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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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VIII. Fragment. Zweyte Zugabe.
1.) Die Stirn des ersten wird wohl die flächste, die perpendikularste seyn -- das Aug'
(zwar alle sind schlecht gezeichnet) ist das schlechteste; die Nase die spitzigste, das Nasloch am un-
bestimmtesten; der Mund am offensten.
Nun mag jeder urtheilen, ob dieß Gesicht nicht unter allen neunen das dümmste sey? Es
ist indeß noch nicht das entscheidendste Gesicht eines Dummkopfes. Stirn und Wölbung des
Oberhauptes -- dieß allein schon spricht genug fürs Gegentheil. Die Nase ist freylich, so wie sie
da ist, so schlecht und gemein, als sie seyn kann. Jn dem Munde selbst aber ist noch etwas von
launichter Schalkheit, die nicht ohne alles attische Salz zu seyn scheint.
2.) Denkendre Stirn; tieferer Einschnitt bey der Naswurzel; das Hinterhaupt weit her-
vordringender über den Nacken -- bestimmter gezeichnete Nase, mehr geschloßner Mund -- alles
vortheilhafter!
3.) Etwas schiefere Stirn; schalkhafterer Mund.
4.) Unterscheidet sich vornehmlich durch die weniger stumpfe, schärfer beschnittene Unter-
lippe und das emporschende Auge. Nicht so leer, wie 1, nicht so denkend, wie 2, nicht so schalk-
haft, wie 3.
5.) Jst oben aufm Schädel weniger breit, höher gewölbt, als alle vorige, besonders der
vierte; die Unterlippe ist etwas stumpfer, als 4; das Auge wollüstiger; der Eindruck des Gan-
zen -- "Hinheftung der Seele auf Einen dastehenden reizenden Gegenstand."
6.) Aufhorchend, und sich auf Antwort rüstend.
7.) Wir trauen diesem am wenigsten. Er ist nicht der verständigste, aber der listigste.
Er freut sich einer -- vielleicht physiognomischen? Beobachtung, die er eben macht.
8.) Uneingebognere Stirn. Mehr Verstand darinn, als in der vorhergehenden. Der
Kopf überhaupt etwas länglichter, als die übrigen, und scheint sich dadurch ein wenig zu veredeln.
9.) Die Stirn scheint mir noch verständiger, als die vorhergehende; nur verliert sie et-
was untenher bey der Nase. Das Auge scheint mir das gescheuteste von allen. Der Mund am
ruhigsten und ehrlichsten.

Die Ohren sind nicht sicher, rein und vollkommen genug, gezeichnet, daß sich viel Be-
stimmtes und Zuverlässiges darüber sagen ließe.

Hier
VIII. Fragment. Zweyte Zugabe.
1.) Die Stirn des erſten wird wohl die flaͤchſte, die perpendikularſte ſeyn — das Aug'
(zwar alle ſind ſchlecht gezeichnet) iſt das ſchlechteſte; die Naſe die ſpitzigſte, das Nasloch am un-
beſtimmteſten; der Mund am offenſten.
Nun mag jeder urtheilen, ob dieß Geſicht nicht unter allen neunen das duͤmmſte ſey? Es
iſt indeß noch nicht das entſcheidendſte Geſicht eines Dummkopfes. Stirn und Woͤlbung des
Oberhauptes — dieß allein ſchon ſpricht genug fuͤrs Gegentheil. Die Naſe iſt freylich, ſo wie ſie
da iſt, ſo ſchlecht und gemein, als ſie ſeyn kann. Jn dem Munde ſelbſt aber iſt noch etwas von
launichter Schalkheit, die nicht ohne alles attiſche Salz zu ſeyn ſcheint.
2.) Denkendre Stirn; tieferer Einſchnitt bey der Naswurzel; das Hinterhaupt weit her-
vordringender uͤber den Nacken — beſtimmter gezeichnete Naſe, mehr geſchloßner Mund — alles
vortheilhafter!
3.) Etwas ſchiefere Stirn; ſchalkhafterer Mund.
4.) Unterſcheidet ſich vornehmlich durch die weniger ſtumpfe, ſchaͤrfer beſchnittene Unter-
lippe und das emporſchende Auge. Nicht ſo leer, wie 1, nicht ſo denkend, wie 2, nicht ſo ſchalk-
haft, wie 3.
5.) Jſt oben aufm Schaͤdel weniger breit, hoͤher gewoͤlbt, als alle vorige, beſonders der
vierte; die Unterlippe iſt etwas ſtumpfer, als 4; das Auge wolluͤſtiger; der Eindruck des Gan-
zen — „Hinheftung der Seele auf Einen daſtehenden reizenden Gegenſtand.“
6.) Aufhorchend, und ſich auf Antwort ruͤſtend.
7.) Wir trauen dieſem am wenigſten. Er iſt nicht der verſtaͤndigſte, aber der liſtigſte.
Er freut ſich einer — vielleicht phyſiognomiſchen? Beobachtung, die er eben macht.
8.) Uneingebognere Stirn. Mehr Verſtand darinn, als in der vorhergehenden. Der
Kopf uͤberhaupt etwas laͤnglichter, als die uͤbrigen, und ſcheint ſich dadurch ein wenig zu veredeln.
9.) Die Stirn ſcheint mir noch verſtaͤndiger, als die vorhergehende; nur verliert ſie et-
was untenher bey der Naſe. Das Auge ſcheint mir das geſcheuteſte von allen. Der Mund am
ruhigſten und ehrlichſten.

