Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.I. Fragment. sich beschweren, legt man Fakta der Natur dem Philosophen vor -- denn was ist ein Philosophanders, als ein Naturforscher -- also ... u. s. w. Genug -- Es ist schlechterdings unläugbar; es ist ein dreyfaches Leben im Menschen vor- Wie man aber aus dieser Behauptung Materialismus folgern konnte, weiß ich nicht. "Jeder Zweig dieses dreyfachen Lebens rührt von Einem Geiste her. Wie oft unter- Wahr ist's, ich sage Seite 35. 36. "Jedes von diesen Leben entsteht und vergeht mit dem Mensch,
I. Fragment. ſich beſchweren, legt man Fakta der Natur dem Philoſophen vor — denn was iſt ein Philoſophanders, als ein Naturforſcher — alſo ... u. ſ. w. Genug — Es iſt ſchlechterdings unlaͤugbar; es iſt ein dreyfaches Leben im Menſchen vor- Wie man aber aus dieſer Behauptung Materialismus folgern konnte, weiß ich nicht. „Jeder Zweig dieſes dreyfachen Lebens ruͤhrt von Einem Geiſte her. Wie oft unter- Wahr iſt’s, ich ſage Seite 35. 36. „Jedes von dieſen Leben entſteht und vergeht mit dem Menſch,
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I. Fragment.
ſich beſchweren, legt man Fakta der Natur dem Philoſophen vor — denn was iſt ein Philoſoph
anders, als ein Naturforſcher — alſo ... u. ſ. w.
Genug — Es iſt ſchlechterdings unlaͤugbar; es iſt ein dreyfaches Leben im Menſchen vor-
handen, welches ganz verſchiedener Nahrung bedarf.
Wie man aber aus dieſer Behauptung Materialismus folgern konnte, weiß ich nicht.
Jn unzaͤhligen Stellen der Phyſiognomik und aller meiner Schriften hab’ ich ſo oft das moͤglichſte
Gegentheil des Materialismus behauptet. Nirgends entſcheidender, als gerade in dieſem V.
Fragmente.
„Jeder Zweig dieſes dreyfachen Lebens ruͤhrt von Einem Geiſte her. Wie oft unter-
„ſcheid’ ich das Belebende und das Belebte — Geiſt und Materie!“
Wahr iſt’s, ich ſage Seite 35. 36. „Jedes von dieſen Leben entſteht und vergeht mit dem
„ihm angewieſenen Organum — Alles an dem Menſchen iſt, bloßen, klaren Beobachtungen zu-
„folge — phyſiſch. Der Menſch iſt im Ganzen, iſt in allen ſeinen Theilen, nach allen ſeinen
„Kraͤften und Eigenſchaften, ein bloß phyſiſches Weſen — aber ich ſetze hinzu: Jn ſo fern er
„beobachtet werden kann .. Setze hinzu — So weit naͤmlich unſere bisherigen Beobach-
„tungen reichen; ich ſage Beobachtungen, denn, was philoſophiſche Vermuthungen, oder
„goͤttliche Offenbarungen uns weiter hieruͤber mehr oder weniger klar und beſtimmt ſagen, das laͤßt
„der bloß beobachtende Naturforſcher als ſolcher auf der Seite.“ — Jch bitte um nichts,
als um redliche Anfuͤhrung meiner Worte — um ganzes Anhoͤren. Uebrigens geſteh’ ich gern,
daß ich nicht an irgend einen bisher bekannten Begriff — oder angenommenes Syſtem von der
Seele glaube; daß mir alles — der Materialismus — und der ganze Wolfianismus hieruͤber ge-
rade gleich abgeſchmackt vorkommen; daß ich unter keinem von dieſen beyden waͤhlen moͤchte; noch
mehr, daß ich gar kein Syſtem hieruͤber habe, und keines haben will, und es fuͤr ſchlechterdings
unmoͤglich halte, ein wahres haben zu koͤnnen. So wenig das Auge ſich ſelber unmittelbar und
ohne Spiegel ſehen kann; ſo wenig glaub’ ich, kann mein unſichtbares Jch von ſich ſelbſt, ſeiner
metaphyſiſchen Natur, den mindeſten wahren Begriff haben! Es kann ſich nur empfinden — nur
mit andern Weſen vergleichen; nur ſagen — „ich — bin nicht das Auge, das Ohr; ich bin noch,
„wenn man mir Aug’ und Ohr, Hand und Fuß nimmt“ — Jch bin feſt uͤberzeugt, daß kein
Menſch,
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