wird das Opfer einer
Ehebrecherinn. Ehebruch der Herodias legte ihn in
Fesseln -- und schlug ihm das Haupt ab. Alle Sün-
de tödtet -- wie das sittliche Gefühl, so die lebendigen
Menschen. Wer vorsetzlich in Einer Sünde lebt, hat
allen Arten von Lasterthaten die Herrschaft über sich
eingeräumt. Man weiß nicht mehr, wo man stillstehen
soll, wenn man Einmal sich auf die Strasse der Gewis-
senlosigkeit begeben hat. Kein Mensch würde sündigen
können, wenn er die Sündenheere sähe, die Ein Laster
gebiehret. Es heißt an einem andern Orte von Hero-
Marci VI.
20.
des in Ansehung des Johannes: Herodes furchte ihn,
denn er wußte daß er ein frommer und heiliger
Mann war, und gehorchte ihm in vielen Sachen,
und hörete ihn gerne.
Er tödtet also wissentlich ei-
nen frommen und heiligen Mann. Noch hörbar sagte
ihm ein unübertäubliches Etwas in seiner Brust: "Du
&q;bist ein Mörder der Unschuld und Frömmigkeit! Er,
&q;der dem Blute nachfrägt, wird deiner eingedenk,
&q;und ein schneller furchtbarer Zeuge wider dich seyn. Der
&q;Tod seiner Geheiligten ist theuer in den Augen des Herrn.
&q;Dieß Blut wird von deiner Hand gefordert werden." --
Aber! Er wandte sein Ohr ab von der Stimme der
Wahrheit. Ein günstiger oder ungünstiger Blick einer
Ehebrecherin galt ihm mehr, als der Beyfall Gottes und
seines Gewissens. Schnell war die entsetzliche That voll-

bracht!

Matthäus XIV.
men ſeinen Leib und begruben ihn und kamen
und verkündigten es Jeſu.
So abgeſchlachtet alſo
wird im dunkeln der Lehrer Gottes, der Zeuge der Wahr-
heit, der Täufer des Herrn. Er wird das Opfer einer
Ehebrecherinn. Ehebruch der Herodias legte ihn in
Feſſeln — und ſchlug ihm das Haupt ab. Alle Sün-
de tödtet — wie das ſittliche Gefühl, ſo die lebendigen
Menſchen. Wer vorſetzlich in Einer Sünde lebt, hat
allen Arten von Laſterthaten die Herrſchaft über ſich
eingeräumt. Man weiß nicht mehr, wo man ſtillſtehen
ſoll, wenn man Einmal ſich auf die Straſſe der Gewiſ-
ſenloſigkeit begeben hat. Kein Menſch würde ſündigen
können, wenn er die Sündenheere ſähe, die Ein Laſter
gebiehret. Es heißt an einem andern Orte von Hero-
Marci VI.
20.
des in Anſehung des Johannes: Herodes furchte ihn,
denn er wußte daß er ein frommer und heiliger
Mann war, und gehorchte ihm in vielen Sachen,
und hörete ihn gerne.
Er tödtet alſo wiſſentlich ei-
nen frommen und heiligen Mann. Noch hörbar ſagte
ihm ein unübertäubliches Etwas in ſeiner Bruſt: „Du
&q;biſt ein Mörder der Unſchuld und Frömmigkeit! Er,
&q;der dem Blute nachfrägt, wird deiner eingedenk,
&q;und ein ſchneller furchtbarer Zeuge wider dich ſeyn. Der
&q;Tod ſeiner Geheiligten iſt theuer in den Augen des Herrn.
&q;Dieß Blut wird von deiner Hand gefordert werden.„ —
Aber! Er wandte ſein Ohr ab von der Stimme der
Wahrheit. Ein günſtiger oder ungünſtiger Blick einer
Ehebrecherin galt ihm mehr, als der Beyfall Gottes und
ſeines Gewiſſens. Schnell war die entſetzliche That voll-

bracht!
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[198[218]/0226] Matthäus XIV. men ſeinen Leib und begruben ihn und kamen und verkündigten es Jeſu. So abgeſchlachtet alſo wird im dunkeln der Lehrer Gottes, der Zeuge der Wahr- heit, der Täufer des Herrn. Er wird das Opfer einer Ehebrecherinn. Ehebruch der Herodias legte ihn in Feſſeln — und ſchlug ihm das Haupt ab. Alle Sün- de tödtet — wie das ſittliche Gefühl, ſo die lebendigen Menſchen. Wer vorſetzlich in Einer Sünde lebt, hat allen Arten von Laſterthaten die Herrſchaft über ſich eingeräumt. Man weiß nicht mehr, wo man ſtillſtehen ſoll, wenn man Einmal ſich auf die Straſſe der Gewiſ- ſenloſigkeit begeben hat. Kein Menſch würde ſündigen können, wenn er die Sündenheere ſähe, die Ein Laſter gebiehret. Es heißt an einem andern Orte von Hero- des in Anſehung des Johannes: Herodes furchte ihn, denn er wußte daß er ein frommer und heiliger Mann war, und gehorchte ihm in vielen Sachen, und hörete ihn gerne. Er tödtet alſo wiſſentlich ei- nen frommen und heiligen Mann. Noch hörbar ſagte ihm ein unübertäubliches Etwas in ſeiner Bruſt: „Du &q;biſt ein Mörder der Unſchuld und Frömmigkeit! Er, &q;der dem Blute nachfrägt, wird deiner eingedenk, &q;und ein ſchneller furchtbarer Zeuge wider dich ſeyn. Der &q;Tod ſeiner Geheiligten iſt theuer in den Augen des Herrn. &q;Dieß Blut wird von deiner Hand gefordert werden.„ — Aber! Er wandte ſein Ohr ab von der Stimme der Wahrheit. Ein günſtiger oder ungünſtiger Blick einer Ehebrecherin galt ihm mehr, als der Beyfall Gottes und ſeines Gewiſſens. Schnell war die entſetzliche That voll- bracht! Marci VI. 20.

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 198[218]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/226>, abgerufen am 01.09.2024.