Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.III. Fragment. Zugabe. Einige Beobachtungen So viele Todte ich gesehen, hab' ich dabey die einförmige Beobachtung gemacht, daß sie et- Dürfte nicht vielleicht (dacht ich) bey allen Menschen eine Grundphysiognomie seyn? Bey einigen Sterbenden, die nichts weniger als einen edlen, großen, oder erhabenen Nachstehende Vignette ist von einem Thoren, der in seiner Jugend ein sehr verständi- verlor
III. Fragment. Zugabe. Einige Beobachtungen So viele Todte ich geſehen, hab’ ich dabey die einfoͤrmige Beobachtung gemacht, daß ſie et- Duͤrfte nicht vielleicht (dacht ich) bey allen Menſchen eine Grundphyſiognomie ſeyn? Bey einigen Sterbenden, die nichts weniger als einen edlen, großen, oder erhabenen Nachſtehende Vignette iſt von einem Thoren, der in ſeiner Jugend ein ſehr verſtaͤndi- verlor
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III. Fragment. Zugabe. Einige Beobachtungen
So viele Todte ich geſehen, hab’ ich dabey die einfoͤrmige Beobachtung gemacht, daß ſie et-
wa 16, 18, 24 Stunden nach ihrem Tode (je nachdem ſie eine Krankheit gehabt hatten) eine ſchoͤnere
Zeichnung hatten, als ſie in ihrem Leben niemals gehabt hatten — viel beſtimmter, proportionir-
ter, harmoniſcher, homogeniſcher, edler, viel edler, erhabner .....
Duͤrfte nicht vielleicht (dacht ich) bey allen Menſchen eine Grundphyſiognomie ſeyn?
durch die Ebbe und Fluth der Zufaͤlle und Leidenſchaften verſchwemmt? vertruͤbt? — die ſich
nach und nach durch die Ruhe des Todes wieder herrſtellte, wie truͤbgewordenes Waſſer, wenn’s
unzerruͤttet ſtehen kann, helle wird?
Bey einigen Sterbenden, die nichts weniger als einen edlen, großen, oder erhabenen
Charakter in ihrem Leben gehabt hatten, hab’ ich einige Stunden vor ihrem Tode, bey eini-
gen bloß einige Augenblicke vorher — (die eine war im Delirio —) eine unausſprechliche Ver-
edlung ihrer Phyſiognomie wahrgenommen! Man ſah einen neuen Menſchen vor ſich! Colorit
und Zeichnung und Grazie — alles neu — alles morgenroͤthlicht! himmliſch! .. unbeſchreib-
lich edel — erhaben! der Unaufmerkſamſte mußte ſehen, der Unempfindlichſte empfinden.
Ebenbild Gottes — ſah ich unter den Truͤmmern der Verweſung hervorglaͤnzen, mußte mich
wenden, ſchweigen, und anbeten — Ja! du biſt noch — biſt noch — Herrlichkeit Got-
tes — auch in den ſchwaͤchſten, fehlervollſten Menſchen — wenn das duͤrre Holz noch ſo bluͤ-
hen kann, wie wird’s das gruͤne?
Nachſtehende Vignette iſt von einem Thoren, der in ſeiner Jugend ein ſehr verſtaͤndi-
ger, ſehr trefflicher, herzguter Menſch war — durch harte Begegnung ſeines wilden Vaters
aber wegen ſeiner vermuthlichen Verliebtheit — ſo mißhandelt wurde, daß er den Verſtand
verlor
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