Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
VII. Abschnitt. VI. Fragment.
Benjamin West im Profile. b.
Des III. Ban-
des LI. Tafel.

Vortreffliches Gesichtgen -- und so bestimmt redend, so unverwirrt physiognomisch,
wie möglich.

Das Ganze, stiller Adel, Reinheit, Gleichheit, Sanftheit, nicht fade -- Glattheit. Die
Stirn -- nur verständig, heiter, überlegend -- aber auch mehr nicht. Mehr wäre sie -- wenn sie
oben mehr sich zurücksenkte; obenher entweder gebogner oder gerader wäre. Der Uebergang von
der Stirne zur Nase -- wenn's nicht mißdeutet würde, denn ich habe gewiß große Hochachtung
für den vortrefflichen Mann -- ich würde sagen: Hier der Sitz seiner Mißzeichnungen! Hier die
Quelle von der unüberlegten Länge beynah aller seiner, besonders sitzenden Figuren. Das Auge --
vielsehend, hellsehend -- ein treffliches, alle Umrisse bestimmendes, Licht und Schatten ordnendes --
Fernglas -- eine lebendige Camera obscura; ein herrlich glückliches Mittel zwischen vordringen-
dem Feuer -- und bloß leidsamer Empfänglichkeit. -- Aber dann die herrliche, engelreine Nase!
wer die nicht fühlt, hier nicht gestehen muß -- Nase ist einer der redendsten Theile des Gesichtes --
gewiß das Edelste, Vortheilhafteste, Beste in dem gegenwärtigen Gesichte -- wenn alles andere
zugedeckt würde, für sich allein redend -- und was redend: "Jch bin der wenigen Edeln, der Aus-
"erwählten Einer, die Sinn haben zu sehen die Herrlichkeit des Herrn in seinen Wegen und
"Werken. --

Bis zum Nasenloche geht der reinste Ausdruck von Geist -- Er sinkt schon, erlöscht schon
ein wenig unter der Nase; nicht daß der Umriß unedel werde; aber er sinkt von Größe gegen Mit-
telmäßigkeit herab. Jm Munde -- reinweibliche Sanftheit und denkender Geschmack -- und viel
edler als in allen übrigen Porträten, die man von ihm hat. Das Kinn -- voll weiblicher
Gutheit.

Gestalt und Stellung -- vollkommen in der Harmonie mit dem Ganzen -- Gestalt und
Stellung eines Gestalten still in sich trinkenden Sehers.



Siebentes
VII. Abſchnitt. VI. Fragment.
Benjamin Weſt im Profile. b.
Des III. Ban-
des LI. Tafel.

Vortreffliches Geſichtgen — und ſo beſtimmt redend, ſo unverwirrt phyſiognomiſch,
wie moͤglich.

Das Ganze, ſtiller Adel, Reinheit, Gleichheit, Sanftheit, nicht fade — Glattheit. Die
Stirn — nur verſtaͤndig, heiter, uͤberlegend — aber auch mehr nicht. Mehr waͤre ſie — wenn ſie
oben mehr ſich zuruͤckſenkte; obenher entweder gebogner oder gerader waͤre. Der Uebergang von
der Stirne zur Naſe — wenn’s nicht mißdeutet wuͤrde, denn ich habe gewiß große Hochachtung
fuͤr den vortrefflichen Mann — ich wuͤrde ſagen: Hier der Sitz ſeiner Mißzeichnungen! Hier die
Quelle von der unuͤberlegten Laͤnge beynah aller ſeiner, beſonders ſitzenden Figuren. Das Auge —
vielſehend, hellſehend — ein treffliches, alle Umriſſe beſtimmendes, Licht und Schatten ordnendes —
Fernglas — eine lebendige Camera obſcura; ein herrlich gluͤckliches Mittel zwiſchen vordringen-
dem Feuer — und bloß leidſamer Empfaͤnglichkeit. — Aber dann die herrliche, engelreine Naſe!
wer die nicht fuͤhlt, hier nicht geſtehen muß — Naſe iſt einer der redendſten Theile des Geſichtes —
gewiß das Edelſte, Vortheilhafteſte, Beſte in dem gegenwaͤrtigen Geſichte — wenn alles andere
zugedeckt wuͤrde, fuͤr ſich allein redend — und was redend: „Jch bin der wenigen Edeln, der Aus-
„erwaͤhlten Einer, die Sinn haben zu ſehen die Herrlichkeit des Herrn in ſeinen Wegen und
„Werken. —

