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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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II. Abschnitt. I. Fragment. Etwas aus und über Aristoteles von den Thieren.
"haben, herzhaft; diejenigen, welche weiche und sanfte Federn haben, furchtsam. Wachteln und
"Hähne mögen Beyspiele hievon seyn. Die Anwendung hievon auf die Menschen ist leicht.
"Diejenigen Leute, welche in nördlichen Gegenden wohnen, sind insgemein sehr herzhaft, und ha-
"ben sehr rauhe Haare; die westlichen sind viel furchtsamer, und ihre Haare sind viel weicher."


"Thiere, denen viel Herzhaftigkeit eigen ist, lassen ihre Stimmen schlechthin erschallen --
"ohne sonderliche Anstrengung -- Thiere aber, welche furchtsam sind, haben viel heftigere Stim-
"men. Man vergleiche den Löwen, den Ochsen, den bellenden Hund, und die Hähne, denen
"wohl zu Muthe ist -- mit den Hirschen und Hasen!"

"Der Löwe scheint unter allen beseelten Wesen am meisten Männliches zu haben; denn er
"hat einen großen Mund; ein viereckigtes, nicht allzubeinigtes Angesicht; der obere Kiefer raget
"nicht hervor, sondern trifft gerade zu auf den untern ein. Die Nase ist eher etwas rauh als zart.
"Die Augen sind nicht zu tief eingesenkt, nicht zu sehr hervorragend. Die Stirn ist geviert, und
"in der Mitte ein wenig eingedämpft u. s. w."

"Diejenigen, welche einen dichten und angefüllten Hals haben, sind zornmüthig -- nach
"Aehnlichkeit aufgebrachter Ochsen. Diejenigen, welche einen dünnen, zarten und langen Hals ha-
"ben, sind furchtsam wie die langhälsigen Hirsche."

"Diejenigen, so dichte und feste Lippen haben, und deren obere Lippe über die untere hinaus
"hängt, sind alberne Leute -- nach Aehnlichkeit der Esel und Affen."

-- Das ist wohl erbärmlich
unbestimmt gesprochen -- auch noch unbestimmt, doch bestimmter und wahrer wär's, wenn's hieße:
die, deren untere Lippen weich und locker sind, und unter den obern vorhängen -- sind alberne
Leute.

"Diejenigen, deren Nasenspitze sehr hart und fest ist, geben sich gern mit solchen Dingen ab,
"welche wenig Mühe kosten -- nach der Aehnlichkeit mit Kühen und Ochsen"

-- unausstehlich!
Die wenigen Menschen mit festen Nasenspitzen sind die allerunermüdlichsten Durchdringer. Jch
mag nicht weiter ausschreiben. Es ekelt einen an. Sowohl die physiognomischen Bemerkungen an
sich, als die angeführten Aehnlichkeiten mit den Thieren sind größtentheils äußerst unrichtig, und
ohne den mindesten Erfahrungsgeist hingeworfen.

Zweytes

II. Abſchnitt. I. Fragment. Etwas aus und uͤber Ariſtoteles von den Thieren.
„haben, herzhaft; diejenigen, welche weiche und ſanfte Federn haben, furchtſam. Wachteln und
„Haͤhne moͤgen Beyſpiele hievon ſeyn. Die Anwendung hievon auf die Menſchen iſt leicht.
„Diejenigen Leute, welche in noͤrdlichen Gegenden wohnen, ſind insgemein ſehr herzhaft, und ha-
„ben ſehr rauhe Haare; die weſtlichen ſind viel furchtſamer, und ihre Haare ſind viel weicher.“


„Thiere, denen viel Herzhaftigkeit eigen iſt, laſſen ihre Stimmen ſchlechthin erſchallen —
„ohne ſonderliche Anſtrengung — Thiere aber, welche furchtſam ſind, haben viel heftigere Stim-
„men. Man vergleiche den Loͤwen, den Ochſen, den bellenden Hund, und die Haͤhne, denen
„wohl zu Muthe iſt — mit den Hirſchen und Haſen!“

„Der Loͤwe ſcheint unter allen beſeelten Weſen am meiſten Maͤnnliches zu haben; denn er
„hat einen großen Mund; ein viereckigtes, nicht allzubeinigtes Angeſicht; der obere Kiefer raget
„nicht hervor, ſondern trifft gerade zu auf den untern ein. Die Naſe iſt eher etwas rauh als zart.
„Die Augen ſind nicht zu tief eingeſenkt, nicht zu ſehr hervorragend. Die Stirn iſt geviert, und
„in der Mitte ein wenig eingedaͤmpft u. ſ. w.“

„Diejenigen, welche einen dichten und angefuͤllten Hals haben, ſind zornmuͤthig — nach
„Aehnlichkeit aufgebrachter Ochſen. Diejenigen, welche einen duͤnnen, zarten und langen Hals ha-
„ben, ſind furchtſam wie die langhaͤlſigen Hirſche.“

„Diejenigen, ſo dichte und feſte Lippen haben, und deren obere Lippe uͤber die untere hinaus
„haͤngt, ſind alberne Leute — nach Aehnlichkeit der Eſel und Affen.“

— Das iſt wohl erbaͤrmlich
unbeſtimmt geſprochen — auch noch unbeſtimmt, doch beſtimmter und wahrer waͤr’s, wenn’s hieße:
die, deren untere Lippen weich und locker ſind, und unter den obern vorhaͤngen — ſind alberne
Leute.

