Jch will es versuchen, einige der vermeidlichen und unvermeidlichen Schwierigkeiten, wo- mit diese Kunst zu kämpfen hat, darzulegen. Beyde zu kennen, scheint mir für den Künstler und den Menschenbeobachter allerdings der Mühe werth.
Porträtmahlerey -- was ist sie? Darstellung eines besondern würklichen Menschen, oder eines Theils des menschlichen Körpers -- Mittheilung, Aufbewahrung seines Bildes; die Kunst, alles, was man von einer einseitigen Gestalt des Menschen sagen, und eigentlich nie mit Worten sagen kann, in einem Momente zu sagen.
Wenn es wahr ist, was Goethe irgendwo sagt -- und mich dünkt, Wahrers läßt sich nichts sagen -- "daß des Menschen Gegenwart, daß sein Gesicht, seine Physiognomie, der beste "Text zu allem ist, was immer über ihn gesagt und commentirt werden kann" -- wie wichtig wird die Porträtmahlerey!
Jch habe bereits im ersten Bande dieser Fragmente aus dem eben erwähnten vortreffli- chen Werke des Herrn Sulzers, unter den Zeugnissen für die Physiognomik, eine Stelle ange- führt, die in dem Artikel Porträt allen übrigen Anmerkungen beynahe zum Grunde liegt. Jch will sie hier nicht wiederholen. Aber das wird meinen Lesern nicht unangenehm und unnützlich seyn, wenn ich einige der wichtigsten Stellen aus diesem so sehr hieher gehörigen Artikel hier ein- rücke, und mit Anmerkungen begleite.
"Da kein einziger Gegenstand unserer Kenntniß, sagt Sulzer, wichtiger für uns seyn "kann, als denkende und fühlende Seele; so kann man auch daran nicht zweifeln, daß der Mensch, "nach seiner Gestalt betrachtet, wenn wir auch das Wunderbare darinn bey Seite setzen, der wich- "tigste aller sichtbaren Gegenstände sey." --
Wenn der Porträtmahler dieß erkennte, fühlte, davon durchdrungen wäre; durchdrungen wäre von Ehrfurcht gegen das beste Werk des besten Meisters -- dran dächte, nicht mit Gewalt sich anstrengen müßte, daran zu denken, wenn's ihm so natürlich wär', als Gefühl und Liebe sei- nes Lebens -- welch eine wichtige, heilige Arbeit wär' ihm das Porträtmahlen! -- heilig wenig- stens, wie der Text heiliger Schriften dem Uebersetzer seyn sollte, sollt' ihm ein lebendes Menschen- gesicht seyn! wie sorgsam er, nicht zu verfälschen das Werk Gottes, wie ihrer so viele das Wort Gottes!
Welche
Ueber die Portraͤtmahlerey.
Jch will es verſuchen, einige der vermeidlichen und unvermeidlichen Schwierigkeiten, wo- mit dieſe Kunſt zu kaͤmpfen hat, darzulegen. Beyde zu kennen, ſcheint mir fuͤr den Kuͤnſtler und den Menſchenbeobachter allerdings der Muͤhe werth.
Portraͤtmahlerey — was iſt ſie? Darſtellung eines beſondern wuͤrklichen Menſchen, oder eines Theils des menſchlichen Koͤrpers — Mittheilung, Aufbewahrung ſeines Bildes; die Kunſt, alles, was man von einer einſeitigen Geſtalt des Menſchen ſagen, und eigentlich nie mit Worten ſagen kann, in einem Momente zu ſagen.
Wenn es wahr iſt, was Goethe irgendwo ſagt — und mich duͤnkt, Wahrers laͤßt ſich nichts ſagen — „daß des Menſchen Gegenwart, daß ſein Geſicht, ſeine Phyſiognomie, der beſte „Text zu allem iſt, was immer uͤber ihn geſagt und commentirt werden kann“ — wie wichtig wird die Portraͤtmahlerey!
Jch habe bereits im erſten Bande dieſer Fragmente aus dem eben erwaͤhnten vortreffli- chen Werke des Herrn Sulzers, unter den Zeugniſſen fuͤr die Phyſiognomik, eine Stelle ange- fuͤhrt, die in dem Artikel Portraͤt allen uͤbrigen Anmerkungen beynahe zum Grunde liegt. Jch will ſie hier nicht wiederholen. Aber das wird meinen Leſern nicht unangenehm und unnuͤtzlich ſeyn, wenn ich einige der wichtigſten Stellen aus dieſem ſo ſehr hieher gehoͤrigen Artikel hier ein- ruͤcke, und mit Anmerkungen begleite.
