-- die keiner gestehen will, wenn er alles andre ge- stünde, was in seinem Herzen vorgieng -- Neid, eine sich selbst aufzehrende, Freudenlose -- nur beym Sturz und Falle des andern frohe Leidenschaft. Sie leidet, wenn andere sich freuen; Sie freut sich, wenn andere leiden. Sie hat ihre schändliche Leibwörter, an denen sie leicht zu kennen ist, wie sehr sie sich zu verstecken, sich immer Mühe geben mag. "So?" sagt sie mit verbis- senem hämischen Lächeln -- wenn ein anderer gerühmet oder hervorgezogen wird -- "wir wollen sehen -- Es &q;wird sich wohl machen lassen! Wir wollen ihn schon &q;kriegen -- Es soll ihm wohl gedeyhen -- -- und &q;wenn er fällt oder fehlt: Grosse Leute also können &q;auch fehlen! -- Es ist ihm nach Verdienen geschehen -- &q;Ich sahe dem Spiele schon lange zu -- Seine Anhän- &q;ger mögen nun andre Sayten aufziehen -- Ich mögte &q;sie doch nun wohl bey einander sehen --" u. s. f.
Neid -- richtet sich sehr selten wider schlechte, böse Menschen -- Je besser, weiser, reiner, vorzüglicher ein Mensch ist; Je mehr er gutes denkt, spricht, thut; Je mehr er wirkt und Einfluß hat, desto sicherer darf er auf den Geierblick des Neides, auf die bittersten Verurtheilungen dieser Satansleidenschaft Rechnung machen. Abel, Joseph -- David -- Christus! Ihr grossen Opfer des Neides, des Bruderneides, wer Euere grossen Gesinnungen sich zu eigen macht, wie kann der vor den Pfeilen des Neides sicher seyn? -- Doch, laßt sie euer Herz verwunden! Blutet, verblutet an diesen
ver-
O o 4
Neid.
— die keiner geſtehen will, wenn er alles andre ge- ſtünde, was in ſeinem Herzen vorgieng — Neid, eine ſich ſelbſt aufzehrende, Freudenloſe — nur beym Sturz und Falle des andern frohe Leidenſchaft. Sie leidet, wenn andere ſich freuen; Sie freut ſich, wenn andere leiden. Sie hat ihre ſchändliche Leibwörter, an denen ſie leicht zu kennen iſt, wie ſehr ſie ſich zu verſtecken, ſich immer Mühe geben mag. „So?„ ſagt ſie mit verbiſ- ſenem hämiſchen Lächeln — wenn ein anderer gerühmet oder hervorgezogen wird — „wir wollen ſehen — Es &q;wird ſich wohl machen laſſen! Wir wollen ihn ſchon &q;kriegen — Es ſoll ihm wohl gedeyhen — — und &q;wenn er fällt oder fehlt: Groſſe Leute alſo können &q;auch fehlen! — Es iſt ihm nach Verdienen geſchehen — &q;Ich ſahe dem Spiele ſchon lange zu — Seine Anhän- &q;ger mögen nun andre Sayten aufziehen — Ich mögte &q;ſie doch nun wohl bey einander ſehen —„ u. ſ. f.
