Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Religiose.

Nun noch ein Wort vom Ganzen.

Ausdruck der mütterlichsten Zartheit -- der fleckenscheuesten Reinlichkeit -- in allem; --
der äußersten Gefälligkeit. --

Jst aber hier nicht eine Anomalie? Eine Ausnahme von der gewöhnlichen Proportion
der Gesichtstheile gegen einander? Jst nicht das größte Mißverhältniß der Stirne, und des
Raumes von den Augenbraunen bis zur Spitze der Nase? -- Es ist in der Zeichnung und scheint
in der Natur -- und doch recht betrachtet, ist das Mißverhältniß nicht würklich, sondern nur
scheinbar -- Man lege ein Riemgen Papier mitten auf die kürzeste Stirne, vom Haarwuchs
an bis zwischen die Augenbraunen -- dasselbe Papiergen umgeschlagen, wird von diesem Punkt
an bis an die Spitze der Nase reichen, wenn's an Stirn und Nase angelegt wird. Also heißt
nur die Stirne lang und kurz, die so scheint -- die nach einem angeschlagenen Perpendi-
kularmaaße
lang und kurz scheint. Denn der bloßen mathematischen Länge des Umrisses
nach -- sind alle lange Stirnen und alle kurze mit den übrigen Theilen des Gesichtes in dem-
selben Verhältnisse.

Daher alle Stirnen dieser Art -- lange platte Vertiefungen von den Augenbraunen
an bis zur Nasenspitze nach sich führen.

Jch habe den Umriß beyzeichnen lassen, um die Grundlinien des Gesichtes sichtbarer
zu machen.

Der Mund im Umrisse hat mehr jugendliche Süßigkeit -- im schattirten mehr religiose
Bedächtlichkeit.

Das rechte Aug im Umrisse drückt eben dieß vortrefflich aus -- und macht zugleich fei-
nen empfänglichen Verstand sichtbar.

Nachste-
N n 3
Religioſe.

Nun noch ein Wort vom Ganzen.

Ausdruck der muͤtterlichſten Zartheit — der fleckenſcheueſten Reinlichkeit — in allem; —
der aͤußerſten Gefaͤlligkeit. —

Jſt aber hier nicht eine Anomalie? Eine Ausnahme von der gewoͤhnlichen Proportion
der Geſichtstheile gegen einander? Jſt nicht das groͤßte Mißverhaͤltniß der Stirne, und des
Raumes von den Augenbraunen bis zur Spitze der Naſe? — Es iſt in der Zeichnung und ſcheint
in der Natur — und doch recht betrachtet, iſt das Mißverhaͤltniß nicht wuͤrklich, ſondern nur
ſcheinbar — Man lege ein Riemgen Papier mitten auf die kuͤrzeſte Stirne, vom Haarwuchs
an bis zwiſchen die Augenbraunen — daſſelbe Papiergen umgeſchlagen, wird von dieſem Punkt
an bis an die Spitze der Naſe reichen, wenn’s an Stirn und Naſe angelegt wird. Alſo heißt
nur die Stirne lang und kurz, die ſo ſcheint — die nach einem angeſchlagenen Perpendi-
kularmaaße
lang und kurz ſcheint. Denn der bloßen mathematiſchen Laͤnge des Umriſſes
nach — ſind alle lange Stirnen und alle kurze mit den uͤbrigen Theilen des Geſichtes in dem-
ſelben Verhaͤltniſſe.

Daher alle Stirnen dieſer Art — lange platte Vertiefungen von den Augenbraunen
an bis zur Naſenſpitze nach ſich fuͤhren.

Jch habe den Umriß beyzeichnen laſſen, um die Grundlinien des Geſichtes ſichtbarer
zu machen.

Der Mund im Umriſſe hat mehr jugendliche Suͤßigkeit — im ſchattirten mehr religioſe
Bedaͤchtlichkeit.

Das rechte Aug im Umriſſe druͤckt eben dieß vortrefflich aus — und macht zugleich fei-
nen empfaͤnglichen Verſtand ſichtbar.

