Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
XIV. Fragment. Menschenschädel.

Die Schiefheit der Stirn und die Rundung über den Schleimhöhlen zeigt mehr Jma-
gination als Forschsinn -- der ziemlich tiefe Winkel bey der Nasenwurzel Verstand -- die
Nasenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhöhung mitten auf der Nase; machen in ihrer Rich-
tung mit der Stirn überhaupt einen sehr stumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem
Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhöhlen, beynahe einen rechten Winkel.
Auch die Erhebung der Nasentheile des Oberkiefers zeigt geräumige, innliegende Höhlen an.
Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, ist stark genug; besonders merklich der
hintere Winkel desselben und der aufsteigende Theil der zween Fortsätze. Ohne die Anmaßung,
den Ausdruck von diesem allen zu bestimmen -- glaub' ich dennoch überhaupt Ausdruck von Festig-
keit
darinne wahrzunehmen. Dieser zeigt sich auch besonders in dem unten kleiner gezeichneten
Profile, welches nach der geraden Lage des menschlichen Kopfes am lebenden Körper gezeich-
net ist. -- Vordringende, harte, eiserne Festigkeit ist's nicht, was der Schädel bezeichnet. Al-
les ist mittelmäßig. Physiologische Kraft mehr, als Energie der innern Geisteskraft. Nicht
herkulische! gesunde Kraft -- dieß zeigen besonders die Vollständigkeit, die Festigkeit und Lage
der Zähne! die Lage -- die Vorgewölbtheit derselben -- gewiß nicht herkulische Kraft! aber wi-
tzige Geschwätzigkeit? -- wenigstens auf mich macht sie diesen Eindruck.

Die Kleinheit des Kinns (das freylich sich im bloßen Schädel, weil es in der Natur
am meisten mit Fleisch bekleidet ist, am meisten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig
vordringende, ganz männliche Kraft.

Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifsinn viel weiter, als von
weiblicher Weichlichkeit entfernt.

Der untere Schädel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin-
gend, weniger eingebogen, über den Schleimhöhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verstand des
obern.

Bemerkt
Phys. Fragm. II Versuch. U
XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Die Schiefheit der Stirn und die Rundung uͤber den Schleimhoͤhlen zeigt mehr Jma-
gination als Forſchſinn — der ziemlich tiefe Winkel bey der Naſenwurzel Verſtand — die
Naſenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhoͤhung mitten auf der Naſe; machen in ihrer Rich-
tung mit der Stirn uͤberhaupt einen ſehr ſtumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem
Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhoͤhlen, beynahe einen rechten Winkel.
Auch die Erhebung der Naſentheile des Oberkiefers zeigt geraͤumige, innliegende Hoͤhlen an.
Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, iſt ſtark genug; beſonders merklich der
hintere Winkel deſſelben und der aufſteigende Theil der zween Fortſaͤtze. Ohne die Anmaßung,
den Ausdruck von dieſem allen zu beſtimmen — glaub’ ich dennoch uͤberhaupt Ausdruck von Feſtig-
keit
darinne wahrzunehmen. Dieſer zeigt ſich auch beſonders in dem unten kleiner gezeichneten
Profile, welches nach der geraden Lage des menſchlichen Kopfes am lebenden Koͤrper gezeich-
net iſt. — Vordringende, harte, eiſerne Feſtigkeit iſt’s nicht, was der Schaͤdel bezeichnet. Al-
les iſt mittelmaͤßig. Phyſiologiſche Kraft mehr, als Energie der innern Geiſteskraft. Nicht
herkuliſche! geſunde Kraft — dieß zeigen beſonders die Vollſtaͤndigkeit, die Feſtigkeit und Lage
der Zaͤhne! die Lage — die Vorgewoͤlbtheit derſelben — gewiß nicht herkuliſche Kraft! aber wi-
tzige Geſchwaͤtzigkeit? — wenigſtens auf mich macht ſie dieſen Eindruck.

Die Kleinheit des Kinns (das freylich ſich im bloßen Schaͤdel, weil es in der Natur
am meiſten mit Fleiſch bekleidet iſt, am meiſten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig
vordringende, ganz maͤnnliche Kraft.

Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifſinn viel weiter, als von
weiblicher Weichlichkeit entfernt.

Der untere Schaͤdel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin-
gend, weniger eingebogen, uͤber den Schleimhoͤhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verſtand des
obern.