„Diejenigen, deren Naſenſpitze ſehr hart und feſt iſt, geben ſich gern mit ſolchen Dingen ab,
„welche wenig Muͤhe koſten — nach der Aehnlichkeit mit Kuͤhen und Ochſen“

— unausſtehlich!
Die wenigen Menſchen mit feſten Naſenſpitzen ſind die allerunermuͤdlichſten Durchdringer. Jch
mag nicht weiter ausſchreiben. Es ekelt einen an. Sowohl die phyſiognomiſchen Bemerkungen an
ſich, als die angefuͤhrten Aehnlichkeiten mit den Thieren ſind groͤßtentheils aͤußerſt unrichtig, und
ohne den mindeſten Erfahrungsgeiſt hingeworfen.

Zweytes
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[64/0092] II. Abſchnitt. I. Fragment. Etwas aus und uͤber Ariſtoteles von den Thieren. „haben, herzhaft; diejenigen, welche weiche und ſanfte Federn haben, furchtſam. Wachteln und „Haͤhne moͤgen Beyſpiele hievon ſeyn. Die Anwendung hievon auf die Menſchen iſt leicht. „Diejenigen Leute, welche in noͤrdlichen Gegenden wohnen, ſind insgemein ſehr herzhaft, und ha- „ben ſehr rauhe Haare; die weſtlichen ſind viel furchtſamer, und ihre Haare ſind viel weicher.“ „Thiere, denen viel Herzhaftigkeit eigen iſt, laſſen ihre Stimmen ſchlechthin erſchallen — „ohne ſonderliche Anſtrengung — Thiere aber, welche furchtſam ſind, haben viel heftigere Stim- „men. Man vergleiche den Loͤwen, den Ochſen, den bellenden Hund, und die Haͤhne, denen „wohl zu Muthe iſt — mit den Hirſchen und Haſen!“ „Der Loͤwe ſcheint unter allen beſeelten Weſen am meiſten Maͤnnliches zu haben; denn er „hat einen großen Mund; ein viereckigtes, nicht allzubeinigtes Angeſicht; der obere Kiefer raget „nicht hervor, ſondern trifft gerade zu auf den untern ein. Die Naſe iſt eher etwas rauh als zart. „Die Augen ſind nicht zu tief eingeſenkt, nicht zu ſehr hervorragend. Die Stirn iſt geviert, und „in der Mitte ein wenig eingedaͤmpft u. ſ. w.“ „Diejenigen, welche einen dichten und angefuͤllten Hals haben, ſind zornmuͤthig — nach „Aehnlichkeit aufgebrachter Ochſen. Diejenigen, welche einen duͤnnen, zarten und langen Hals ha- „ben, ſind furchtſam wie die langhaͤlſigen Hirſche.“ „Diejenigen, ſo dichte und feſte Lippen haben, und deren obere Lippe uͤber die untere hinaus „haͤngt, ſind alberne Leute — nach Aehnlichkeit der Eſel und Affen.“ — Das iſt wohl erbaͤrmlich unbeſtimmt geſprochen — auch noch unbeſtimmt, doch beſtimmter und wahrer waͤr’s, wenn’s hieße: die, deren untere Lippen weich und locker ſind, und unter den obern vorhaͤngen — ſind alberne Leute. „Diejenigen, deren Naſenſpitze ſehr hart und feſt iſt, geben ſich gern mit ſolchen Dingen ab, „welche wenig Muͤhe koſten — nach der Aehnlichkeit mit Kuͤhen und Ochſen“ — unausſtehlich! Die wenigen Menſchen mit feſten Naſenſpitzen ſind die allerunermuͤdlichſten Durchdringer. Jch mag nicht weiter ausſchreiben. Es ekelt einen an. Sowohl die phyſiognomiſchen Bemerkungen an ſich, als die angefuͤhrten Aehnlichkeiten mit den Thieren ſind groͤßtentheils aͤußerſt unrichtig, und ohne den mindeſten Erfahrungsgeiſt hingeworfen. Zweytes

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/92>, abgerufen am 24.11.2024.