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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Dichter.
Des III. Ban-
des LXIII.
Tafel. H.

Jn dieser weder geraden, noch scharfen, noch stark gewölbten, einfachen, harmlo-
sen Stirne -- wie viel leichter, sicherer, auffassender, entwirrender Verstand! gerü-
stete, behaltsame, leicht und reichlich darreichende Gedächtnißkraft!

Das Aug unter dieser idealisirenden Augenbraune, und in dieser Tiefe, mit diesem hellen, ru-
higdringenden Blicke -- ist des unermüdeten, ausschöpfenden, aufgrabenden, idealisirenden Beob-
achters. Kraft hat's zum überschauen, durchschauen, detailliren -- mehr als schnell und ganz zu
umfassen.

Die aufwärts vorspringende, leichte, zartbeschnittene Nase offenbar des feinfühlenden,
weitriechenden, sanft an sich haltenden, treuen, im Leiden zum Leiden gestärkten.

Von der Spitze der Nase bis zur Unterlippe, die freylich hier etwas platt gewordene Ober-
lippe mit gerechnet, bis zur Ueberhinausschweifung edellaunig.

Der ganze Mund -- voll theilnehmender, unschmachtender Güte, Treue, und gelassener
Dienstfertigkeit! Er scheint einer eben bemerkten, feingefühlten, unschädlichen Disharmonie zuzu-
lächeln. Fürchte dich nicht -- im Zorne wird er nicht mit dir reden! Aber zu weiser Belehrung,
treuer Ermunterung, leisem, selbst empfundenem Troste, heiterer, unerbitternder, obgleich nicht
salzloser Laune -- öffnet er sich.

Das Kinn, an dem so viel von des Mundes heiterer Treue herabzuschweben scheint --
abermals in der Harmonie des ruhigen Ganzen -- So ein Kinn -- es scheint nachgebend aus
Ueberlegung. Es hat, wie der etwas zu gedehnte untere Drittel des Gesichtes, etwas lästiges --
allenfalls in Ansehung des häuslichen Ameüblements, der Bücher, Schriften, Aufsätze, Pa-
piere -- Unordnung ausdrückendes.

Mahlzeichen duldender Mühseligkeit scheinen sich an der Kinnlade vom Ohre bis zum
Kinn auf und nieder zu wälzen.

Ueberm Ganzen ruht -- welche reine Lieblichkeit! Langmuth! verzeihende Liebe! Treue!
Offenheit -- und Verschlossenheit zugleich! --

Wer kennt seinen Pastor Groß? und sieht nicht dessen Seelengrund, Leidensgelassen-
heit? Jn sich geschlungene, auf ihrer Wurzel ruhende Kraft, Erfahrung -- gesammelt auf die-
sem Gesichte.

Die
D d 3
Dichter.
Des III. Ban-
des LXIII.
Tafel. H.

Jn dieſer weder geraden, noch ſcharfen, noch ſtark gewoͤlbten, einfachen, harmlo-
ſen Stirne — wie viel leichter, ſicherer, auffaſſender, entwirrender Verſtand! geruͤ-
ſtete, behaltſame, leicht und reichlich darreichende Gedaͤchtnißkraft!

Das Aug unter dieſer idealiſirenden Augenbraune, und in dieſer Tiefe, mit dieſem hellen, ru-
higdringenden Blicke — iſt des unermuͤdeten, ausſchoͤpfenden, aufgrabenden, idealiſirenden Beob-
achters. Kraft hat’s zum uͤberſchauen, durchſchauen, detailliren — mehr als ſchnell und ganz zu
umfaſſen.

Die aufwaͤrts vorſpringende, leichte, zartbeſchnittene Naſe offenbar des feinfuͤhlenden,
weitriechenden, ſanft an ſich haltenden, treuen, im Leiden zum Leiden geſtaͤrkten.

Von der Spitze der Naſe bis zur Unterlippe, die freylich hier etwas platt gewordene Ober-
lippe mit gerechnet, bis zur Ueberhinausſchweifung edellaunig.

Der ganze Mund — voll theilnehmender, unſchmachtender Guͤte, Treue, und gelaſſener
Dienſtfertigkeit! Er ſcheint einer eben bemerkten, feingefuͤhlten, unſchaͤdlichen Disharmonie zuzu-
laͤcheln. Fuͤrchte dich nicht — im Zorne wird er nicht mit dir reden! Aber zu weiſer Belehrung,
treuer Ermunterung, leiſem, ſelbſt empfundenem Troſte, heiterer, unerbitternder, obgleich nicht
ſalzloſer Laune — oͤffnet er ſich.

Das Kinn, an dem ſo viel von des Mundes heiterer Treue herabzuſchweben ſcheint —
abermals in der Harmonie des ruhigen Ganzen — So ein Kinn — es ſcheint nachgebend aus
Ueberlegung. Es hat, wie der etwas zu gedehnte untere Drittel des Geſichtes, etwas laͤſtiges —
allenfalls in Anſehung des haͤuslichen Ameuͤblements, der Buͤcher, Schriften, Aufſaͤtze, Pa-
piere — Unordnung ausdruͤckendes.

Mahlzeichen duldender Muͤhſeligkeit ſcheinen ſich an der Kinnlade vom Ohre bis zum
Kinn auf und nieder zu waͤlzen.

Ueberm Ganzen ruht — welche reine Lieblichkeit! Langmuth! verzeihende Liebe! Treue!
Offenheit — und Verſchloſſenheit zugleich! —

Wer kennt ſeinen Paſtor Groß? und ſieht nicht deſſen Seelengrund, Leidensgelaſſen-
heit? Jn ſich geſchlungene, auf ihrer Wurzel ruhende Kraft, Erfahrung — geſammelt auf die-
ſem Geſichte.

Die
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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/355>, abgerufen am 22.11.2024.