Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweytes Fragment.
Eine Tafel mit vier Mundstücken. M. m.
Des III. Ban-
des XXV.
Tafel.
1. Sinnliche, fleischlichste Wollust im vollgerundeten Kinn -- der Mund selbst
weder roh noch fein, weder erhaben noch ganz gemein; -- aber auch nichts weni-
ger, als rein und bestimmt ausgezeichnet. Nicht in der Ober- und Unterlippe liegt der Ausdruck --
zum Theil im Umrisse der Oberlippe über die Zähne zeigt sich harmloses einfaches Schmachten, das
sich am meisten durch die Offenheit der Lippen ausdrückt. Schon ist aber der obere Umriß der
Unterlippe wieder viel zu unbestimmt, zu ungedacht. --
2. Die Oberlippe an sich nicht so gut ausgeführt, und charakterisirt, als die untere, die sich
so trefflich wölbt, und wäre sie, wie's seyn sollte, kleiner, als die Oberlippe, und stünde sie etwas
tiefer zurück -- wie viel geistvoller wäre sie! aber die Mittellinie! wie viel Klugheit -- ohne Bos-
heit und Leidenschaft! Ruhe -- Bonhomie, ohne eigentlich feine Güte. --
3. Mehr Wollust als 2, und weniger als 1. -- mehr Güte als beyde! Diese Güte in den
sich emporziehenden beyden Enden; vornehmlich aber in dem Herabsinken des mittelsten Theiles der
Mittellinie. Hat die Mittellinie von 2. mehr Ausdruck von Ruhe; so erhebt sie sich in 3. zur Be-
haglichkeit und Zufriedenheit.
4. Nicht Güte; nicht Freude; nicht Zufriedenheit; nicht Ruhe -- Gewaltsamkeit --
Einfachheit! -- Rauhigkeit? -- Nein! mehr Grobheit ohne Wildheit -- die Oberlippe ist nicht
gezeichnet. Der Mund -- nicht Theilnehmung -- und doch schwebt ein Hauch von Theilnehmung
drüber. Das Kinn -- ohne alle Kleinheit, Feinheit, Zärtlichkeit -- Geschmack, Adel.
[Abbildung]

Drittes
Q 2
Zweytes Fragment.
Eine Tafel mit vier Mundſtuͤcken. M. m.
Des III. Ban-
des XXV.
Tafel.
1. Sinnliche, fleiſchlichſte Wolluſt im vollgerundeten Kinn — der Mund ſelbſt
weder roh noch fein, weder erhaben noch ganz gemein; — aber auch nichts weni-
ger, als rein und beſtimmt ausgezeichnet. Nicht in der Ober- und Unterlippe liegt der Ausdruck —
zum Theil im Umriſſe der Oberlippe uͤber die Zaͤhne zeigt ſich harmloſes einfaches Schmachten, das
ſich am meiſten durch die Offenheit der Lippen ausdruͤckt. Schon iſt aber der obere Umriß der
Unterlippe wieder viel zu unbeſtimmt, zu ungedacht. —
2. Die Oberlippe an ſich nicht ſo gut ausgefuͤhrt, und charakteriſirt, als die untere, die ſich
ſo trefflich woͤlbt, und waͤre ſie, wie’s ſeyn ſollte, kleiner, als die Oberlippe, und ſtuͤnde ſie etwas
tiefer zuruͤck — wie viel geiſtvoller waͤre ſie! aber die Mittellinie! wie viel Klugheit — ohne Bos-
heit und Leidenſchaft! Ruhe — Bonhomie, ohne eigentlich feine Guͤte. —
3. Mehr Wolluſt als 2, und weniger als 1. — mehr Guͤte als beyde! Dieſe Guͤte in den
ſich emporziehenden beyden Enden; vornehmlich aber in dem Herabſinken des mittelſten Theiles der
Mittellinie. Hat die Mittellinie von 2. mehr Ausdruck von Ruhe; ſo erhebt ſie ſich in 3. zur Be-
haglichkeit und Zufriedenheit.
4. Nicht Guͤte; nicht Freude; nicht Zufriedenheit; nicht Ruhe — Gewaltſamkeit —
Einfachheit! — Rauhigkeit? — Nein! mehr Grobheit ohne Wildheit — die Oberlippe iſt nicht
gezeichnet. Der Mund — nicht Theilnehmung — und doch ſchwebt ein Hauch von Theilnehmung
druͤber. Das Kinn — ohne alle Kleinheit, Feinheit, Zaͤrtlichkeit — Geſchmack, Adel.
