Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Pflichten gegen Aeltern und Opfer. und bey der nächsten Mittelursache stehen bleiben -- dasWerkzeug als den einzigen Urheber verehren. Nichts ist, das Gott in der gegenwärtigen Welt schon so sehr belohnt und straft, als Verachtung und Ehrfurcht, Ge- horsam und Ungehorsam gegen Aeltern. Ich sage et- was tausendmahl gesagtes; Aber etwas sehr wahres und sehr wichtiges. Selten wird ein Mensch, der seine Ael- tern ehrt, sie unterstützt, ihnen jede Last des Lebens leicht macht, ihnen willige reine Opfer bringt, ein Gottes- vergessener, unglückseeliger Mensch seyn -- und gewiß der nie weder recht Gottverehrend noch froh und glück- lich in seinen Kindern, der ohne Reu und Besserung seine Aeltern verachtete, hart hielt, darben ließ. Kei- ne äusserliche Opfer vergüten die Opfer des Herzens. Und doch haben die Menschen von jeher durch äusserli- che willkührliche Opfer und Gebräuche den Mangel von guten Gesinnungen und die Unterlassung der heiligsten Pflichten zu ersetzen gesucht. Dieß war besonders der Geist der Pharisäer, dem Christus durchaus mit so viel Weisheit und Würde entgegen arbeitet. Jeder darf sich seyn lassen: Christus meyne ihn, meyne seinen pharisäischen Geist, der Pflichten gegen Vater, Mut- ter, Kinder, Ehegenossen, Obrigkeit, Lehrer, Brüder, Schwestern, Mitbürger, Nachbaren, Nebenmenschen vernachläßigt, und diese Vernachläßigung durch ge- wisse äusserliche Uebungen und Gaben vergüten will -- der Gottes Gebote für Menschensatzungen hingiebt; der Gott mit dem Munde durch Aeusserlichkeiten nahe seyn will, und dessen Herz fern von Ihm ist. 124. Was
Pflichten gegen Aeltern und Opfer. und bey der nächſten Mittelurſache ſtehen bleiben — dasWerkzeug als den einzigen Urheber verehren. Nichts iſt, das Gott in der gegenwärtigen Welt ſchon ſo ſehr belohnt und ſtraft, als Verachtung und Ehrfurcht, Ge- horſam und Ungehorſam gegen Aeltern. Ich ſage et- was tauſendmahl geſagtes; Aber etwas ſehr wahres und ſehr wichtiges. Selten wird ein Menſch, der ſeine Ael- tern ehrt, ſie unterſtützt, ihnen jede Laſt des Lebens leicht macht, ihnen willige reine Opfer bringt, ein Gottes- vergeſſener, unglückſeeliger Menſch ſeyn — und gewiß der nie weder recht Gottverehrend noch froh und glück- lich in ſeinen Kindern, der ohne Reu und Beſſerung ſeine Aeltern verachtete, hart hielt, darben ließ. Kei- ne äuſſerliche Opfer vergüten die Opfer des Herzens. Und doch haben die Menſchen von jeher durch äuſſerli- che willkührliche Opfer und Gebräuche den Mangel von guten Geſinnungen und die Unterlaſſung der heiligſten Pflichten zu erſetzen geſucht. Dieß war beſonders der Geiſt der Phariſäer, dem Chriſtus durchaus mit ſo viel Weisheit und Würde entgegen arbeitet. Jeder darf ſich ſeyn laſſen: Chriſtus meyne ihn, meyne ſeinen phariſäiſchen Geiſt, der Pflichten gegen Vater, Mut- ter, Kinder, Ehegenoſſen, Obrigkeit, Lehrer, Brüder, Schweſtern, Mitbürger, Nachbaren, Nebenmenſchen vernachläßigt, und dieſe Vernachläßigung durch ge- wiſſe äuſſerliche Uebungen und Gaben vergüten will — der Gottes Gebote für Menſchenſatzungen hingiebt; der Gott mit dem Munde durch Aeuſſerlichkeiten nahe ſeyn will, und deſſen Herz fern von Ihm iſt. 124. Was
