Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
X. Abschnitt. XII. Fragment.
4.

Auch noch ein Jesuit! Meines Ermessens der verstandreichste und feinste von allen vieren.
Das Aug und die Nase unter dieser Stirne, das Ohr nicht ausgeschlossen, sind eigentlich charakte-
ristisch für Genie. Aber Zutraulichkeit geht nicht von diesem Gesichte aus. Es faßt erstaunlich
viel, und erstaunlich leicht. Die Unterlippe, wie sie hier erscheint, ist frey von Liebe und rein von
Haß, und auch von Feinheit und Frömmigkeit. Auch wieder, wie alle vorigen, ein Gesicht ohne
Heldenkühnheit -- Auge voll Feinheit, Ueberschauung des Ganzen, Schwärmerey allenfalls,
Poesie allenfalls -- aber weder eines philosophischen, noch eines militärischen Genies.

[Abbildung]

Dreyzehntes
X. Abſchnitt. XII. Fragment.
4.

Auch noch ein Jeſuit! Meines Ermeſſens der verſtandreichſte und feinſte von allen vieren.
Das Aug und die Naſe unter dieſer Stirne, das Ohr nicht ausgeſchloſſen, ſind eigentlich charakte-
riſtiſch fuͤr Genie. Aber Zutraulichkeit geht nicht von dieſem Geſichte aus. Es faßt erſtaunlich
viel, und erſtaunlich leicht. Die Unterlippe, wie ſie hier erſcheint, iſt frey von Liebe und rein von
Haß, und auch von Feinheit und Froͤmmigkeit. Auch wieder, wie alle vorigen, ein Geſicht ohne
Heldenkuͤhnheit — Auge voll Feinheit, Ueberſchauung des Ganzen, Schwaͤrmerey allenfalls,
Poeſie allenfalls — aber weder eines philoſophiſchen, noch eines militaͤriſchen Genies.

[Abbildung]

Dreyzehntes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0438" n="272"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">X.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">XII.</hi> Fragment.</hi> </fw><lb/>
            <div n="4">
              <head>4.</head><lb/>
              <p>Auch noch ein Je&#x017F;uit! Meines Erme&#x017F;&#x017F;ens der ver&#x017F;tandreich&#x017F;te und fein&#x017F;te von allen vieren.<lb/>
Das Aug und die Na&#x017F;e unter die&#x017F;er Stirne, das Ohr nicht ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind eigentlich charakte-<lb/>
ri&#x017F;ti&#x017F;ch fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">Genie.</hi> Aber Zutraulichkeit geht nicht von die&#x017F;em Ge&#x017F;ichte aus. Es faßt er&#x017F;taunlich<lb/>
viel, und er&#x017F;taunlich leicht. Die Unterlippe, wie &#x017F;ie hier er&#x017F;cheint, i&#x017F;t frey von Liebe und rein von<lb/>
Haß, und auch von Feinheit und Fro&#x0364;mmigkeit. Auch wieder, wie alle vorigen, ein Ge&#x017F;icht ohne<lb/>
Heldenku&#x0364;hnheit &#x2014; Auge voll Feinheit, Ueber&#x017F;chauung des Ganzen, Schwa&#x0364;rmerey allenfalls,<lb/>
Poe&#x017F;ie allenfalls &#x2014; aber weder eines philo&#x017F;ophi&#x017F;chen, noch eines milita&#x0364;ri&#x017F;chen Genies.</p><lb/>
              <figure/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Dreyzehntes</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0438] X. Abſchnitt. XII. Fragment. 4. Auch noch ein Jeſuit! Meines Ermeſſens der verſtandreichſte und feinſte von allen vieren. Das Aug und die Naſe unter dieſer Stirne, das Ohr nicht ausgeſchloſſen, ſind eigentlich charakte- riſtiſch fuͤr Genie. Aber Zutraulichkeit geht nicht von dieſem Geſichte aus. Es faßt erſtaunlich viel, und erſtaunlich leicht. Die Unterlippe, wie ſie hier erſcheint, iſt frey von Liebe und rein von Haß, und auch von Feinheit und Froͤmmigkeit. Auch wieder, wie alle vorigen, ein Geſicht ohne Heldenkuͤhnheit — Auge voll Feinheit, Ueberſchauung des Ganzen, Schwaͤrmerey allenfalls, Poeſie allenfalls — aber weder eines philoſophiſchen, noch eines militaͤriſchen Genies. [Abbildung] Dreyzehntes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/438
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/438>, abgerufen am 24.11.2024.