Die Ohren ſind nicht ſicher, rein und vollkommen genug, gezeichnet, daß ſich viel Be-
ſtimmtes und Zuverlaͤſſiges daruͤber ſagen ließe.

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[76/0104] VIII. Fragment. Zweyte Zugabe. 1.) Die Stirn des erſten wird wohl die flaͤchſte, die perpendikularſte ſeyn — das Aug' (zwar alle ſind ſchlecht gezeichnet) iſt das ſchlechteſte; die Naſe die ſpitzigſte, das Nasloch am un- beſtimmteſten; der Mund am offenſten. Nun mag jeder urtheilen, ob dieß Geſicht nicht unter allen neunen das duͤmmſte ſey? Es iſt indeß noch nicht das entſcheidendſte Geſicht eines Dummkopfes. Stirn und Woͤlbung des Oberhauptes — dieß allein ſchon ſpricht genug fuͤrs Gegentheil. Die Naſe iſt freylich, ſo wie ſie da iſt, ſo ſchlecht und gemein, als ſie ſeyn kann. Jn dem Munde ſelbſt aber iſt noch etwas von launichter Schalkheit, die nicht ohne alles attiſche Salz zu ſeyn ſcheint. 2.) Denkendre Stirn; tieferer Einſchnitt bey der Naswurzel; das Hinterhaupt weit her- vordringender uͤber den Nacken — beſtimmter gezeichnete Naſe, mehr geſchloßner Mund — alles vortheilhafter! 3.) Etwas ſchiefere Stirn; ſchalkhafterer Mund. 4.) Unterſcheidet ſich vornehmlich durch die weniger ſtumpfe, ſchaͤrfer beſchnittene Unter- lippe und das emporſchende Auge. Nicht ſo leer, wie 1, nicht ſo denkend, wie 2, nicht ſo ſchalk- haft, wie 3. 5.) Jſt oben aufm Schaͤdel weniger breit, hoͤher gewoͤlbt, als alle vorige, beſonders der vierte; die Unterlippe iſt etwas ſtumpfer, als 4; das Auge wolluͤſtiger; der Eindruck des Gan- zen — „Hinheftung der Seele auf Einen daſtehenden reizenden Gegenſtand.“ 6.) Aufhorchend, und ſich auf Antwort ruͤſtend. 7.) Wir trauen dieſem am wenigſten. Er iſt nicht der verſtaͤndigſte, aber der liſtigſte. Er freut ſich einer — vielleicht phyſiognomiſchen? Beobachtung, die er eben macht. 8.) Uneingebognere Stirn. Mehr Verſtand darinn, als in der vorhergehenden. Der Kopf uͤberhaupt etwas laͤnglichter, als die uͤbrigen, und ſcheint ſich dadurch ein wenig zu veredeln. 9.) Die Stirn ſcheint mir noch verſtaͤndiger, als die vorhergehende; nur verliert ſie et- was untenher bey der Naſe. Das Auge ſcheint mir das geſcheuteſte von allen. Der Mund am ruhigſten und ehrlichſten. Die Ohren ſind nicht ſicher, rein und vollkommen genug, gezeichnet, daß ſich viel Be- ſtimmtes und Zuverlaͤſſiges daruͤber ſagen ließe. Hier

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/104>, abgerufen am 24.11.2024.