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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Stellen aus Huart.
6.

Kein unvernünftiges Thier hat so viel Gehirn, als der Mensch; und wenn man auch sogar das Ge-
hirn von zwey der größten Ochsen zusammennehmen sollte, so würde es doch nicht so viel ausmachen, als ein ein-
ziger Mensch hat, wenn er auch noch so klein ist. Je näher der Vernunft; desto mehr Gehirn!

7.

Große Pomeranzen, dicke Schaalen; wenig Fleisch und Saft. Große Köpfe, viel Bein und Fleisch
und wenig Hirn.

Viel Knochen, viel Fleisch und Fett ist der Seele hinderlich.

8.

Köpfe kluger Leute sind (oft, nicht immer! bey Leibe nicht) sehr schwach, und bey der geringsten
Kleinigkeit empfindlich. -- Kluge -- zum Planmachen! -- aber kluge zum Planausführen?
Diese müssen fester geknocht seyn. Unter den seltensten Seltenheiten der Erde ist ein Mensch, der
beydes vereinigt -- Empfindlichkeit für die leisesten Tritte der schleichendsten Schwierigkeiten -- und
eherner Muth gegen bewaffnete Heerschaaren, die mit Geräusche daher strömen, wie ein verschlin-
gender Waldstrom. Solche Charakter sind empfindlich durch Zärte der Fleischigkeit -- und stark,
nicht so wohl durch Knochen, als durch Nerven.

9.

Galenus sagt: Ein dicker Bauch, dicker Verstand -- Und ich könnte mit demselben Recht
oder Unrecht beyfügen: Ein dünner Bauch, dünner Verstand. Auf solchen Allgemeinsprü-
chen, die so manchen gescheuten Mann zum Dummkopfe stempeln, halte ich nicht viel. Gewiß ist,
ein dicker Bauch ist kein positives Zeichen von Verstand; eher ein positives Zeichen von Sinnlich-
keit, welche freylich überhaupt dem Verstande nachtheilig ist. Aber an sich und ohne andre feste
Kennzeichen -- kann ich die Allgemeinheit dieses Effatum nicht gelten lassen.

10.

Aristoteles hält die kleinsten Köpfe für die klügsten. Das heiß ich, mit aller Ehrerbietung für
den großen Mann, in den Tag hinein gesprochen! Man denke sich einen kleinen Kopf auf einen
großen Körper, und einen großen Kopf auf einen kleinen -- wie sich oft, wenigstens durch Wachs-
thumunterbrechende oder befördernde Zufälle, solche finden mögen -- und sogleich wird man em-
pfinden, daß ohne nähere Bestimmung weder ein großer Kopf an sich, noch ein kleiner an sich

klug
Phys. Fragm. IV Versuch. Z
Stellen aus Huart.
6.

Kein unvernuͤnftiges Thier hat ſo viel Gehirn, als der Menſch; und wenn man auch ſogar das Ge-
hirn von zwey der groͤßten Ochſen zuſammennehmen ſollte, ſo wuͤrde es doch nicht ſo viel ausmachen, als ein ein-
ziger Menſch hat, wenn er auch noch ſo klein iſt. Je naͤher der Vernunft; deſto mehr Gehirn!

7.

Große Pomeranzen, dicke Schaalen; wenig Fleiſch und Saft. Große Koͤpfe, viel Bein und Fleiſch
und wenig Hirn.

Viel Knochen, viel Fleiſch und Fett iſt der Seele hinderlich.

8.

Koͤpfe kluger Leute ſind (oft, nicht immer! bey Leibe nicht) ſehr ſchwach, und bey der geringſten
Kleinigkeit empfindlich. — Kluge — zum Planmachen! — aber kluge zum Planausfuͤhren?
Dieſe muͤſſen feſter geknocht ſeyn. Unter den ſeltenſten Seltenheiten der Erde iſt ein Menſch, der
beydes vereinigt — Empfindlichkeit fuͤr die leiſeſten Tritte der ſchleichendſten Schwierigkeiten — und
eherner Muth gegen bewaffnete Heerſchaaren, die mit Geraͤuſche daher ſtroͤmen, wie ein verſchlin-
gender Waldſtrom. Solche Charakter ſind empfindlich durch Zaͤrte der Fleiſchigkeit — und ſtark,
nicht ſo wohl durch Knochen, als durch Nerven.

9.

