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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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XIV. Fragment. Menschenschädel.

Ein künftiger beobachtender Zergliederer -- wird einige Quartanten liefern -- und die
Nachwelt in Erstaunen setzen!

Ohne zu untersuchen, ob die Bemerkung eines großen und kaltblütigen Zergliederers ihre
Richtigkeit habe: "daß unter zwanzig, dreyßig Enthaupteten, mithin Uebelthätern, beynahe alle so
"ganz besondere Charakter -- gehabt, die er an vielen hundert andern Zergliederten nie wahrgenom-
"men" -- -- Jch zeige meinen Mann an, wenn man an der Richtigkeit meiner Aussage zweifeln
will; -- ohne dieß zu untersuchen -- denn wie tief griffe die Untersuchung! -- denn die Uebel-
thäter, von wie ungleicher Art sind sie! -- ohne dieß hier zu untersuchen, wollen wir hier einige
ziemlich genau nach der Natur gezeichnete Schädel beobachten.

1.) Jst von einem unbekannten Menschen -- diese Perpendikularität des Profils im
Ganzen genommen -- (verglichen wenigstens mit 2.) ist mir sicherer Ausdruck von Dürftigkeit an
Witz und zarter Empfindung -- und wahrscheinlicher Ausdruck von Steifsinn.

Der unebne Umriß des Obertheils der Hirnschale -- bestätigt mir's und zeigt mir ziem-
lich zuverlässig Starrsinn.

Das Nasenbein ist Ausdruck festen Verstandes. So auch das vorstehende Kinn. Wenn
ich der Zeichnung vollkommen trauen dürfte, wollt' ich fast fragen, ob nicht an diesem Kopfe, der
höchst vermuthlich auch von einem Hingerichteten ist, Besonderheiten zu merken wären, welche die
obige kaum glaubliche Anmerkung bestätigten?

2.) Wie ausserordentlich verschieden von 1. -- Anlage zu einer langen gebogenen Nase --
wie starke Schleimhöhlen der zurückstehenden Stirn! welche Länge und Grobheit des Untertheils
des Gesichtes! wie viel weniger Feines, Gedrängtes, Verschlossenes! wie viel mehr rohes, gro-
bes, laffiges, kaltes, nnempfindliches Wesen!

3.) Schädel von einem hingerichteten alten Manne, der sich durch nichts so sehr, als
durch die Protuberanzen am Obertheile des Jochbeins, wo es an den untern Theil des Stirnbeins
stößt, beym Kreise des Auges -- und durch das eckigte Kinn auszeichnet. Die Stirn ist
gemein. --

4.) Der Schädel eines hingerichteten alten Mannes hat eine ausserordentliche dicke Hirn-
schale. Der Umriß der Stirn ist vortrefflich. Die Augen müssen sehr tief gelegen haben. Die

Stirnen
XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Ein kuͤnftiger beobachtender Zergliederer — wird einige Quartanten liefern — und die
Nachwelt in Erſtaunen ſetzen!

Ohne zu unterſuchen, ob die Bemerkung eines großen und kaltbluͤtigen Zergliederers ihre
Richtigkeit habe: „daß unter zwanzig, dreyßig Enthaupteten, mithin Uebelthaͤtern, beynahe alle ſo
„ganz beſondere Charakter — gehabt, die er an vielen hundert andern Zergliederten nie wahrgenom-
„men“ — — Jch zeige meinen Mann an, wenn man an der Richtigkeit meiner Ausſage zweifeln
will; — ohne dieß zu unterſuchen — denn wie tief griffe die Unterſuchung! — denn die Uebel-
thaͤter, von wie ungleicher Art ſind ſie! — ohne dieß hier zu unterſuchen, wollen wir hier einige
ziemlich genau nach der Natur gezeichnete Schaͤdel beobachten.

1.) Jſt von einem unbekannten Menſchen — dieſe Perpendikularitaͤt des Profils im
Ganzen genommen — (verglichen wenigſtens mit 2.) iſt mir ſicherer Ausdruck von Duͤrftigkeit an
Witz und zarter Empfindung — und wahrſcheinlicher Ausdruck von Steifſinn.

Der unebne Umriß des Obertheils der Hirnſchale — beſtaͤtigt mir’s und zeigt mir ziem-
lich zuverlaͤſſig Starrſinn.