Bis zum Naſenloche geht der reinſte Ausdruck von Geiſt — Er ſinkt ſchon, erloͤſcht ſchon
ein wenig unter der Naſe; nicht daß der Umriß unedel werde; aber er ſinkt von Groͤße gegen Mit-
telmaͤßigkeit herab. Jm Munde — reinweibliche Sanftheit und denkender Geſchmack — und viel
edler als in allen uͤbrigen Portraͤten, die man von ihm hat. Das Kinn — voll weiblicher
Gutheit.

Geſtalt und Stellung — vollkommen in der Harmonie mit dem Ganzen — Geſtalt und
Stellung eines Geſtalten ſtill in ſich trinkenden Sehers.



Siebentes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0296" n="180"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">VI.</hi> Fragment.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Benjamin We&#x017F;t im Profile.</hi> <hi rendition="#aq">b.</hi> </hi> </head><lb/>
            <note place="left">Des <hi rendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">LI.</hi> Tafel.</note>
            <p><hi rendition="#in">V</hi>ortreffliches Ge&#x017F;ichtgen &#x2014; und &#x017F;o be&#x017F;timmt redend, &#x017F;o unverwirrt phy&#x017F;iognomi&#x017F;ch,<lb/>
wie mo&#x0364;glich.</p><lb/>
            <p>Das Ganze, &#x017F;tiller Adel, Reinheit, Gleichheit, Sanftheit, nicht fade &#x2014; Glattheit. Die<lb/>
Stirn &#x2014; nur ver&#x017F;ta&#x0364;ndig, heiter, u&#x0364;berlegend &#x2014; aber auch mehr nicht. Mehr wa&#x0364;re &#x017F;ie &#x2014; wenn &#x017F;ie<lb/>
oben mehr &#x017F;ich zuru&#x0364;ck&#x017F;enkte; obenher entweder gebogner oder gerader wa&#x0364;re. Der Uebergang von<lb/>
der Stirne zur Na&#x017F;e &#x2014; wenn&#x2019;s nicht mißdeutet wu&#x0364;rde, denn ich habe gewiß große Hochachtung<lb/>
fu&#x0364;r den vortrefflichen Mann &#x2014; ich wu&#x0364;rde &#x017F;agen: Hier der Sitz &#x017F;einer Mißzeichnungen! Hier die<lb/>
Quelle von der <hi rendition="#fr">unu&#x0364;berlegten</hi> La&#x0364;nge beynah aller &#x017F;einer, be&#x017F;onders &#x017F;itzenden Figuren. Das Auge &#x2014;<lb/>
viel&#x017F;ehend, hell&#x017F;ehend &#x2014; ein treffliches, alle Umri&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;timmendes, Licht und Schatten ordnendes &#x2014;<lb/>
Fernglas &#x2014; eine lebendige <hi rendition="#aq">Camera ob&#x017F;cura;</hi> ein herrlich glu&#x0364;ckliches Mittel zwi&#x017F;chen vordringen-<lb/>
dem Feuer &#x2014; und bloß leid&#x017F;amer Empfa&#x0364;nglichkeit. &#x2014; Aber dann die herrliche, engelreine Na&#x017F;e!<lb/>
wer die nicht fu&#x0364;hlt, hier nicht ge&#x017F;tehen muß &#x2014; Na&#x017F;e i&#x017F;t einer der redend&#x017F;ten Theile des Ge&#x017F;ichtes &#x2014;<lb/>
gewiß das Edel&#x017F;te, Vortheilhafte&#x017F;te, Be&#x017F;te in dem gegenwa&#x0364;rtigen Ge&#x017F;ichte &#x2014; wenn alles andere<lb/>
zugedeckt wu&#x0364;rde, fu&#x0364;r &#x017F;ich allein redend &#x2014; und was redend: &#x201E;Jch bin der wenigen Edeln, der Aus-<lb/>
&#x201E;erwa&#x0364;hlten Einer, die Sinn haben zu &#x017F;ehen die Herrlichkeit des Herrn in &#x017F;einen Wegen und<lb/>