„Da kein einziger Gegenſtand unſerer Kenntniß, ſagt Sulzer, wichtiger fuͤr uns ſeyn „kann, als denkende und fuͤhlende Seele; ſo kann man auch daran nicht zweifeln, daß der Menſch, „nach ſeiner Geſtalt betrachtet, wenn wir auch das Wunderbare darinn bey Seite ſetzen, der wich- „tigſte aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde ſey.“ —
Wenn der Portraͤtmahler dieß erkennte, fuͤhlte, davon durchdrungen waͤre; durchdrungen waͤre von Ehrfurcht gegen das beſte Werk des beſten Meiſters — dran daͤchte, nicht mit Gewalt ſich anſtrengen muͤßte, daran zu denken, wenn’s ihm ſo natuͤrlich waͤr’, als Gefuͤhl und Liebe ſei- nes Lebens — welch eine wichtige, heilige Arbeit waͤr’ ihm das Portraͤtmahlen! — heilig wenig- ſtens, wie der Text heiliger Schriften dem Ueberſetzer ſeyn ſollte, ſollt’ ihm ein lebendes Menſchen- geſicht ſeyn! wie ſorgſam er, nicht zu verfaͤlſchen das Werk Gottes, wie ihrer ſo viele das Wort Gottes!
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Ueber die Portraͤtmahlerey.
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mit dieſe Kunſt zu kaͤmpfen hat, darzulegen. Beyde zu kennen, ſcheint mir fuͤr den Kuͤnſtler und
den Menſchenbeobachter allerdings der Muͤhe werth.
Portraͤtmahlerey — was iſt ſie? Darſtellung eines beſondern wuͤrklichen Menſchen,
oder eines Theils des menſchlichen Koͤrpers — Mittheilung, Aufbewahrung ſeines Bildes; die
Kunſt, alles, was man von einer einſeitigen Geſtalt des Menſchen ſagen, und eigentlich nie mit
Worten ſagen kann, in einem Momente zu ſagen.
Wenn es wahr iſt, was Goethe irgendwo ſagt — und mich duͤnkt, Wahrers laͤßt ſich
nichts ſagen — „daß des Menſchen Gegenwart, daß ſein Geſicht, ſeine Phyſiognomie, der beſte
„Text zu allem iſt, was immer uͤber ihn geſagt und commentirt werden kann“ — wie wichtig wird
die Portraͤtmahlerey!
Jch habe bereits im erſten Bande dieſer Fragmente aus dem eben erwaͤhnten vortreffli-
chen Werke des Herrn Sulzers, unter den Zeugniſſen fuͤr die Phyſiognomik, eine Stelle ange-
fuͤhrt, die in dem Artikel Portraͤt allen uͤbrigen Anmerkungen beynahe zum Grunde liegt. Jch
will ſie hier nicht wiederholen. Aber das wird meinen Leſern nicht unangenehm und unnuͤtzlich
ſeyn, wenn ich einige der wichtigſten Stellen aus dieſem ſo ſehr hieher gehoͤrigen Artikel hier ein-
ruͤcke, und mit Anmerkungen begleite.
„Da kein einziger Gegenſtand unſerer Kenntniß, ſagt Sulzer, wichtiger fuͤr uns ſeyn
„kann, als denkende und fuͤhlende Seele; ſo kann man auch daran nicht zweifeln, daß der Menſch,
„nach ſeiner Geſtalt betrachtet, wenn wir auch das Wunderbare darinn bey Seite ſetzen, der wich-
„tigſte aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde ſey.“ —
Wenn der Portraͤtmahler dieß erkennte, fuͤhlte, davon durchdrungen waͤre; durchdrungen
waͤre von Ehrfurcht gegen das beſte Werk des beſten Meiſters — dran daͤchte, nicht mit Gewalt
ſich anſtrengen muͤßte, daran zu denken, wenn’s ihm ſo natuͤrlich waͤr’, als Gefuͤhl und Liebe ſei-
nes Lebens — welch eine wichtige, heilige Arbeit waͤr’ ihm das Portraͤtmahlen! — heilig wenig-
ſtens, wie der Text heiliger Schriften dem Ueberſetzer ſeyn ſollte, ſollt’ ihm ein lebendes Menſchen-
geſicht ſeyn! wie ſorgſam er, nicht zu verfaͤlſchen das Werk Gottes, wie ihrer ſo viele das Wort
Gottes!
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/107>, abgerufen am 16.07.2024.
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