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0235" n="207[227]"/><fw place="top" type="header">Pflichten gegen Aeltern und Opfer.</fw><lb/> und bey der nächſten Mittelurſache ſtehen bleiben — das<lb/> Werkzeug als den einzigen Urheber verehren. Nichts<lb/> iſt, das Gott in der gegenwärtigen Welt ſchon ſo ſehr<lb/> belohnt und ſtraft, als Verachtung und Ehrfurcht, Ge-<lb/> horſam und Ungehorſam gegen Aeltern. Ich ſage et-<lb/> was tauſendmahl geſagtes; Aber etwas ſehr wahres und<lb/> ſehr wichtiges. Selten wird ein Menſch, der ſeine Ael-<lb/> tern ehrt, ſie unterſtützt, ihnen jede Laſt des Lebens leicht<lb/> macht, ihnen willige reine Opfer bringt, ein Gottes-<lb/> vergeſſener, unglückſeeliger Menſch ſeyn — und gewiß<lb/> der nie weder recht Gottverehrend noch froh und glück-<lb/> lich in ſeinen Kindern, der ohne Reu und Beſſerung<lb/> ſeine Aeltern verachtete, hart hielt, darben ließ. Kei-<lb/> ne äuſſerliche Opfer vergüten die Opfer des Herzens.<lb/> Und doch haben die Menſchen von jeher durch äuſſerli-<lb/> che willkührliche Opfer und Gebräuche den Mangel von<lb/> guten Geſinnungen und die Unterlaſſung der heiligſten<lb/> Pflichten zu erſetzen geſucht. Dieß war beſonders der<lb/> Geiſt der Phariſäer, dem <hi rendition="#fr">Chriſtus</hi> durchaus mit ſo viel<lb/> Weisheit und Würde entgegen arbeitet. Jeder darf<lb/> ſich ſeyn laſſen: <hi rendition="#fr">Chriſtus</hi> meyne <hi rendition="#fr">ihn,</hi> meyne <hi rendition="#fr">ſeinen</hi><lb/> phariſäiſchen Geiſt, der Pflichten gegen Vater, Mut-<lb/> ter, Kinder, Ehegenoſſen, Obrigkeit, Lehrer, Brüder,<lb/> Schweſtern, Mitbürger, Nachbaren, Nebenmenſchen<lb/> vernachläßigt, und dieſe Vernachläßigung durch ge-<lb/> wiſſe äuſſerliche Uebungen und Gaben vergüten will —<lb/> der Gottes Gebote für Menſchenſatzungen hingiebt; der<lb/> Gott mit dem Munde durch Aeuſſerlichkeiten nahe ſeyn<lb/> will, und deſſen Herz fern von Ihm iſt.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch">124. Was</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [207[227]/0235]
Pflichten gegen Aeltern und Opfer.
und bey der nächſten Mittelurſache ſtehen bleiben — das
Werkzeug als den einzigen Urheber verehren. Nichts
iſt, das Gott in der gegenwärtigen Welt ſchon ſo ſehr
belohnt und ſtraft, als Verachtung und Ehrfurcht, Ge-
horſam und Ungehorſam gegen Aeltern. Ich ſage et-
was tauſendmahl geſagtes; Aber etwas ſehr wahres und
ſehr wichtiges. Selten wird ein Menſch, der ſeine Ael-
tern ehrt, ſie unterſtützt, ihnen jede Laſt des Lebens leicht
macht, ihnen willige reine Opfer bringt, ein Gottes-
vergeſſener, unglückſeeliger Menſch ſeyn — und gewiß
der nie weder recht Gottverehrend noch froh und glück-
lich in ſeinen Kindern, der ohne Reu und Beſſerung
ſeine Aeltern verachtete, hart hielt, darben ließ. Kei-
ne äuſſerliche Opfer vergüten die Opfer des Herzens.
Und doch haben die Menſchen von jeher durch äuſſerli-
che willkührliche Opfer und Gebräuche den Mangel von
guten Geſinnungen und die Unterlaſſung der heiligſten
Pflichten zu erſetzen geſucht. Dieß war beſonders der
Geiſt der Phariſäer, dem Chriſtus durchaus mit ſo viel
Weisheit und Würde entgegen arbeitet. Jeder darf
ſich ſeyn laſſen: Chriſtus meyne ihn, meyne ſeinen
phariſäiſchen Geiſt, der Pflichten gegen Vater, Mut-
ter, Kinder, Ehegenoſſen, Obrigkeit, Lehrer, Brüder,
Schweſtern, Mitbürger, Nachbaren, Nebenmenſchen
vernachläßigt, und dieſe Vernachläßigung durch ge-
wiſſe äuſſerliche Uebungen und Gaben vergüten will —
der Gottes Gebote für Menſchenſatzungen hingiebt; der
Gott mit dem Munde durch Aeuſſerlichkeiten nahe ſeyn
will, und deſſen Herz fern von Ihm iſt.
124. Was
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |