Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.III. Fragment. "Schau' ihn an, untersuch' ihn -- als wenn er allein wär'! Auch dann wirst du Kräfte "Und dann, vergleich' ihn wieder mit andern! -- seine Aehnlichkeit, seine Unähnlichkeit "Kein Mensch hört auf, Mensch zu seyn, und wenn er noch so tief unter die Würde der "So wenig ein Thier ein Mensch werden kann, obgleich es in manchen Geschicklichkeiten Aber selbst die Fähigkeit, sich freywillig unter die Thierheit, dem Scheine nach wenig- Die Thierphysiognomien sind keiner merklichen Verschlimmerung -- aber auch keiner Die schlechteste Menschenphysiognomie kann noch schlechter werden, kann aber immer auch Unbeschreiblich ist die Verderblichkeit und die Vervollkommlichkeit des Menschen. Dadurch
III. Fragment. „Schau’ ihn an, unterſuch’ ihn — als wenn er allein waͤr’! Auch dann wirſt du Kraͤfte „Und dann, vergleich’ ihn wieder mit andern! — ſeine Aehnlichkeit, ſeine Unaͤhnlichkeit „Kein Menſch hoͤrt auf, Menſch zu ſeyn, und wenn er noch ſo tief unter die Wuͤrde der „So wenig ein Thier ein Menſch werden kann, obgleich es in manchen Geſchicklichkeiten Aber ſelbſt die Faͤhigkeit, ſich freywillig unter die Thierheit, dem Scheine nach wenig- Die Thierphyſiognomien ſind keiner merklichen Verſchlimmerung — aber auch keiner Die ſchlechteſte Menſchenphyſiognomie kann noch ſchlechter werden, kann aber immer auch Unbeſchreiblich iſt die Verderblichkeit und die Vervollkommlichkeit des Menſchen. Dadurch
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III. Fragment.
„Schau’ ihn an, unterſuch’ ihn — als wenn er allein waͤr’! Auch dann wirſt du Kraͤfte
„und Trefflichkeiten an ihm bemerken, die ohne Vergleichung mit andern, an ſich ſchon alle Auf-
„merkſamkeit und Bewunderung verdienen.“ —
„Und dann, vergleich’ ihn wieder mit andern! — ſeine Aehnlichkeit, ſeine Unaͤhnlichkeit
„mit ſo vielen ſeiner vernuͤnftigen Nebengeſchoͤpfe; wie wird dich dieß in Erſtaunen ſetzen? wie
„wirſt du die Einzelheit, die Unentbehrlichkeit ſeines Daſeyns zu ſchaͤtzen anfangen? wie wirſt du
„die Harmonie aller ihn zu Einem Ganzen machenden Theile — wie ſeine Beziehung, die Bezie-
„hung ſeiner millionenfachen Jndividualitaͤt auf ſo manche andere — bewundern? — Bewundern
„und anbeten, die ſo einfach und ſo millionenfach ſich abwechſelnde Aeuſſerung der unerforſchbaren
„Allkraft, die ſich in der Menſchheit beſonders ſo — herrlich offenbaret.“
„Kein Menſch hoͤrt auf, Menſch zu ſeyn, und wenn er noch ſo tief unter die Wuͤrde der
„Menſchheit herabzuſinken ſcheint — So lang’ er kein Thier wird — iſt er immer noch der Ver-
„beſſerung und der Vervollkommnung faͤhig. Auch die ſchlechteſte Phyſiognomie iſt noch eine Men-
„ſchenphyſiognomie. Menſchheit bleibt immer Ehre und Zierde des Menſchen.“
„So wenig ein Thier ein Menſch werden kann, obgleich es in manchen Geſchicklichkeiten
„dem Menſchen gleich kommt, oder ihn allenfalls uͤbertrifft; — ſo wenig wird ein Menſch ein
„Thier; obgleich ſich mancher Menſch Dinge erlaubt, die wir nicht einmal an unvernuͤnftigen
„Thieren ohne Abſcheu anſehen koͤnnten.“
Aber ſelbſt die Faͤhigkeit, ſich freywillig unter die Thierheit, dem Scheine nach wenig-
ſtens, zu erniedrigen — ſelbſt dieſe iſt Ehre und Vorrecht der Menſchheit; — denn eben dieſelbe Faͤ-
higkeit, die Faͤhigkeit alles mit Verſtand, Willkuͤhr und Wahl nachzuahmen — eben dieſe Faͤhig-
keit hat doch nur der Menſch — und durchaus kein Thier.
Die Thierphyſiognomien ſind keiner merklichen Verſchlimmerung — aber auch keiner
merklichen Verbeſſerung und Verſchoͤnerung faͤhig.
Die ſchlechteſte Menſchenphyſiognomie kann noch ſchlechter werden, kann aber immer auch
wieder, wenigſtens bis auf einen gewiſſen Grad, verbeſſert und veredelt werden.
Unbeſchreiblich iſt die Verderblichkeit und die Vervollkommlichkeit des Menſchen.
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