Bemerkt
Phyſ. Fragm. II Verſuch. U
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0215" n="153"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Fragment. Men&#x017F;chen&#x017F;cha&#x0364;del.</hi> </fw><lb/>
            <p>Die Schiefheit der Stirn und die Rundung u&#x0364;ber den Schleimho&#x0364;hlen zeigt mehr Jma-<lb/>
gination als For&#x017F;ch&#x017F;inn &#x2014; der ziemlich tiefe Winkel bey der Na&#x017F;enwurzel Ver&#x017F;tand &#x2014; die<lb/>
Na&#x017F;enbeine haben Anlage zu einer kleinen Erho&#x0364;hung mitten auf der Na&#x017F;e; machen in ihrer Rich-<lb/>
tung mit der Stirn u&#x0364;berhaupt einen &#x017F;ehr &#x017F;tumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem<lb/>
Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimho&#x0364;hlen, beynahe einen rechten Winkel.<lb/>
Auch die Erhebung der Na&#x017F;entheile des Oberkiefers zeigt gera&#x0364;umige, innliegende Ho&#x0364;hlen an.<lb/>
Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, i&#x017F;t &#x017F;tark genug; be&#x017F;onders merklich der<lb/>
hintere Winkel de&#x017F;&#x017F;elben und der auf&#x017F;teigende Theil der zween Fort&#x017F;a&#x0364;tze. Ohne die Anmaßung,<lb/>
den Ausdruck von die&#x017F;em allen zu be&#x017F;timmen &#x2014; glaub&#x2019; ich dennoch u&#x0364;berhaupt Ausdruck von <hi rendition="#fr">Fe&#x017F;tig-<lb/>
keit</hi> darinne wahrzunehmen. Die&#x017F;er zeigt &#x017F;ich auch be&#x017F;onders in dem unten kleiner gezeichneten<lb/>
Profile, welches nach der geraden Lage des men&#x017F;chlichen Kopfes am lebenden Ko&#x0364;rper gezeich-<lb/>
net i&#x017F;t. &#x2014; Vordringende, harte, ei&#x017F;erne Fe&#x017F;tigkeit i&#x017F;t&#x2019;s nicht, was der Scha&#x0364;del bezeichnet. Al-<lb/>
les i&#x017F;t mittelma&#x0364;ßig. Phy&#x017F;iologi&#x017F;che Kraft mehr, als Energie der innern Gei&#x017F;teskraft. Nicht<lb/>
herkuli&#x017F;che! ge&#x017F;unde Kraft &#x2014; dieß zeigen be&#x017F;onders die Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, die Fe&#x017F;tigkeit und Lage<lb/>
der Za&#x0364;hne! die Lage &#x2014; die Vorgewo&#x0364;lbtheit der&#x017F;elben &#x2014; gewiß nicht herkuli&#x017F;che Kraft! aber wi-<lb/>
tzige Ge&#x017F;chwa&#x0364;tzigkeit? &#x2014; wenig&#x017F;tens auf mich macht &#x017F;ie die&#x017F;en Eindruck.</p><lb/>
            <p>Die Kleinheit des Kinns (das freylich &#x017F;ich im bloßen Scha&#x0364;del, weil es in der Natur<lb/>
am mei&#x017F;ten mit Flei&#x017F;ch bekleidet i&#x017F;t, am mei&#x017F;ten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig<lb/>
vordringende, ganz ma&#x0364;nnliche Kraft.</p><lb/>
            <p>Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steif&#x017F;inn viel weiter, als von<lb/>
weiblicher Weichlichkeit entfernt.</p><lb/>
            <p>Der untere Scha&#x0364;del, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin-<lb/>
gend, weniger eingebogen, u&#x0364;ber den Schleimho&#x0364;hlen, zeigt nicht den freyen, offnen Ver&#x017F;tand des<lb/>
obern.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Phy&#x017F;. Fragm.</hi><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch.</hi> U</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Bemerkt</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0215] XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. Die Schiefheit der Stirn und die Rundung uͤber den Schleimhoͤhlen zeigt mehr Jma- gination als Forſchſinn — der ziemlich tiefe Winkel bey der Naſenwurzel Verſtand — die Naſenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhoͤhung mitten auf der Naſe; machen in ihrer Rich- tung mit der Stirn uͤberhaupt einen ſehr ſtumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhoͤhlen, beynahe einen rechten Winkel. Auch die Erhebung der Naſentheile des Oberkiefers zeigt geraͤumige, innliegende Hoͤhlen an. Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, iſt ſtark genug; beſonders merklich der hintere Winkel deſſelben und der aufſteigende Theil der zween Fortſaͤtze. Ohne die Anmaßung, den Ausdruck von dieſem allen zu beſtimmen — glaub’ ich dennoch uͤberhaupt Ausdruck von Feſtig- keit darinne wahrzunehmen. Dieſer zeigt ſich auch beſonders in dem unten kleiner gezeichneten Profile, welches nach der geraden Lage des menſchlichen Kopfes am lebenden Koͤrper gezeich- net iſt. — Vordringende, harte, eiſerne Feſtigkeit iſt’s nicht, was der Schaͤdel bezeichnet. Al- les iſt mittelmaͤßig. Phyſiologiſche Kraft mehr, als Energie der innern Geiſteskraft. Nicht herkuliſche! geſunde Kraft — dieß zeigen beſonders die Vollſtaͤndigkeit, die Feſtigkeit und Lage der Zaͤhne! die Lage — die Vorgewoͤlbtheit derſelben — gewiß nicht herkuliſche Kraft! aber wi- tzige Geſchwaͤtzigkeit? — wenigſtens auf mich macht ſie dieſen Eindruck. Die Kleinheit des Kinns (das freylich ſich im bloßen Schaͤdel, weil es in der Natur am meiſten mit Fleiſch bekleidet iſt, am meiſten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig vordringende, ganz maͤnnliche Kraft. Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifſinn viel weiter, als von weiblicher Weichlichkeit entfernt. Der untere Schaͤdel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin- gend, weniger eingebogen, uͤber den Schleimhoͤhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verſtand des obern. Bemerkt Phyſ. Fragm. II Verſuch. U

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/215
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/215>, abgerufen am 21.11.2024.