Galenus ſagt: Ein dicker Bauch, dicker Verſtand — Und ich koͤnnte mit demſelben Recht
oder Unrecht beyfuͤgen: Ein duͤnner Bauch, duͤnner Verſtand. Auf ſolchen Allgemeinſpruͤ-
chen, die ſo manchen geſcheuten Mann zum Dummkopfe ſtempeln, halte ich nicht viel. Gewiß iſt,
ein dicker Bauch iſt kein poſitives Zeichen von Verſtand; eher ein poſitives Zeichen von Sinnlich-
keit, welche freylich uͤberhaupt dem Verſtande nachtheilig iſt. Aber an ſich und ohne andre feſte
Kennzeichen — kann ich die Allgemeinheit dieſes Effatum nicht gelten laſſen.

10.

Ariſtoteles haͤlt die kleinſten Koͤpfe fuͤr die kluͤgſten. Das heiß ich, mit aller Ehrerbietung fuͤr
den großen Mann, in den Tag hinein geſprochen! Man denke ſich einen kleinen Kopf auf einen
großen Koͤrper, und einen großen Kopf auf einen kleinen — wie ſich oft, wenigſtens durch Wachs-
thumunterbrechende oder befoͤrdernde Zufaͤlle, ſolche finden moͤgen — und ſogleich wird man em-
pfinden, daß ohne naͤhere Beſtimmung weder ein großer Kopf an ſich, noch ein kleiner an ſich

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[177/0207] Stellen aus Huart. 6. Kein unvernuͤnftiges Thier hat ſo viel Gehirn, als der Menſch; und wenn man auch ſogar das Ge- hirn von zwey der groͤßten Ochſen zuſammennehmen ſollte, ſo wuͤrde es doch nicht ſo viel ausmachen, als ein ein- ziger Menſch hat, wenn er auch noch ſo klein iſt. Je naͤher der Vernunft; deſto mehr Gehirn! 7. Große Pomeranzen, dicke Schaalen; wenig Fleiſch und Saft. Große Koͤpfe, viel Bein und Fleiſch und wenig Hirn. Viel Knochen, viel Fleiſch und Fett iſt der Seele hinderlich. 8. Koͤpfe kluger Leute ſind (oft, nicht immer! bey Leibe nicht) ſehr ſchwach, und bey der geringſten Kleinigkeit empfindlich. — Kluge — zum Planmachen! — aber kluge zum Planausfuͤhren? Dieſe muͤſſen feſter geknocht ſeyn. Unter den ſeltenſten Seltenheiten der Erde iſt ein Menſch, der beydes vereinigt — Empfindlichkeit fuͤr die leiſeſten Tritte der ſchleichendſten Schwierigkeiten — und eherner Muth gegen bewaffnete Heerſchaaren, die mit Geraͤuſche daher ſtroͤmen, wie ein verſchlin- gender Waldſtrom. Solche Charakter ſind empfindlich durch Zaͤrte der Fleiſchigkeit — und ſtark, nicht ſo wohl durch Knochen, als durch Nerven. 9. Galenus ſagt: Ein dicker Bauch, dicker Verſtand — Und ich koͤnnte mit demſelben Recht oder Unrecht beyfuͤgen: Ein duͤnner Bauch, duͤnner Verſtand. Auf ſolchen Allgemeinſpruͤ- chen, die ſo manchen geſcheuten Mann zum Dummkopfe ſtempeln, halte ich nicht viel. Gewiß iſt, ein dicker Bauch iſt kein poſitives Zeichen von Verſtand; eher ein poſitives Zeichen von Sinnlich- keit, welche freylich uͤberhaupt dem Verſtande nachtheilig iſt. Aber an ſich und ohne andre feſte Kennzeichen — kann ich die Allgemeinheit dieſes Effatum nicht gelten laſſen. 10. Ariſtoteles haͤlt die kleinſten Koͤpfe fuͤr die kluͤgſten. Das heiß ich, mit aller Ehrerbietung fuͤr den großen Mann, in den Tag hinein geſprochen! Man denke ſich einen kleinen Kopf auf einen großen Koͤrper, und einen großen Kopf auf einen kleinen — wie ſich oft, wenigſtens durch Wachs- thumunterbrechende oder befoͤrdernde Zufaͤlle, ſolche finden moͤgen — und ſogleich wird man em- pfinden, daß ohne naͤhere Beſtimmung weder ein großer Kopf an ſich, noch ein kleiner an ſich klug Phyſ. Fragm. IV Verſuch. Z

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/207>, abgerufen am 24.11.2024.