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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Stirnmaaß.
[Abbildung]

Eine reinere Weiblichkeit giebt's kaum, als die, so den Charakter dieser Stirn A. L. aus-
macht. Auch hat unter allen, die ich bisher maß, diese die zweyt kürzeste Perpendikularlinie. Zwar
die einzige weibliche Stirn, die ich maß -- phlegmatisch melancholischen Temperamentes -- hat alle
ihre Kraft zum stillen Leiden empfangen. Jhr Element ist einsame Ruhe -- höchstens einer Freun-
dinn stillgesprächige Gegenwart.

I. L. hat die höchste Perpendikularlinie unter allen, die ich maß -- sie ist nicht viel breiter
als A. L. und wohl einen Zoll länger. Beyde sind von äußerst sanftem Charakter. Geschmack
und die edelste Feinheit in allem, besonders in der Musik, bezeichnen sie vor vielen tausenden. Sie
liebt und wird geliebt, wie wenige. Aber feste, vordringende Kraft, ausdaurender Entwurf und
Unternehmungsgeist ist nicht in ihr.

Unter allen, die ich maß, ist nachstehende R die singulärste -- sehr schreckbar, dabey erfind-
sam und sehr kalkulirend -- voll Theorie von Klugheit, und dabey sehr gefühlvoll und gutmüthig.

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Jch
Phys. Fragm. IV. Versuch. H h
Stirnmaaß.
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Eine reinere Weiblichkeit giebt’s kaum, als die, ſo den Charakter dieſer Stirn A. L. aus-
macht. Auch hat unter allen, die ich bisher maß, dieſe die zweyt kuͤrzeſte Perpendikularlinie. Zwar
die einzige weibliche Stirn, die ich maß — phlegmatiſch melancholiſchen Temperamentes — hat alle
ihre Kraft zum ſtillen Leiden empfangen. Jhr Element iſt einſame Ruhe — hoͤchſtens einer Freun-
dinn ſtillgeſpraͤchige Gegenwart.

I. L. hat die hoͤchſte Perpendikularlinie unter allen, die ich maß — ſie iſt nicht viel breiter
als A. L. und wohl einen Zoll laͤnger. Beyde ſind von aͤußerſt ſanftem Charakter. Geſchmack
und die edelſte Feinheit in allem, beſonders in der Muſik, bezeichnen ſie vor vielen tauſenden. Sie
liebt und wird geliebt, wie wenige. Aber feſte, vordringende Kraft, ausdaurender Entwurf und
Unternehmungsgeiſt iſt nicht in ihr.

Unter allen, die ich maß, iſt nachſtehende R die ſingulaͤrſte — ſehr ſchreckbar, dabey erfind-
ſam und ſehr kalkulirend — voll Theorie von Klugheit, und dabey ſehr gefuͤhlvoll und gutmuͤthig.

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Jch
Phyſ. Fragm. IV. Verſuch. H h
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[241/0275] Stirnmaaß. [Abbildung] Eine reinere Weiblichkeit giebt’s kaum, als die, ſo den Charakter dieſer Stirn A. L. aus- macht. Auch hat unter allen, die ich bisher maß, dieſe die zweyt kuͤrzeſte Perpendikularlinie. Zwar die einzige weibliche Stirn, die ich maß — phlegmatiſch melancholiſchen Temperamentes — hat alle ihre Kraft zum ſtillen Leiden empfangen. Jhr Element iſt einſame Ruhe — hoͤchſtens einer Freun- dinn ſtillgeſpraͤchige Gegenwart. I. L. hat die hoͤchſte Perpendikularlinie unter allen, die ich maß — ſie iſt nicht viel breiter als A. L. und wohl einen Zoll laͤnger. Beyde ſind von aͤußerſt ſanftem Charakter. Geſchmack und die edelſte Feinheit in allem, beſonders in der Muſik, bezeichnen ſie vor vielen tauſenden. Sie liebt und wird geliebt, wie wenige. Aber feſte, vordringende Kraft, ausdaurender Entwurf und Unternehmungsgeiſt iſt nicht in ihr. Unter allen, die ich maß, iſt nachſtehende R die ſingulaͤrſte — ſehr ſchreckbar, dabey erfind- ſam und ſehr kalkulirend — voll Theorie von Klugheit, und dabey ſehr gefuͤhlvoll und gutmuͤthig. [Abbildung] Jch Phyſ. Fragm. IV. Verſuch. H h

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/275>, abgerufen am 22.11.2024.