[Abbildung]

Drittes
Q 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0189" n="123"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Zweytes Fragment.<lb/>
Eine Tafel mit vier Mund&#x017F;tu&#x0364;cken. <hi rendition="#aq">M. m.</hi></hi> </head><lb/>
          <note place="left">Des <hi rendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">XXV.</hi><lb/>
Tafel.</note>
          <list>
            <item>1. <hi rendition="#in">S</hi>innliche, flei&#x017F;chlich&#x017F;te Wollu&#x017F;t im vollgerundeten Kinn &#x2014; der Mund &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
weder roh noch fein, weder erhaben noch ganz gemein; &#x2014; aber auch nichts weni-<lb/>
ger, als rein und be&#x017F;timmt ausgezeichnet. Nicht in der Ober- und Unterlippe liegt der Ausdruck &#x2014;<lb/>
zum Theil im Umri&#x017F;&#x017F;e der Oberlippe u&#x0364;ber die Za&#x0364;hne zeigt &#x017F;ich harmlo&#x017F;es einfaches Schmachten, das<lb/>
&#x017F;ich am mei&#x017F;ten durch die <hi rendition="#fr">Offenheit</hi> der Lippen ausdru&#x0364;ckt. Schon i&#x017F;t aber der obere Umriß der<lb/>
Unterlippe wieder viel zu unbe&#x017F;timmt, zu ungedacht. &#x2014;</item><lb/>
            <item>2. Die Oberlippe an &#x017F;ich nicht &#x017F;o gut ausgefu&#x0364;hrt, und charakteri&#x017F;irt, als die untere, die &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o trefflich wo&#x0364;lbt, und wa&#x0364;re &#x017F;ie, wie&#x2019;s &#x017F;eyn &#x017F;ollte, kleiner, als die Oberlippe, und &#x017F;tu&#x0364;nde &#x017F;ie etwas<lb/>
tiefer zuru&#x0364;ck &#x2014; wie viel gei&#x017F;tvoller wa&#x0364;re &#x017F;ie! aber die Mittellinie! wie viel Klugheit &#x2014; ohne Bos-<lb/>
heit und Leiden&#x017F;chaft! Ruhe &#x2014; Bonhomie, ohne eigentlich feine Gu&#x0364;te. &#x2014;</item><lb/>
            <item>3. Mehr Wollu&#x017F;t als 2, und weniger als 1. &#x2014; mehr Gu&#x0364;te als beyde! Die&#x017F;e Gu&#x0364;te in den<lb/>
&#x017F;ich emporziehenden beyden Enden; vornehmlich aber in dem Herab&#x017F;inken des mittel&#x017F;ten Theiles der<lb/>
Mittellinie. Hat die Mittellinie von 2. mehr Ausdruck von Ruhe; &#x017F;o erhebt &#x017F;ie &#x017F;ich in 3. zur Be-<lb/>
haglichkeit und Zufriedenheit.</item><lb/>
            <item>4. Nicht Gu&#x0364;te; nicht Freude; nicht Zufriedenheit; nicht Ruhe &#x2014; Gewalt&#x017F;amkeit &#x2014;<lb/>
Einfachheit! &#x2014; Rauhigkeit? &#x2014; Nein! mehr Grobheit ohne Wildheit &#x2014; die Oberlippe i&#x017F;t nicht<lb/>
gezeichnet. Der Mund &#x2014; nicht Theilnehmung &#x2014; und doch &#x017F;chwebt ein Hauch von Theilnehmung<lb/>
dru&#x0364;ber. Das Kinn &#x2014; ohne alle Kleinheit, Feinheit, Za&#x0364;rtlichkeit &#x2014; Ge&#x017F;chmack, Adel.</item>
          </list><lb/>
          <figure/>
        </div>
        <fw place="bottom" type="sig">Q 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Drittes</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0189] Zweytes Fragment. Eine Tafel mit vier Mundſtuͤcken. M. m. 1. Sinnliche, fleiſchlichſte Wolluſt im vollgerundeten Kinn — der Mund ſelbſt weder roh noch fein, weder erhaben noch ganz gemein; — aber auch nichts weni- ger, als rein und beſtimmt ausgezeichnet. Nicht in der Ober- und Unterlippe liegt der Ausdruck — zum Theil im Umriſſe der Oberlippe uͤber die Zaͤhne zeigt ſich harmloſes einfaches Schmachten, das ſich am meiſten durch die Offenheit der Lippen ausdruͤckt. Schon iſt aber der obere Umriß der Unterlippe wieder viel zu unbeſtimmt, zu ungedacht. — 2. Die Oberlippe an ſich nicht ſo gut ausgefuͤhrt, und charakteriſirt, als die untere, die ſich ſo trefflich woͤlbt, und waͤre ſie, wie’s ſeyn ſollte, kleiner, als die Oberlippe, und ſtuͤnde ſie etwas tiefer zuruͤck — wie viel geiſtvoller waͤre ſie! aber die Mittellinie! wie viel Klugheit — ohne Bos- heit und Leidenſchaft! Ruhe — Bonhomie, ohne eigentlich feine Guͤte. — 3. Mehr Wolluſt als 2, und weniger als 1. — mehr Guͤte als beyde! Dieſe Guͤte in den ſich emporziehenden beyden Enden; vornehmlich aber in dem Herabſinken des mittelſten Theiles der Mittellinie. Hat die Mittellinie von 2. mehr Ausdruck von Ruhe; ſo erhebt ſie ſich in 3. zur Be- haglichkeit und Zufriedenheit. 4. Nicht Guͤte; nicht Freude; nicht Zufriedenheit; nicht Ruhe — Gewaltſamkeit — Einfachheit! — Rauhigkeit? — Nein! mehr Grobheit ohne Wildheit — die Oberlippe iſt nicht gezeichnet. Der Mund — nicht Theilnehmung — und doch ſchwebt ein Hauch von Theilnehmung druͤber. Das Kinn — ohne alle Kleinheit, Feinheit, Zaͤrtlichkeit — Geſchmack, Adel. [Abbildung] Drittes Q 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/189
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/189>, abgerufen am 21.11.2024.