Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.IX. Fragment. 10. Zugabe. Von der Harmonie "erwartet, muß durch das Ansehen des Körpers versprochen werden, und die Gestalt ist die"schönste, die hierüber am meisten verspricht." "Aber diese Anforderungen beruhen nicht blos auf äußerlichen Verrichtungen und kör- "Auch die Urtheile über die Häßlichkeit bestätigen unsern angenommenen Grundsatz. "Die Bildung eines Menschen sey im übrigen wie sie wolle, so wird jedermann etwas "Jede
IX. Fragment. 10. Zugabe. Von der Harmonie „erwartet, muß durch das Anſehen des Koͤrpers verſprochen werden, und die Geſtalt iſt die„ſchoͤnſte, die hieruͤber am meiſten verſpricht.“ „Aber dieſe Anforderungen beruhen nicht blos auf aͤußerlichen Verrichtungen und koͤr- „Auch die Urtheile uͤber die Haͤßlichkeit beſtaͤtigen unſern angenommenen Grundſatz. „Die Bildung eines Menſchen ſey im uͤbrigen wie ſie wolle, ſo wird jedermann etwas „Jede
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IX. Fragment. 10. Zugabe. Von der Harmonie
„erwartet, muß durch das Anſehen des Koͤrpers verſprochen werden, und die Geſtalt iſt die
„ſchoͤnſte, die hieruͤber am meiſten verſpricht.“
„Aber dieſe Anforderungen beruhen nicht blos auf aͤußerlichen Verrichtungen und koͤr-
„perlichen Beduͤrfniſſen. Je weiter die Menſchen in der Vervollkommnung ihres Characters ge-
„kommen ſind, je hoͤher treiben ſie auch die Forderungen deſſen, was ſie erwarten. Verſtand,
„Scharfſinn, und ein Gemuͤthscharacter, wie jeder Menſch glaubt, daß ein vollkommener
„Menſch ihn haben muͤſſe, ſind Eigenſchaften, die das Auge auch in der aͤußern Form zur
„Schoͤnheit fordert. Ein weibliches Bild, das Wolluſt athmet, deſſen Geſtalt und ganzes We-
„ſen Leichtſinn und Muthwillen verraͤth, iſt fuͤr den leichtſinnigen Wolluͤſtling die hoͤchſte
„Schoͤnheit, an der aber der Geſetztere und in dem Beſitz ſeiner Geliebten mehr als muthwil-
„ge Wolluſt erwartende Juͤngling noch viel ausſetzen wuͤrde.“
„Auch die Urtheile uͤber die Haͤßlichkeit beſtaͤtigen unſern angenommenen Grundſatz.
„Was alle Menſchen fuͤr haͤßlich halten, leitet unfehlbar auf die Vermuthung, daß in dem
„Menſchen, in deſſen Geſtalt es iſt, auch irgend ein innerer Fehler gegen die Menſchlichkeit
„liege, der durch aͤußere Mißgeſtalt angezeiget wird. Wir wollen der verwachſenen und ganz
„ungeſtalten Gliedmaßen, die jedermann fuͤr haͤßlich haͤlt, nicht erwaͤhnen; weil es zu offenbar
„iſt, daß ſie uͤberhaupt eine Untuͤchtigkeit zu nothwendigen Verrichtungen deutlich anzeigen;
„ſondern nur von weniger merklichen Fehlern der Form ſprechen.“
„Die Bildung eines Menſchen ſey im uͤbrigen wie ſie wolle, ſo wird jedermann etwas
„Haͤßliches darinn finden, wenn ſie einen zornigen Menſchen verraͤth: oder wenn man irgend
„eine andere herrſchende Leidenſchaft von finſterer uͤbelthaͤtiger Art darinn bemerkt, und keine
„Geſtalt iſt haͤßlicher, als die, die einen ganz widerſinnigen, muͤrriſchen, jeder verkehrten Hand-
„lung faͤhigen Character anzeiget. Aber auch darinn richtet ſich das Urtheil, oder der Ge-
„ſchmack nach dem Grad der Vervollkommnung, auf den man gekommen iſt. Unter einer
„Nation, die ſchon zu Empfindungen der wahren Ehre und zu einem gewiſſen Adel des Chara-
„cters gelangt iſt, iſt das Gepraͤg der Niedertraͤchtigkeit, das man bisweilen tief in die Phy-
„ſiognomie eingedruͤckt ſieht, etwas ſehr Haͤßliches; aber es wird nur von denen bemerkt, die
„jenes Gefuͤhl der Wuͤrde und Hoheit beſitzen.“
„Jede
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