Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.zur Prüfung des physiognomischen Genies. O. Vier Profilumrisse. Freund und Forscher der Menschen, würdest du gern in der Gesellschaft der vier Männer seyn, von Es sind vier Menschen von dem verschiedensten Character, die sich aber alle durch Güte Es ist ein Gelehrter, ein Officier, ein Mediciner, und ein Fürst -- Versuch es, Der Gelehrte ist mehr heiter als tief in seinen Gedanken und äußerst nett in seinem Jch halte seine Stirne für den Sitz eines guten Gedächtnisses und eines mäßigen Witzes. Den Officier (such ihn nicht im Kleide) lieb ich, ohne viel von seinem Geiste zu wissen, Du kannst ihm keine größre Freude machen, als wenn du ihm einen unerwarteten hören
zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies. O. Vier Profilumriſſe. Freund und Forſcher der Menſchen, wuͤrdeſt du gern in der Geſellſchaft der vier Maͤnner ſeyn, von Es ſind vier Menſchen von dem verſchiedenſten Character, die ſich aber alle durch Guͤte Es iſt ein Gelehrter, ein Officier, ein Mediciner, und ein Fuͤrſt — Verſuch es, Der Gelehrte iſt mehr heiter als tief in ſeinen Gedanken und aͤußerſt nett in ſeinem Jch halte ſeine Stirne fuͤr den Sitz eines guten Gedaͤchtniſſes und eines maͤßigen Witzes. Den Officier (ſuch ihn nicht im Kleide) lieb ich, ohne viel von ſeinem Geiſte zu wiſſen, Du kannſt ihm keine groͤßre Freude machen, als wenn du ihm einen unerwarteten hoͤren
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zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies.
O.
Vier Profilumriſſe.
Freund und Forſcher der Menſchen, wuͤrdeſt du gern in der Geſellſchaft der vier Maͤnner ſeyn, von
deren Geſichtern hier ziemlich aͤhnliche Umriſſe dir vor Augen liegen? Was du von ihnen urthei-
len werdeſt, weiß ich nicht; ſo viel aber weiß ich, daß du dich in ihrer Geſellſchaft ganz gewiß
nicht uͤbel befinden wuͤrdeſt.
Es ſind vier Menſchen von dem verſchiedenſten Character, die ſich aber alle durch Guͤte
und außerordentliche Redlichkeit auszeichnen. Von denen ſeltenen Menſchen ſind's, denen du in
der erſten halben Stunde gern viel von deinem Herzen mittheileſt, denen du ihre Fragen gern ein-
faͤltig, ohne Furcht und ohne Mißtrauen beantworteſt.
Es iſt ein Gelehrter, ein Officier, ein Mediciner, und ein Fuͤrſt — Verſuch es,
ſie auszufinden. Alle vier haben ziemlich viel Verſtand. Furchtſam und hypochondriſch ſind we-
nigſtens zwey wo nicht drey davon. —
Der Gelehrte iſt mehr heiter als tief in ſeinen Gedanken und aͤußerſt nett in ſeinem
Ausdrucke — und in ſeiner Handſchrift. Er hat ein zartes, wohlthaͤtiges, und bey aller ſeiner
Schuͤchternheit ein durch Tugenduͤbung ſtark gewordenes Herz, das den Freund, und den Mit-
arbeiter, und Untergebenen warnen und zurecht weiſen darf.
Jch halte ſeine Stirne fuͤr den Sitz eines guten Gedaͤchtniſſes und eines maͤßigen Witzes.
Solche Stirnen ſind mehr der helle, als der tiefſehenden Menſchen.
Den Officier (ſuch ihn nicht im Kleide) lieb ich, ohne viel von ſeinem Geiſte zu wiſſen,
der weder zu den Schwachen noch den Starken gehoͤren mag, herzlich um ſeiner redlichen Men-
ſchenfreude willen! Schade, daß der Ausdruck davon in der Zeichnung zu ſchwach iſt!
Du kannſt ihm keine groͤßre Freude machen, als wenn du ihm einen unerwarteten
Freund zufuͤhrſt! Blos der Anblick wuͤrd' ihn erfreuen, wenn er auch nicht den mindeſten Nutzen
von ſeiner Gegenwart haben; wenn er auch kein belehrendes oder unterhaltendes Wort von ihm
hoͤren
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