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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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IV. Abschnitt. I. Fragment.
Die Stirnhaut, ihre Lage, Farbe, Faltung, Spannung, den leidenschaftlichen, den aktuel-
len Zustand seiner Kräfte -- der Knochen das innere Maaß der Kraft; die Haut die Anwen-
dung
der Kraft.

[Spaltenumbruch]

Der
Meynungen und Urtheile anderer Physiogno-
men über die Stirne, mit untermischten
Anmerkungen des Verfassers.

I.
Aus einem ungenannten alten Deutschen. (Chiro-
mancia,
Frankf. bey Christ. Egens Erben.
MDXCIV.)

"Stirn, schmale, bezeichnet unlernhaftig und fräs-
"sig." (Das erste wahr; das andre -- haftet gewiß
nicht an der Schmäle der Stirn.) "Breite -- Un-
"zucht. Runde, Zorn; niedereingebogne Stirn
"Schaam, und einer, der sich für Laster hütet." (Un-
leidlich unbestimmt, und fürchterlich unwahr. So
nämlich: Jede Stirn kann Unzucht treiben; jede zür-
nen; jede sich vor gewissen Lastern hüten -- Aber nicht
wahr, daß breite Stirnen ein Hauptcharakter der Un-
zucht, runde ein entscheidender des Zorns seyen --
viel eher des Gegentheils. Wahr ist, daß niedereinge-
bogene,
d. i. oben vorhängende Stirnen dumm und
furchtsam sind, und keiner kühnen Unternehmungen fä-
hig.)
"Viereckigte bedeutet große Weisheit und Keckheit."
Die allgemeinste Anmerkung aller Physiognomen! doch
ohne nähere Bestimmung auch nicht durchaus wahr.
"Hoch erhabene und runde Stirn, einen freyen,
"milden Menschen gegen seine Freunde und Bekannte,
"fröhlich, gutes Verständniß, einem andern bräuchlich,
"dankbar, tugendhaft." (Je nachdem sie liegt und an-
gebaut ward -- Sie kann's seyn -- Nicht muß sie's!)
"Schlechte, ungerunzelte Stirn einen schnöden, kriegs-
"haftigen, betrüglichen Menschen, mehr einfältig, als
[Spaltenumbruch] "weise." (Unbestimmt und in Ansehung der Runzello-
sigkeit oft gerade das Gegentheil.)
II.
Christian Schaliz in seiner von Aberglauben,
Vanitäten und Täuscherey gereinigten!!!!
Chiromantia und Physiognomia!!!

"Gar zu große Stirn ist eine Anzeigung der Furcht-
"samkeit, Faulheit, und eines Dummkopfs." (Wahr
und nicht wahr. Wahr, wenn sie ungestalt, wenn sie
rauh und in der Mitte eingedrückt ist -- aber nicht
wahr, wenn sie schön und proportionirt gewölbt ist.)
"Enge und klein einen unbeständigen, unruhigen,
"unlehrsamen!"
"Länglicht einen Menschen von guten Sinnen und
"gelehrsamen." (Unbestimmt.)
"Viereckigt, einen großmüthigen." (Sehet oben.)
"Jst sie wie ein Zirkel, bedeutet einen jähzornigen
"und dummen Kopf." (Sehet oben.)
"Jst sie hoch, bedeutet einen halsstarrigen und un-
"beständigen." (Widersprechend und unbestimmt.)
"Jst sie depressa, bedeutet einen weibischen." (Halb-
wahr, aber unbestimmt.)
"Gar zu runzelichte bedeutet nachsinnende und me-
"lancholische," (oder dumme und leichtsinnige; je nach-
dem die Runzeln stehen, liegen, einfach, widereinander
laufend, locker, angestrengt sind.)
"Gar zu runzlicht, einen geschwinden zornigen und
"darinn verharrenden." (Nachdem die Runzeln sind.)
"Jst sie in der Höhe runzlicht, ist ein Zeichen einer
steten Verwunderung, und fast Dummheit." (Ziemlich
wahr!)
Jst

IV. Abſchnitt. I. Fragment.
Die Stirnhaut, ihre Lage, Farbe, Faltung, Spannung, den leidenſchaftlichen, den aktuel-
len Zuſtand ſeiner Kraͤfte — der Knochen das innere Maaß der Kraft; die Haut die Anwen-
dung
der Kraft.