Das Naſenbein iſt Ausdruck feſten Verſtandes. So auch das vorſtehende Kinn. Wenn
ich der Zeichnung vollkommen trauen duͤrfte, wollt’ ich faſt fragen, ob nicht an dieſem Kopfe, der
hoͤchſt vermuthlich auch von einem Hingerichteten iſt, Beſonderheiten zu merken waͤren, welche die
obige kaum glaubliche Anmerkung beſtaͤtigten?

2.) Wie auſſerordentlich verſchieden von 1. — Anlage zu einer langen gebogenen Naſe —
wie ſtarke Schleimhoͤhlen der zuruͤckſtehenden Stirn! welche Laͤnge und Grobheit des Untertheils
des Geſichtes! wie viel weniger Feines, Gedraͤngtes, Verſchloſſenes! wie viel mehr rohes, gro-
bes, laffiges, kaltes, nnempfindliches Weſen!

3.) Schaͤdel von einem hingerichteten alten Manne, der ſich durch nichts ſo ſehr, als
durch die Protuberanzen am Obertheile des Jochbeins, wo es an den untern Theil des Stirnbeins
ſtoͤßt, beym Kreiſe des Auges — und durch das eckigte Kinn auszeichnet. Die Stirn iſt
gemein. —

4.) Der Schaͤdel eines hingerichteten alten Mannes hat eine auſſerordentliche dicke Hirn-
ſchale. Der Umriß der Stirn iſt vortrefflich. Die Augen muͤſſen ſehr tief gelegen haben. Die

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[156/0220] XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. Ein kuͤnftiger beobachtender Zergliederer — wird einige Quartanten liefern — und die Nachwelt in Erſtaunen ſetzen! Ohne zu unterſuchen, ob die Bemerkung eines großen und kaltbluͤtigen Zergliederers ihre Richtigkeit habe: „daß unter zwanzig, dreyßig Enthaupteten, mithin Uebelthaͤtern, beynahe alle ſo „ganz beſondere Charakter — gehabt, die er an vielen hundert andern Zergliederten nie wahrgenom- „men“ — — Jch zeige meinen Mann an, wenn man an der Richtigkeit meiner Ausſage zweifeln will; — ohne dieß zu unterſuchen — denn wie tief griffe die Unterſuchung! — denn die Uebel- thaͤter, von wie ungleicher Art ſind ſie! — ohne dieß hier zu unterſuchen, wollen wir hier einige ziemlich genau nach der Natur gezeichnete Schaͤdel beobachten. 1.) Jſt von einem unbekannten Menſchen — dieſe Perpendikularitaͤt des Profils im Ganzen genommen — (verglichen wenigſtens mit 2.) iſt mir ſicherer Ausdruck von Duͤrftigkeit an Witz und zarter Empfindung — und wahrſcheinlicher Ausdruck von Steifſinn. Der unebne Umriß des Obertheils der Hirnſchale — beſtaͤtigt mir’s und zeigt mir ziem- lich zuverlaͤſſig Starrſinn. Das Naſenbein iſt Ausdruck feſten Verſtandes. So auch das vorſtehende Kinn. Wenn ich der Zeichnung vollkommen trauen duͤrfte, wollt’ ich faſt fragen, ob nicht an dieſem Kopfe, der hoͤchſt vermuthlich auch von einem Hingerichteten iſt, Beſonderheiten zu merken waͤren, welche die obige kaum glaubliche Anmerkung beſtaͤtigten? 2.) Wie auſſerordentlich verſchieden von 1. — Anlage zu einer langen gebogenen Naſe — wie ſtarke Schleimhoͤhlen der zuruͤckſtehenden Stirn! welche Laͤnge und Grobheit des Untertheils des Geſichtes! wie viel weniger Feines, Gedraͤngtes, Verſchloſſenes! wie viel mehr rohes, gro- bes, laffiges, kaltes, nnempfindliches Weſen! 3.) Schaͤdel von einem hingerichteten alten Manne, der ſich durch nichts ſo ſehr, als durch die Protuberanzen am Obertheile des Jochbeins, wo es an den untern Theil des Stirnbeins ſtoͤßt, beym Kreiſe des Auges — und durch das eckigte Kinn auszeichnet. Die Stirn iſt gemein. — 4.) Der Schaͤdel eines hingerichteten alten Mannes hat eine auſſerordentliche dicke Hirn- ſchale. Der Umriß der Stirn iſt vortrefflich. Die Augen muͤſſen ſehr tief gelegen haben. Die Stirnen

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/220>, abgerufen am 21.11.2024.