seyn, die Ausdrücke sind zurückgehaltener Leidenschaften, die wie ein banger, schwüler Himmel Un- gewitter verkündigen, die dennoch vielleicht nie losbrechen.
So ist ferner, glaube ich, kaum ein Mensch, weß Alters, Charakters, Zeitalters, aus welchem Boden, welchen Winden der Erde er zusammengeformt sey, der nicht in einem Gesichte, wie nachste- hendes, sogleich und ohne alle Rücksicht auf andere Gesichter, ohne alle Zergliederung und Ver- gleichung -- Treue, Redlichkeit, Verschwiegenheit und eine zutrauungswürdige, unharte Festig- keit ahnde.
[Abbildung]
Freylich nur der Beobachter wird schnell das Unhomogene der allzujungfräulichen Stirn mit der etwas männlichern Nase und dem bestimmten Auge bemerken.
Unter allen Sterblichen, wer wird einem Gesichtgen, wie nachstehendes ist, seine Liebe ver- sagen können? Diese Nase -- wo du sie findest, diese Ruhe des Auges, diese Stille der Lippen, diese
Proportion,
II. Abſchnitt. III. Fragment.
ſeyn, die Ausdruͤcke ſind zuruͤckgehaltener Leidenſchaften, die wie ein banger, ſchwuͤler Himmel Un- gewitter verkuͤndigen, die dennoch vielleicht nie losbrechen.
So iſt ferner, glaube ich, kaum ein Menſch, weß Alters, Charakters, Zeitalters, aus welchem Boden, welchen Winden der Erde er zuſammengeformt ſey, der nicht in einem Geſichte, wie nachſte- hendes, ſogleich und ohne alle Ruͤckſicht auf andere Geſichter, ohne alle Zergliederung und Ver- gleichung — Treue, Redlichkeit, Verſchwiegenheit und eine zutrauungswuͤrdige, unharte Feſtig- keit ahnde.
[Abbildung]
Freylich nur der Beobachter wird ſchnell das Unhomogene der allzujungfraͤulichen Stirn mit der etwas maͤnnlichern Naſe und dem beſtimmten Auge bemerken.
Unter allen Sterblichen, wer wird einem Geſichtgen, wie nachſtehendes iſt, ſeine Liebe ver- ſagen koͤnnen? Dieſe Naſe — wo du ſie findeſt, dieſe Ruhe des Auges, dieſe Stille der Lippen, dieſe
Proportion,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0152"n="124"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi> Abſchnitt. <hirendition="#aq">III.</hi> Fragment.</hi></fw><lb/>ſeyn, die Ausdruͤcke ſind zuruͤckgehaltener Leidenſchaften, die wie ein banger, ſchwuͤler Himmel Un-<lb/>
gewitter verkuͤndigen, die dennoch vielleicht nie losbrechen.</p><lb/><p>So iſt ferner, glaube ich, kaum ein Menſch, weß Alters, Charakters, Zeitalters, aus welchem<lb/>
Boden, welchen Winden der Erde er zuſammengeformt ſey, der nicht in einem Geſichte, wie nachſte-<lb/>
hendes, ſogleich und ohne alle Ruͤckſicht auf andere Geſichter, ohne alle Zergliederung und Ver-<lb/>
gleichung — Treue, Redlichkeit, Verſchwiegenheit und eine zutrauungswuͤrdige, unharte Feſtig-<lb/>
keit ahnde.</p><lb/><figure/><p>Freylich nur der Beobachter wird ſchnell das Unhomogene der allzujungfraͤulichen Stirn<lb/>
mit der etwas maͤnnlichern Naſe und dem beſtimmten Auge bemerken.</p><lb/><p>Unter allen Sterblichen, wer wird einem Geſichtgen, wie nachſtehendes iſt, ſeine Liebe ver-<lb/>ſagen koͤnnen? Dieſe Naſe — wo du ſie findeſt, dieſe Ruhe des Auges, dieſe Stille der Lippen, dieſe<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Proportion,</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[124/0152]
II. Abſchnitt. III. Fragment.
ſeyn, die Ausdruͤcke ſind zuruͤckgehaltener Leidenſchaften, die wie ein banger, ſchwuͤler Himmel Un-
gewitter verkuͤndigen, die dennoch vielleicht nie losbrechen.
So iſt ferner, glaube ich, kaum ein Menſch, weß Alters, Charakters, Zeitalters, aus welchem
Boden, welchen Winden der Erde er zuſammengeformt ſey, der nicht in einem Geſichte, wie nachſte-
hendes, ſogleich und ohne alle Ruͤckſicht auf andere Geſichter, ohne alle Zergliederung und Ver-
gleichung — Treue, Redlichkeit, Verſchwiegenheit und eine zutrauungswuͤrdige, unharte Feſtig-
keit ahnde.
[Abbildung]
Freylich nur der Beobachter wird ſchnell das Unhomogene der allzujungfraͤulichen Stirn
mit der etwas maͤnnlichern Naſe und dem beſtimmten Auge bemerken.
Unter allen Sterblichen, wer wird einem Geſichtgen, wie nachſtehendes iſt, ſeine Liebe ver-
ſagen koͤnnen? Dieſe Naſe — wo du ſie findeſt, dieſe Ruhe des Auges, dieſe Stille der Lippen, dieſe
Proportion,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/152>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.