&#x201E;Werken. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Bis zum Na&#x017F;enloche geht der rein&#x017F;te Ausdruck von Gei&#x017F;t &#x2014; Er &#x017F;inkt &#x017F;chon, erlo&#x0364;&#x017F;cht &#x017F;chon<lb/>
ein wenig unter der Na&#x017F;e; nicht daß der Umriß unedel werde; aber er &#x017F;inkt von Gro&#x0364;ße gegen Mit-<lb/>
telma&#x0364;ßigkeit herab. Jm Munde &#x2014; reinweibliche Sanftheit und denkender Ge&#x017F;chmack &#x2014; und viel<lb/>
edler als in allen u&#x0364;brigen Portra&#x0364;ten, die man von ihm hat. Das Kinn &#x2014; voll weiblicher<lb/>
Gutheit.</p><lb/>
            <p>Ge&#x017F;talt und Stellung &#x2014; vollkommen in der Harmonie mit dem Ganzen &#x2014; Ge&#x017F;talt und<lb/>
Stellung eines Ge&#x017F;talten &#x017F;till in &#x017F;ich trinkenden Sehers.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Siebentes</hi> </fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0296] VII. Abſchnitt. VI. Fragment. Benjamin Weſt im Profile. b. Vortreffliches Geſichtgen — und ſo beſtimmt redend, ſo unverwirrt phyſiognomiſch, wie moͤglich. Das Ganze, ſtiller Adel, Reinheit, Gleichheit, Sanftheit, nicht fade — Glattheit. Die Stirn — nur verſtaͤndig, heiter, uͤberlegend — aber auch mehr nicht. Mehr waͤre ſie — wenn ſie oben mehr ſich zuruͤckſenkte; obenher entweder gebogner oder gerader waͤre. Der Uebergang von der Stirne zur Naſe — wenn’s nicht mißdeutet wuͤrde, denn ich habe gewiß große Hochachtung fuͤr den vortrefflichen Mann — ich wuͤrde ſagen: Hier der Sitz ſeiner Mißzeichnungen! Hier die Quelle von der unuͤberlegten Laͤnge beynah aller ſeiner, beſonders ſitzenden Figuren. Das Auge — vielſehend, hellſehend — ein treffliches, alle Umriſſe beſtimmendes, Licht und Schatten ordnendes — Fernglas — eine lebendige Camera obſcura; ein herrlich gluͤckliches Mittel zwiſchen vordringen- dem Feuer — und bloß leidſamer Empfaͤnglichkeit. — Aber dann die herrliche, engelreine Naſe! wer die nicht fuͤhlt, hier nicht geſtehen muß — Naſe iſt einer der redendſten Theile des Geſichtes — gewiß das Edelſte, Vortheilhafteſte, Beſte in dem gegenwaͤrtigen Geſichte — wenn alles andere zugedeckt wuͤrde, fuͤr ſich allein redend — und was redend: „Jch bin der wenigen Edeln, der Aus- „erwaͤhlten Einer, die Sinn haben zu ſehen die Herrlichkeit des Herrn in ſeinen Wegen und „Werken. — Bis zum Naſenloche geht der reinſte Ausdruck von Geiſt — Er ſinkt ſchon, erloͤſcht ſchon ein wenig unter der Naſe; nicht daß der Umriß unedel werde; aber er ſinkt von Groͤße gegen Mit- telmaͤßigkeit herab. Jm Munde — reinweibliche Sanftheit und denkender Geſchmack — und viel edler als in allen uͤbrigen Portraͤten, die man von ihm hat. Das Kinn — voll weiblicher Gutheit. Geſtalt und Stellung — vollkommen in der Harmonie mit dem Ganzen — Geſtalt und Stellung eines Geſtalten ſtill in ſich trinkenden Sehers. Siebentes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/296
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/296>, abgerufen am 22.11.2024.