[Spaltenumbruch]

Der
Meynungen und Urtheile anderer Phyſiogno-
men uͤber die Stirne, mit untermiſchten
Anmerkungen des Verfaſſers.

I.
Aus einem ungenannten alten Deutſchen. (Chiro-
mancia,
Frankf. bey Chriſt. Egens Erben.
MDXCIV.)

„Stirn, ſchmale, bezeichnet unlernhaftig und fraͤſ-
„ſig.“ (Das erſte wahr; das andre — haftet gewiß
nicht an der Schmaͤle der Stirn.) „Breite — Un-
„zucht. Runde, Zorn; niedereingebogne Stirn
„Schaam, und einer, der ſich fuͤr Laſter huͤtet.“ (Un-
leidlich unbeſtimmt, und fuͤrchterlich unwahr. So
naͤmlich: Jede Stirn kann Unzucht treiben; jede zuͤr-
nen; jede ſich vor gewiſſen Laſtern huͤten — Aber nicht
wahr, daß breite Stirnen ein Hauptcharakter der Un-
zucht, runde ein entſcheidender des Zorns ſeyen —
viel eher des Gegentheils. Wahr iſt, daß niedereinge-
bogene,
d. i. oben vorhaͤngende Stirnen dumm und
furchtſam ſind, und keiner kuͤhnen Unternehmungen faͤ-
hig.)
„Viereckigte bedeutet große Weisheit und Keckheit.“
Die allgemeinſte Anmerkung aller Phyſiognomen! doch
ohne naͤhere Beſtimmung auch nicht durchaus wahr.
„Hoch erhabene und runde Stirn, einen freyen,
„milden Menſchen gegen ſeine Freunde und Bekannte,
„froͤhlich, gutes Verſtaͤndniß, einem andern braͤuchlich,
„dankbar, tugendhaft.“ (Je nachdem ſie liegt und an-
gebaut ward — Sie kann’s ſeyn — Nicht muß ſie’s!)
Schlechte, ungerunzelte Stirn einen ſchnoͤden, kriegs-
„haftigen, betruͤglichen Menſchen, mehr einfaͤltig, als
[Spaltenumbruch] „weiſe.“ (Unbeſtimmt und in Anſehung der Runzello-
ſigkeit oft gerade das Gegentheil.)
II.
Chriſtian Schaliz in ſeiner von Aberglauben,
Vanitaͤten und Taͤuſcherey gereinigten!!!!
Chiromantia und Phyſiognomia!!!

