Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.I. Abschnitt. XII. Fragment. Eine Fabel. etwas fetter geschmiert, und garstige Schönfärbereyen drüber hingekleckt, und also feucht der Fir-niß drüber gepinselt. Das Stück war so helle und gleißend geworden, daß man's kaum mehr kannte. Bald genug ward alles wieder eingesteckt, dem Vater ein Wink gegeben, der sich des wohlgelungenen Streichs herzinniglich freute -- dem aber doch in der Gallerie keinen Augenblick mehr wohl war. Verloren gegangen war die edle Einfalt des Gesichts! der Ausdruck naiver Empfindsam- Nur wie die Sonne durch Wolken scheint, schien hin und wieder noch ein Zug des ersten Dem Vater ward die Nachricht gebracht, daß etwas an seinem Lieblingsstücke verändert bringlich
I. Abſchnitt. XII. Fragment. Eine Fabel. etwas fetter geſchmiert, und garſtige Schoͤnfaͤrbereyen druͤber hingekleckt, und alſo feucht der Fir-niß druͤber gepinſelt. Das Stuͤck war ſo helle und gleißend geworden, daß man’s kaum mehr kannte. Bald genug ward alles wieder eingeſteckt, dem Vater ein Wink gegeben, der ſich des wohlgelungenen Streichs herzinniglich freute — dem aber doch in der Gallerie keinen Augenblick mehr wohl war. Verloren gegangen war die edle Einfalt des Geſichts! der Ausdruck naiver Empfindſam- Nur wie die Sonne durch Wolken ſcheint, ſchien hin und wieder noch ein Zug des erſten Dem Vater ward die Nachricht gebracht, daß etwas an ſeinem Lieblingsſtuͤcke veraͤndert bringlich
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I. Abſchnitt. XII. Fragment. Eine Fabel.
etwas fetter geſchmiert, und garſtige Schoͤnfaͤrbereyen druͤber hingekleckt, und alſo feucht der Fir-
niß druͤber gepinſelt. Das Stuͤck war ſo helle und gleißend geworden, daß man’s kaum mehr
kannte. Bald genug ward alles wieder eingeſteckt, dem Vater ein Wink gegeben, der ſich des
wohlgelungenen Streichs herzinniglich freute — dem aber doch in der Gallerie keinen Augenblick
mehr wohl war.
Verloren gegangen war die edle Einfalt des Geſichts! der Ausdruck naiver Empfindſam-
keit war in ſinnliche Luſt — die groͤßte Kraft in hoch ſich aufblaͤhenden Stolz, und das ganze Far-
benſpiel unter einen gelben Firniß verſunken.
Nur wie die Sonne durch Wolken ſcheint, ſchien hin und wieder noch ein Zug des erſten
Geſichtes durch.
Dem Vater ward die Nachricht gebracht, daß etwas an ſeinem Lieblingsſtuͤcke veraͤndert
und verdorben worden ſey — — Hin eilte der wieder gegenwaͤrtige Sohn, der’s an des Vaters
Seite vernahm, in ſein Cabinet, das er ſein Heiligthum nannte, und ſah — und ſtand, und ſah
und weinte — „Das hat ein feindlicher Menſch gethan!“ — O Unſchuld! Unſchuld! — du biſt
Laſter geworden! So ſollte meines Vaters Arbeit ausſehen! und wenn ich mein Leben druͤber
verlieren und mich blind arbeiten muͤßte — ſo ſoll’s mein Vater nicht wieder ſehen! — Verruchter,
der das that — und meines Vaters Meiſterſtuͤck ſo verdarb — aus Neid und Eigennutz! Nein!
ſterben wollt’ ich, eh du’s haben ſollſt — ſterben, eh es alſo bleiben ſoll. Der edle Sohn, voll vom
Genie ſeines Vaters, hatte das Geheimniß, den Firniß aufzuloͤſen, und den aufgekleckten Quark
von Farben wieder wegzubringen — Allein man kann denken, wie viel vom erſten Originale ſich
mit wegriß — Doch der Wuſt war weggearbeitet — traurig ſtand der Sohn vor der verwuͤſte-
ten Unſchuld — aber im Vollgefuͤhle ſeines Schmerzes und ſeines Genies, nahm er Pinſel und
Farbe — und arbeitete mit unbeſchreiblicher Begeiſterung, neue Kraft, neues Leben ins Ganze
hinein — Die erſten Grundzuͤge waren ihm immer noch ſichtbar, waren ihm heilig — er ſchwitzte
bey der Arbeit — Unſchuld — Unſchuld — du biſt nicht mehr zuruͤckzubringen — aber ich will
thun, was ich kann — und es gelang ihm, daß er ſich koͤniglich freute ſeiner Arbeit — Unwider-
bringlich
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