Neid — richtet ſich ſehr ſelten wider ſchlechte, böſe Menſchen — Je beſſer, weiſer, reiner, vorzüglicher ein Menſch iſt; Je mehr er gutes denkt, ſpricht, thut; Je mehr er wirkt und Einfluß hat, deſto ſicherer darf er auf den Geierblick des Neides, auf die bitterſten Verurtheilungen dieſer Satansleidenſchaft Rechnung machen. Abel, Joſeph — David — Chriſtus! Ihr groſſen Opfer des Neides, des Bruderneides, wer Euere groſſen Geſinnungen ſich zu eigen macht, wie kann der vor den Pfeilen des Neides ſicher ſeyn? — Doch, laßt ſie euer Herz verwunden! Blutet, verblutet an dieſen
ver-
O o 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0611"n="583[603]"/><fwplace="top"type="header">Neid.</fw><lb/>— die keiner geſtehen will, wenn er alles andre ge-<lb/>ſtünde, was in ſeinem Herzen vorgieng — Neid, eine ſich<lb/>ſelbſt aufzehrende, Freudenloſe — nur beym Sturz<lb/>
und Falle des andern frohe Leidenſchaft. Sie leidet,<lb/>
wenn andere ſich freuen; Sie freut ſich, wenn andere<lb/>
leiden. Sie hat ihre ſchändliche Leibwörter, an denen<lb/>ſie leicht zu kennen iſt, wie ſehr ſie ſich zu verſtecken, ſich<lb/>
immer Mühe geben mag. „<hirendition="#fr">So?</hi>„ſagt ſie mit verbiſ-<lb/>ſenem hämiſchen Lächeln — wenn ein anderer gerühmet<lb/>
oder hervorgezogen wird —„wir wollen ſehen — Es<lb/>&q;wird ſich wohl machen laſſen! Wir wollen ihn ſchon<lb/>&q;kriegen — Es ſoll ihm wohl gedeyhen —— und<lb/>&q;wenn er fällt oder fehlt: Groſſe Leute alſo können<lb/>&q;auch fehlen! — Es iſt ihm nach Verdienen geſchehen —<lb/>&q;Ich ſahe dem Spiele ſchon lange zu — Seine Anhän-<lb/>&q;ger mögen nun andre Sayten aufziehen — Ich mögte<lb/>&q;ſie doch nun wohl bey einander ſehen —„ u. ſ. f.</p><lb/><p>Neid — richtet ſich ſehr ſelten wider ſchlechte, böſe<lb/>
Menſchen — Je beſſer, weiſer, reiner, vorzüglicher<lb/>
ein Menſch iſt; Je mehr er gutes denkt, ſpricht, thut;<lb/>
Je mehr er wirkt und Einfluß hat, deſto ſicherer<lb/>
darf er auf den Geierblick des Neides, auf die bitterſten<lb/>
Verurtheilungen dieſer Satansleidenſchaft Rechnung<lb/>
machen. <hirendition="#fr">Abel, Joſeph — David — Chriſtus!</hi> Ihr<lb/>
groſſen Opfer des Neides, des Bruderneides, wer Euere<lb/>
groſſen Geſinnungen ſich zu eigen macht, wie kann der<lb/>
vor den Pfeilen des Neides ſicher ſeyn? — Doch, laßt<lb/>ſie euer Herz verwunden! Blutet, verblutet an dieſen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O o 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ver-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[583[603]/0611]
Neid.
— die keiner geſtehen will, wenn er alles andre ge-
ſtünde, was in ſeinem Herzen vorgieng — Neid, eine ſich
ſelbſt aufzehrende, Freudenloſe — nur beym Sturz
und Falle des andern frohe Leidenſchaft. Sie leidet,
wenn andere ſich freuen; Sie freut ſich, wenn andere
leiden. Sie hat ihre ſchändliche Leibwörter, an denen
ſie leicht zu kennen iſt, wie ſehr ſie ſich zu verſtecken, ſich
immer Mühe geben mag. „So?„ ſagt ſie mit verbiſ-
ſenem hämiſchen Lächeln — wenn ein anderer gerühmet
oder hervorgezogen wird — „wir wollen ſehen — Es
&q;wird ſich wohl machen laſſen! Wir wollen ihn ſchon
&q;kriegen — Es ſoll ihm wohl gedeyhen — — und
&q;wenn er fällt oder fehlt: Groſſe Leute alſo können
&q;auch fehlen! — Es iſt ihm nach Verdienen geſchehen —
&q;Ich ſahe dem Spiele ſchon lange zu — Seine Anhän-
&q;ger mögen nun andre Sayten aufziehen — Ich mögte
&q;ſie doch nun wohl bey einander ſehen —„ u. ſ. f.
Neid — richtet ſich ſehr ſelten wider ſchlechte, böſe
Menſchen — Je beſſer, weiſer, reiner, vorzüglicher
ein Menſch iſt; Je mehr er gutes denkt, ſpricht, thut;
Je mehr er wirkt und Einfluß hat, deſto ſicherer
darf er auf den Geierblick des Neides, auf die bitterſten
Verurtheilungen dieſer Satansleidenſchaft Rechnung
machen. Abel, Joſeph — David — Chriſtus! Ihr
groſſen Opfer des Neides, des Bruderneides, wer Euere
groſſen Geſinnungen ſich zu eigen macht, wie kann der
vor den Pfeilen des Neides ſicher ſeyn? — Doch, laßt
ſie euer Herz verwunden! Blutet, verblutet an dieſen
ver-
O o 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 583[603]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/611>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.