Sterblichen, die an eurer Rechten und Linken vorbeygehen? -- Bezeichnet seyd ihr, so wahr ihr seyd! wo nur immer das Zeichen Gottes zu finden seyn möge ...
Der Mann mit Mondstral im Gesicht, Wird's suchen und wirds finden. --
Natur versteht die Natur, und Genie ahndet das Genie. Blick des Künstlers faßt den Künst- lerblick, wie Schwärmer den Schwärmer anzieht -- Vor aller Vergleichung, vor allem Räsonne- ment, aller Ueberlegung fühlt das Genie die Nähe des Genies; sie erkennen sich, sobald sie sich sehen, entweder durch kräftige Anziehung oder mächtige Zurückstoßung. Dieß gehört zur Natur der Ge- nieen, was zur Natur des Magnets gehört, mit dem Einen Pol anzuziehen, mit dem andern zurück- zustoßen. Dennoch giebt's bestimmte und unbestimmbare, lehr- und lernbare Kennzeichen von ver- schiedenen Hauptklassen von Genieen. -- Ohne mir anzumaßen, nur die wichtigsten bestimmen zu können, oder alle zu kennen, will ich das Wenige sagen, was ich hierüber bemerkt habe.
Es giebt eine Menge Stirnen und Umrisse, von denen sich mit Sicherheit behaupten läßt -- "Sie sind durchaus nicht für Genieen gebaut." -- Von folgenden vier Umrissen ist keiner des Ge- nies fähig -- Stumpfheit in hohem Grade -- Schlaffheit -- ohne alle Spannung respuirt alle Genialität. 1. duldete was in Nasenspitze und Kinn -- wenn's die Stirne zuließe.
[Abbildung]
Von
I. Abſchnitt. X. Fragment. Genie.
Sterblichen, die an eurer Rechten und Linken vorbeygehen? — Bezeichnet ſeyd ihr, ſo wahr ihr ſeyd! wo nur immer das Zeichen Gottes zu finden ſeyn moͤge ...
Der Mann mit Mondſtral im Geſicht, Wird’s ſuchen und wirds finden. —
Natur verſteht die Natur, und Genie ahndet das Genie. Blick des Kuͤnſtlers faßt den Kuͤnſt- lerblick, wie Schwaͤrmer den Schwaͤrmer anzieht — Vor aller Vergleichung, vor allem Raͤſonne- ment, aller Ueberlegung fuͤhlt das Genie die Naͤhe des Genies; ſie erkennen ſich, ſobald ſie ſich ſehen, entweder durch kraͤftige Anziehung oder maͤchtige Zuruͤckſtoßung. Dieß gehoͤrt zur Natur der Ge- nieen, was zur Natur des Magnets gehoͤrt, mit dem Einen Pol anzuziehen, mit dem andern zuruͤck- zuſtoßen. Dennoch giebt’s beſtimmte und unbeſtimmbare, lehr- und lernbare Kennzeichen von ver- ſchiedenen Hauptklaſſen von Genieen. — Ohne mir anzumaßen, nur die wichtigſten beſtimmen zu koͤnnen, oder alle zu kennen, will ich das Wenige ſagen, was ich hieruͤber bemerkt habe.
Es giebt eine Menge Stirnen und Umriſſe, von denen ſich mit Sicherheit behaupten laͤßt — „Sie ſind durchaus nicht fuͤr Genieen gebaut.“ — Von folgenden vier Umriſſen iſt keiner des Ge- nies faͤhig — Stumpfheit in hohem Grade — Schlaffheit — ohne alle Spannung reſpuirt alle Genialitaͤt. 1. duldete was in Naſenſpitze und Kinn — wenn’s die Stirne zuließe.
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Von
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I. Abſchnitt. X. Fragment. Genie.
Sterblichen, die an eurer Rechten und Linken vorbeygehen? — Bezeichnet ſeyd ihr, ſo wahr ihr
ſeyd! wo nur immer das Zeichen Gottes zu finden ſeyn moͤge ...
Der Mann mit Mondſtral im Geſicht,
Wird’s ſuchen und wirds finden. —
Natur verſteht die Natur, und Genie ahndet das Genie. Blick des Kuͤnſtlers faßt den Kuͤnſt-
lerblick, wie Schwaͤrmer den Schwaͤrmer anzieht — Vor aller Vergleichung, vor allem Raͤſonne-
ment, aller Ueberlegung fuͤhlt das Genie die Naͤhe des Genies; ſie erkennen ſich, ſobald ſie ſich ſehen,
entweder durch kraͤftige Anziehung oder maͤchtige Zuruͤckſtoßung. Dieß gehoͤrt zur Natur der Ge-
nieen, was zur Natur des Magnets gehoͤrt, mit dem Einen Pol anzuziehen, mit dem andern zuruͤck-
zuſtoßen. Dennoch giebt’s beſtimmte und unbeſtimmbare, lehr- und lernbare Kennzeichen von ver-
ſchiedenen Hauptklaſſen von Genieen. — Ohne mir anzumaßen, nur die wichtigſten beſtimmen zu
koͤnnen, oder alle zu kennen, will ich das Wenige ſagen, was ich hieruͤber bemerkt habe.
Es giebt eine Menge Stirnen und Umriſſe, von denen ſich mit Sicherheit behaupten laͤßt —
„Sie ſind durchaus nicht fuͤr Genieen gebaut.“ — Von folgenden vier Umriſſen iſt keiner des Ge-
nies faͤhig — Stumpfheit in hohem Grade — Schlaffheit — ohne alle Spannung reſpuirt alle
Genialitaͤt. 1. duldete was in Naſenſpitze und Kinn — wenn’s die Stirne zuließe.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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