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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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XXIII. Fragment. Vögel.

Die Vorgebogenheit, die Kürze, die Schiefe, die Gewölbtheit, die Festigkeit seines obern
Schnabels -- sind dieß nicht alles redende Zeichen des Muths und der Stärke? Man sehe
1. 2. 4. 6.

Jm Geyer (3) wer sieht nicht im längern Hals und Schnabel und seinem gedehnteren
Wesen -- weniger Urkraft, und Adel?

Jm Kopfe der Nachteule (5) und (6) nicht den unedlern, knikerschern, scheuern Raub-
vogel?

Jm englischen Hahne (7) nicht Hochtraben des Stolzes? Blick der Eifersucht? --

Jm Straußcasuar (9 und 10) wie unbeschreiblich viel Physiognomie! welche Rohig-
keit! Böseweiberwuth! ohne Geschmack und Empsindung!

Nachäffung von Kraft, ohne Kraft, Geschwätzigkeit, Empfindlichkeit im Papagay
(11. und 19.)

Sanfte demüthige Scheue in der Taube. (13)

Jm Schwane (14) mehr Adel als in der Gans, weniger Kraft als im Adler, weniger
Zartheit als in der Taube, mehr Biegsamkeit als im Strauß?

Jn dem kleinen nicht tiefliegenden Auge, im flach und einfach gewölbten Schä-
del, im Mißverhältniß des Kopfes zum ungeheuren Schnabel des brasilischen Poly-
phems,
oder des großschnablichten Pfeffervogels -- (15) wer sieht darinn nicht Mangel an
muthiger Kraft? Es ist als ob der sich seines langen Schnabels schämte, und mit seinem Blicke zu
verstehen gebe -- "Jch kann und will nicht schaden, so schadenfroh mein Schnabel scheinen mag."

Jn der wilden Ente (16) nicht wilderes Wesen als im Schwan? ohne die Wurzelkraft
des Adlers.

Jn dem kleinen Auge, kleinen Kopfe, langen Schnabel des Kropf-Pelikans, oder der
Beutelgans -- (17) wo etwas von Rachblick der wilden Ente? von der Bonhomie der
Taube?

Zweyte
XXIII. Fragment. Voͤgel.

Die Vorgebogenheit, die Kuͤrze, die Schiefe, die Gewoͤlbtheit, die Feſtigkeit ſeines obern
Schnabels — ſind dieß nicht alles redende Zeichen des Muths und der Staͤrke? Man ſehe
1. 2. 4. 6.

Jm Geyer (3) wer ſieht nicht im laͤngern Hals und Schnabel und ſeinem gedehnteren
Weſen — weniger Urkraft, und Adel?

Jm Kopfe der Nachteule (5) und (6) nicht den unedlern, knikerſchern, ſcheuern Raub-
vogel?

Jm engliſchen Hahne (7) nicht Hochtraben des Stolzes? Blick der Eiferſucht? —

Jm Straußcaſuar (9 und 10) wie unbeſchreiblich viel Phyſiognomie! welche Rohig-
keit! Boͤſeweiberwuth! ohne Geſchmack und Empſindung!

Nachaͤffung von Kraft, ohne Kraft, Geſchwaͤtzigkeit, Empfindlichkeit im Papagay
(11. und 19.)

Sanfte demuͤthige Scheue in der Taube. (13)

Jm Schwane (14) mehr Adel als in der Gans, weniger Kraft als im Adler, weniger
Zartheit als in der Taube, mehr Biegſamkeit als im Strauß?

Jn dem kleinen nicht tiefliegenden Auge, im flach und einfach gewoͤlbten Schaͤ-
del, im Mißverhaͤltniß des Kopfes zum ungeheuren Schnabel des braſiliſchen Poly-
phems,
oder des großſchnablichten Pfeffervogels — (15) wer ſieht darinn nicht Mangel an
muthiger Kraft? Es iſt als ob der ſich ſeines langen Schnabels ſchaͤmte, und mit ſeinem Blicke zu
verſtehen gebe — „Jch kann und will nicht ſchaden, ſo ſchadenfroh mein Schnabel ſcheinen mag.“

Jn der wilden Ente (16) nicht wilderes Weſen als im Schwan? ohne die Wurzelkraft
des Adlers.

Jn dem kleinen Auge, kleinen Kopfe, langen Schnabel des Kropf-Pelikans, oder der
Beutelgans — (17) wo etwas von Rachblick der wilden Ente? von der Bonhomie der
Taube?

Zweyte
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[206/0328] XXIII. Fragment. Voͤgel. Die Vorgebogenheit, die Kuͤrze, die Schiefe, die Gewoͤlbtheit, die Feſtigkeit ſeines obern Schnabels — ſind dieß nicht alles redende Zeichen des Muths und der Staͤrke? Man ſehe 1. 2. 4. 6. Jm Geyer (3) wer ſieht nicht im laͤngern Hals und Schnabel und ſeinem gedehnteren Weſen — weniger Urkraft, und Adel? Jm Kopfe der Nachteule (5) und (6) nicht den unedlern, knikerſchern, ſcheuern Raub- vogel? Jm engliſchen Hahne (7) nicht Hochtraben des Stolzes? Blick der Eiferſucht? — Jm Straußcaſuar (9 und 10) wie unbeſchreiblich viel Phyſiognomie! welche Rohig- keit! Boͤſeweiberwuth! ohne Geſchmack und Empſindung! Nachaͤffung von Kraft, ohne Kraft, Geſchwaͤtzigkeit, Empfindlichkeit im Papagay (11. und 19.) Sanfte demuͤthige Scheue in der Taube. (13) Jm Schwane (14) mehr Adel als in der Gans, weniger Kraft als im Adler, weniger Zartheit als in der Taube, mehr Biegſamkeit als im Strauß? Jn dem kleinen nicht tiefliegenden Auge, im flach und einfach gewoͤlbten Schaͤ- del, im Mißverhaͤltniß des Kopfes zum ungeheuren Schnabel des braſiliſchen Poly- phems, oder des großſchnablichten Pfeffervogels — (15) wer ſieht darinn nicht Mangel an muthiger Kraft? Es iſt als ob der ſich ſeines langen Schnabels ſchaͤmte, und mit ſeinem Blicke zu verſtehen gebe — „Jch kann und will nicht ſchaden, ſo ſchadenfroh mein Schnabel ſcheinen mag.“ Jn der wilden Ente (16) nicht wilderes Weſen als im Schwan? ohne die Wurzelkraft des Adlers. Jn dem kleinen Auge, kleinen Kopfe, langen Schnabel des Kropf-Pelikans, oder der Beutelgans — (17) wo etwas von Rachblick der wilden Ente? von der Bonhomie der Taube? Zweyte

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/328>, abgerufen am 22.11.2024.