Nachſte-
N n 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0459" n="285"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Religio&#x017F;e.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Nun noch ein Wort vom Ganzen.</p><lb/>
          <p>Ausdruck der mu&#x0364;tterlich&#x017F;ten Zartheit &#x2014; der flecken&#x017F;cheue&#x017F;ten Reinlichkeit &#x2014; in allem; &#x2014;<lb/>
der a&#x0364;ußer&#x017F;ten Gefa&#x0364;lligkeit. &#x2014;</p><lb/>
          <p>J&#x017F;t aber hier nicht eine Anomalie? Eine Ausnahme von der gewo&#x0364;hnlichen Proportion<lb/>
der Ge&#x017F;ichtstheile gegen einander? J&#x017F;t nicht das gro&#x0364;ßte Mißverha&#x0364;ltniß der Stirne, und des<lb/>
Raumes von den Augenbraunen bis zur Spitze der Na&#x017F;e? &#x2014; Es <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> in der Zeichnung und &#x017F;cheint<lb/>
in der Natur &#x2014; und doch recht betrachtet, i&#x017F;t das Mißverha&#x0364;ltniß nicht wu&#x0364;rklich, &#x017F;ondern nur<lb/>
&#x017F;cheinbar &#x2014; Man lege ein Riemgen Papier mitten auf die ku&#x0364;rze&#x017F;te Stirne, vom Haarwuchs<lb/>
an bis zwi&#x017F;chen die Augenbraunen &#x2014; da&#x017F;&#x017F;elbe Papiergen umge&#x017F;chlagen, wird von die&#x017F;em Punkt<lb/>
an bis an die Spitze der Na&#x017F;e reichen, wenn&#x2019;s an Stirn und Na&#x017F;e angelegt wird. Al&#x017F;o heißt<lb/>
nur <hi rendition="#fr">die</hi> Stirne <hi rendition="#fr">lang</hi> und <hi rendition="#fr">kurz,</hi> die &#x017F;o <hi rendition="#fr">&#x017F;cheint</hi> &#x2014; die nach einem ange&#x017F;chlagenen <hi rendition="#fr">Perpendi-<lb/>
kularmaaße</hi> lang und kurz &#x017F;cheint. Denn der bloßen mathemati&#x017F;chen La&#x0364;nge des Umri&#x017F;&#x017F;es<lb/>
nach &#x2014; &#x017F;ind alle lange Stirnen und alle kurze mit den u&#x0364;brigen Theilen des Ge&#x017F;ichtes in dem-<lb/>
&#x017F;elben Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Daher alle Stirnen die&#x017F;er Art &#x2014; lange platte Vertiefungen von den Augenbraunen<lb/>
an bis zur Na&#x017F;en&#x017F;pitze nach &#x017F;ich fu&#x0364;hren.</p><lb/>
          <p>Jch habe den Umriß beyzeichnen la&#x017F;&#x017F;en, um die Grundlinien des Ge&#x017F;ichtes &#x017F;ichtbarer<lb/>
zu machen.</p><lb/>
          <p>Der Mund im Umri&#x017F;&#x017F;e hat mehr jugendliche Su&#x0364;ßigkeit &#x2014; im &#x017F;chattirten mehr religio&#x017F;e<lb/>
Beda&#x0364;chtlichkeit.</p><lb/>
          <p>Das rechte Aug im Umri&#x017F;&#x017F;e dru&#x0364;ckt eben dieß vortrefflich aus &#x2014; und macht zugleich fei-<lb/>
nen empfa&#x0364;nglichen Ver&#x017F;tand &#x017F;ichtbar.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">N n 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Nach&#x017F;te-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0459] Religioſe. Nun noch ein Wort vom Ganzen. Ausdruck der muͤtterlichſten Zartheit — der fleckenſcheueſten Reinlichkeit — in allem; — der aͤußerſten Gefaͤlligkeit. — Jſt aber hier nicht eine Anomalie? Eine Ausnahme von der gewoͤhnlichen Proportion der Geſichtstheile gegen einander? Jſt nicht das groͤßte Mißverhaͤltniß der Stirne, und des Raumes von den Augenbraunen bis zur Spitze der Naſe? — Es iſt in der Zeichnung und ſcheint in der Natur — und doch recht betrachtet, iſt das Mißverhaͤltniß nicht wuͤrklich, ſondern nur ſcheinbar — Man lege ein Riemgen Papier mitten auf die kuͤrzeſte Stirne, vom Haarwuchs an bis zwiſchen die Augenbraunen — daſſelbe Papiergen umgeſchlagen, wird von dieſem Punkt an bis an die Spitze der Naſe reichen, wenn’s an Stirn und Naſe angelegt wird. Alſo heißt nur die Stirne lang und kurz, die ſo ſcheint — die nach einem angeſchlagenen Perpendi- kularmaaße lang und kurz ſcheint. Denn der bloßen mathematiſchen Laͤnge des Umriſſes nach — ſind alle lange Stirnen und alle kurze mit den uͤbrigen Theilen des Geſichtes in dem- ſelben Verhaͤltniſſe. Daher alle Stirnen dieſer Art — lange platte Vertiefungen von den Augenbraunen an bis zur Naſenſpitze nach ſich fuͤhren. Jch habe den Umriß beyzeichnen laſſen, um die Grundlinien des Geſichtes ſichtbarer zu machen. Der Mund im Umriſſe hat mehr jugendliche Suͤßigkeit — im ſchattirten mehr religioſe Bedaͤchtlichkeit. Das rechte Aug im Umriſſe druͤckt eben dieß vortrefflich aus — und macht zugleich fei- nen empfaͤnglichen Verſtand ſichtbar. Nachſte- N n 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/459
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/459>, abgerufen am 22.11.2024.