Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Religiose. Des III. Ban-des LXXIII. Tafel.so wird man Verhältniß zwischen seinem Genie und seiner Stirne sehen. Aber nun fehlt's hauptsächlich -- fehlt's fast immer? und sollt' am wenigsten fehlen? -- im Ueber- gange von der Augenbraune zur Nase -- Nach einem, wiewohl auch nicht vollkommen Schat- tenrisse, der sich im II. Theile Seite 102. findet -- ist er viel hohler, scharf hohler -- und gerade dadurch würde sich der hohe Verstand im prächtigsten Schmucke der Poesie -- darzeigen. Denn daß in diesem Manne -- alle Wahrheit zur Poesie sich colorire und aufhäufe -- alle Gedanken -- Helden -- Gruppe handelnder Empfindung -- alle Theologie -- poetische Religion werde, ist bekannt, und zum Theil auch mit in diesem Bilde merkbar; besonders in der Augenbraune, dem Auge, und der Jmaginationsreichen Nase. -- Nun noch zur Ergänzung, Berichtigung oder Bestätigung einige Gedanken eines Freun- "Das Bild eines erhöhtesten und erniedrigtesten Mannes unsers Jahrhunderts." "Ein litterarischer Geschichtschreiber des kommenden Jahrhunderts mag das Bild mit sei- "Ein hochfliegendes, tiefdringendes, in Wolken schwebendes, mit Wolken sich umhüllen- "Wo in heillosen Morästen sich tausende um Goldkörner, deren keines da ist, ermüdend "Mit Einem Blicke blickt er Licht in die Nacht hin -- Aber das Licht ist Blitz." "Er kömmt, und schlägt Feuer -- aber ohne Lampe und Oel ... Was hilft dir der ent- Er
Religioſe. Des III. Ban-des LXXIII. Tafel.ſo wird man Verhaͤltniß zwiſchen ſeinem Genie und ſeiner Stirne ſehen. Aber nun fehlt’s hauptſaͤchlich — fehlt’s faſt immer? und ſollt’ am wenigſten fehlen? — im Ueber- gange von der Augenbraune zur Naſe — Nach einem, wiewohl auch nicht vollkommen Schat- tenriſſe, der ſich im II. Theile Seite 102. findet — iſt er viel hohler, ſcharf hohler — und gerade dadurch wuͤrde ſich der hohe Verſtand im praͤchtigſten Schmucke der Poeſie — darzeigen. Denn daß in dieſem Manne — alle Wahrheit zur Poeſie ſich colorire und aufhaͤufe — alle Gedanken — Helden — Gruppe handelnder Empfindung — alle Theologie — poetiſche Religion werde, iſt bekannt, und zum Theil auch mit in dieſem Bilde merkbar; beſonders in der Augenbraune, dem Auge, und der Jmaginationsreichen Naſe. — Nun noch zur Ergaͤnzung, Berichtigung oder Beſtaͤtigung einige Gedanken eines Freun- „Das Bild eines erhoͤhteſten und erniedrigteſten Mannes unſers Jahrhunderts.“ „Ein litterariſcher Geſchichtſchreiber des kommenden Jahrhunderts mag das Bild mit ſei- „Ein hochfliegendes, tiefdringendes, in Wolken ſchwebendes, mit Wolken ſich umhuͤllen- „Wo in heilloſen Moraͤſten ſich tauſende um Goldkoͤrner, deren keines da iſt, ermuͤdend „Mit Einem Blicke blickt er Licht in die Nacht hin — Aber das Licht iſt Blitz.“ „Er koͤmmt, und ſchlaͤgt Feuer — aber ohne Lampe und Oel ... Was hilft dir der ent- Er
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Religioſe.
ſo wird man Verhaͤltniß zwiſchen ſeinem Genie und ſeiner Stirne ſehen. Aber nun
fehlt’s hauptſaͤchlich — fehlt’s faſt immer? und ſollt’ am wenigſten fehlen? — im Ueber-
gange von der Augenbraune zur Naſe — Nach einem, wiewohl auch nicht vollkommen Schat-
tenriſſe, der ſich im II. Theile Seite 102. findet — iſt er viel hohler, ſcharf hohler — und gerade
dadurch wuͤrde ſich der hohe Verſtand im praͤchtigſten Schmucke der Poeſie — darzeigen. Denn
daß in dieſem Manne — alle Wahrheit zur Poeſie ſich colorire und aufhaͤufe — alle Gedanken —
Helden — Gruppe handelnder Empfindung — alle Theologie — poetiſche Religion werde, iſt
bekannt, und zum Theil auch mit in dieſem Bilde merkbar; beſonders in der Augenbraune, dem
Auge, und der Jmaginationsreichen Naſe. —
Des III. Ban-
des LXXIII.
Tafel.
Nun noch zur Ergaͤnzung, Berichtigung oder Beſtaͤtigung einige Gedanken eines Freun-
des von ihm, und mir, den ich bat, etwas uͤber den Mann oder dieß Bild hinzuſchreiben. —
„Das Bild eines erhoͤhteſten und erniedrigteſten Mannes unſers Jahrhunderts.“
„Ein litterariſcher Geſchichtſchreiber des kommenden Jahrhunderts mag das Bild mit ſei-
„nen Schriften paralleliſiren, und die eigentliche Stufe beſtimmen, auf welcher der Mann mit
„ſeiner Wuͤrkung und ſeinen Talenten ſtand — dann wird, wie ich hoffe, noch viel anders ge-
„ſchichtet werden, als in unſerm.“
„Ein hochfliegendes, tiefdringendes, in Wolken ſchwebendes, mit Wolken ſich umhuͤllen-
des, Blitzleuchtendes, theologiſchreligioſes Genie.“
„Wo in heilloſen Moraͤſten ſich tauſende um Goldkoͤrner, deren keines da iſt, ermuͤdend
„herumzanken, fliegt er allein uͤber den Moraſt weg — und laͤßt ſich nieder am lieblichen Ufer,
„wo Baͤume ſchoͤnſter Bluͤthe voll, den Muͤden beſchatten — oder vorm Eingang einer ſchauer-
„lichen Hoͤhle voll prophetiſcher Blaͤtter — Folg’ ihm — du wirſt’s ſehen — und dich freuen, dem
„Fluge nachgeflogen zu ſeyn. — Aber ſiehe! ehe du dich deß verſiehſt — verſchwunden iſt der
„Fuͤhrer!“ —
„Mit Einem Blicke blickt er Licht in die Nacht hin — Aber das Licht iſt Blitz.“
„Er koͤmmt, und ſchlaͤgt Feuer — aber ohne Lampe und Oel ... Was hilft dir der ent-
„ſchlagne, allenfalls auch aufgefaßte Funke?“
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Zitationshilfe: | Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/425>, abgerufen am 26.06.2024. |