„Gar zu große Stirn iſt eine Anzeigung der Furcht-
„ſamkeit, Faulheit, und eines Dummkopfs.“ (Wahr
und nicht wahr. Wahr, wenn ſie ungeſtalt, wenn ſie
rauh und in der Mitte eingedruͤckt iſt — aber nicht
wahr, wenn ſie ſchoͤn und proportionirt gewoͤlbt iſt.)
Enge und klein einen unbeſtaͤndigen, unruhigen,
„unlehrſamen!“
Laͤnglicht einen Menſchen von guten Sinnen und
„gelehrſamen.“ (Unbeſtimmt.)
Viereckigt, einen großmuͤthigen.“ (Sehet oben.)
„Jſt ſie wie ein Zirkel, bedeutet einen jaͤhzornigen
„und dummen Kopf.“ (Sehet oben.)
„Jſt ſie hoch, bedeutet einen halsſtarrigen und un-
„beſtaͤndigen.“ (Widerſprechend und unbeſtimmt.)
„Jſt ſie depreſſa, bedeutet einen weibiſchen.“ (Halb-
wahr, aber unbeſtimmt.)
„Gar zu runzelichte bedeutet nachſinnende und me-
„lancholiſche,“ (oder dumme und leichtſinnige; je nach-
dem die Runzeln ſtehen, liegen, einfach, widereinander
laufend, locker, angeſtrengt ſind.)
Gar zu runzlicht, einen geſchwinden zornigen und
„darinn verharrenden.“ (Nachdem die Runzeln ſind.)
„Jſt ſie in der Hoͤhe runzlicht, iſt ein Zeichen einer
ſteten Verwunderung, und faſt Dummheit.“ (Ziemlich
wahr!)
Jſt
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[220/0250] IV. Abſchnitt. I. Fragment. Die Stirnhaut, ihre Lage, Farbe, Faltung, Spannung, den leidenſchaftlichen, den aktuel- len Zuſtand ſeiner Kraͤfte — der Knochen das innere Maaß der Kraft; die Haut die Anwen- dung der Kraft. Der Meynungen und Urtheile anderer Phyſiogno- men uͤber die Stirne, mit untermiſchten Anmerkungen des Verfaſſers. I. Aus einem ungenannten alten Deutſchen. (Chiro- mancia, Frankf. bey Chriſt. Egens Erben. MDXCIV.) „Stirn, ſchmale, bezeichnet unlernhaftig und fraͤſ- „ſig.“ (Das erſte wahr; das andre — haftet gewiß nicht an der Schmaͤle der Stirn.) „Breite — Un- „zucht. Runde, Zorn; niedereingebogne Stirn „Schaam, und einer, der ſich fuͤr Laſter huͤtet.“ (Un- leidlich unbeſtimmt, und fuͤrchterlich unwahr. So naͤmlich: Jede Stirn kann Unzucht treiben; jede zuͤr- nen; jede ſich vor gewiſſen Laſtern huͤten — Aber nicht wahr, daß breite Stirnen ein Hauptcharakter der Un- zucht, runde ein entſcheidender des Zorns ſeyen — viel eher des Gegentheils. Wahr iſt, daß niedereinge- bogene, d. i. oben vorhaͤngende Stirnen dumm und furchtſam ſind, und keiner kuͤhnen Unternehmungen faͤ- hig.) „Viereckigte bedeutet große Weisheit und Keckheit.“ Die allgemeinſte Anmerkung aller Phyſiognomen! doch ohne naͤhere Beſtimmung auch nicht durchaus wahr. „Hoch erhabene und runde Stirn, einen freyen, „milden Menſchen gegen ſeine Freunde und Bekannte, „froͤhlich, gutes Verſtaͤndniß, einem andern braͤuchlich, „dankbar, tugendhaft.“ (Je nachdem ſie liegt und an- gebaut ward — Sie kann’s ſeyn — Nicht muß ſie’s!) „Schlechte, ungerunzelte Stirn einen ſchnoͤden, kriegs- „haftigen, betruͤglichen Menſchen, mehr einfaͤltig, als „weiſe.“ (Unbeſtimmt und in Anſehung der Runzello- ſigkeit oft gerade das Gegentheil.) II. Chriſtian Schaliz in ſeiner von Aberglauben, Vanitaͤten und Taͤuſcherey gereinigten!!!! Chiromantia und Phyſiognomia!!! „Gar zu große Stirn iſt eine Anzeigung der Furcht- „ſamkeit, Faulheit, und eines Dummkopfs.“ (Wahr und nicht wahr. Wahr, wenn ſie ungeſtalt, wenn ſie rauh und in der Mitte eingedruͤckt iſt — aber nicht wahr, wenn ſie ſchoͤn und proportionirt gewoͤlbt iſt.) „Enge und klein einen unbeſtaͤndigen, unruhigen, „unlehrſamen!“ „Laͤnglicht einen Menſchen von guten Sinnen und „gelehrſamen.“ (Unbeſtimmt.) „Viereckigt, einen großmuͤthigen.“ (Sehet oben.) „Jſt ſie wie ein Zirkel, bedeutet einen jaͤhzornigen „und dummen Kopf.“ (Sehet oben.) „Jſt ſie hoch, bedeutet einen halsſtarrigen und un- „beſtaͤndigen.“ (Widerſprechend und unbeſtimmt.) „Jſt ſie depreſſa, bedeutet einen weibiſchen.“ (Halb- wahr, aber unbeſtimmt.) „Gar zu runzelichte bedeutet nachſinnende und me- „lancholiſche,“ (oder dumme und leichtſinnige; je nach- dem die Runzeln ſtehen, liegen, einfach, widereinander laufend, locker, angeſtrengt ſind.) „Gar zu runzlicht, einen geſchwinden zornigen und „darinn verharrenden.“ (Nachdem die Runzeln ſind.) „Jſt ſie in der Hoͤhe runzlicht, iſt ein Zeichen einer ſteten Verwunderung, und faſt Dummheit.“ (Ziemlich wahr!) Jſt

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/250>, abgerufen am 22.11.2024.