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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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IV. Abschnitt. II. Fragment.

Jch habe bis hieher durchaus bemerkt, daß die proportionirtesten Stirnen, die, deren Grund-
riß einen schönen schwungfreyen Bogen formirt -- von sanftem Charakter sind -- und Talente
besitzen.

Noch muß angemerkt werden, daß diese beyden Stirnen, so sehr sie sonst in Ansehung ihrer
Form und ihres geistigen Charakters verschieden sind, doch das mit einander gemein haben, daß die
halben Horizontallinien mit der perpendikulären gleich sind.

[Abbildung]
Beylage B.
Fünf Schädel nach Vesalius.

Jch suchte in den anatomischen Schriften nach, fragte die belesensten Mediziner -- fragte Geß-
nern
und Hallern: Ob der großen Anatomiker keiner die Verschiedenheit der Schädel nach der
Verschiedenheit des Geistescharakters des Menschen untersucht, oder die Verhältnisse ihrer Umrisse
zu bestimmen gesucht hätte? Und alles, was ich fand, und alles, was man mir sagen konnte, war
eine Stelle in Vesalius,*) und eine Zeichnung von fünf verschiedenen Schädeln, die ich durch-
zeichnen ließ, und die billig hier einen Platz verdienen.

a) Jst
*) [Spaltenumbruch] Vesalius -- Jch empfehle sein Gesicht besonders
dem Studium des Physiognomisten. Diese feste, wa-
ckere Bestimmtheit, diese treffenden Augen, diese, an sich
allein betrachtet, für reifen männlichen Verstand, oder
[Spaltenumbruch] vielmehr für gesunden Sinn schlechterdings entscheiden-
de Nase -- Wie selten werdet ihr sie finden! Beym
Anblicke seines Gesichtes fühlte ich aufs neue: Es ist
eine Wollust, einen großen Mann und eines großen
Mannes
IV. Abſchnitt. II. Fragment.

Jch habe bis hieher durchaus bemerkt, daß die proportionirteſten Stirnen, die, deren Grund-
riß einen ſchoͤnen ſchwungfreyen Bogen formirt — von ſanftem Charakter ſind — und Talente
beſitzen.

Noch muß angemerkt werden, daß dieſe beyden Stirnen, ſo ſehr ſie ſonſt in Anſehung ihrer
Form und ihres geiſtigen Charakters verſchieden ſind, doch das mit einander gemein haben, daß die
halben Horizontallinien mit der perpendikulaͤren gleich ſind.

[Abbildung]
Beylage B.
Fuͤnf Schaͤdel nach Veſalius.

Jch ſuchte in den anatomiſchen Schriften nach, fragte die beleſenſten Mediziner — fragte Geß-
nern
und Hallern: Ob der großen Anatomiker keiner die Verſchiedenheit der Schaͤdel nach der
Verſchiedenheit des Geiſtescharakters des Menſchen unterſucht, oder die Verhaͤltniſſe ihrer Umriſſe
zu beſtimmen geſucht haͤtte? Und alles, was ich fand, und alles, was man mir ſagen konnte, war
eine Stelle in Veſalius,*) und eine Zeichnung von fuͤnf verſchiedenen Schaͤdeln, die ich durch-
zeichnen ließ, und die billig hier einen Platz verdienen.

a) Jſt
*) [Spaltenumbruch] Veſalius — Jch empfehle ſein Geſicht beſonders
dem Studium des Phyſiognomiſten. Dieſe feſte, wa-
ckere Beſtimmtheit, dieſe treffenden Augen, dieſe, an ſich
allein betrachtet, fuͤr reifen maͤnnlichen Verſtand, oder
[Spaltenumbruch] vielmehr fuͤr geſunden Sinn ſchlechterdings entſcheiden-
de Naſe — Wie ſelten werdet ihr ſie finden! Beym
Anblicke ſeines Geſichtes fuͤhlte ich aufs neue: Es iſt
eine Wolluſt, einen großen Mann und eines großen
Mannes
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[246/0280] IV. Abſchnitt. II. Fragment. Jch habe bis hieher durchaus bemerkt, daß die proportionirteſten Stirnen, die, deren Grund- riß einen ſchoͤnen ſchwungfreyen Bogen formirt — von ſanftem Charakter ſind — und Talente beſitzen. Noch muß angemerkt werden, daß dieſe beyden Stirnen, ſo ſehr ſie ſonſt in Anſehung ihrer Form und ihres geiſtigen Charakters verſchieden ſind, doch das mit einander gemein haben, daß die halben Horizontallinien mit der perpendikulaͤren gleich ſind. [Abbildung] Beylage B. Fuͤnf Schaͤdel nach Veſalius. Jch ſuchte in den anatomiſchen Schriften nach, fragte die beleſenſten Mediziner — fragte Geß- nern und Hallern: Ob der großen Anatomiker keiner die Verſchiedenheit der Schaͤdel nach der Verſchiedenheit des Geiſtescharakters des Menſchen unterſucht, oder die Verhaͤltniſſe ihrer Umriſſe zu beſtimmen geſucht haͤtte? Und alles, was ich fand, und alles, was man mir ſagen konnte, war eine Stelle in Veſalius, *) und eine Zeichnung von fuͤnf verſchiedenen Schaͤdeln, die ich durch- zeichnen ließ, und die billig hier einen Platz verdienen. a) Jſt *) Veſalius — Jch empfehle ſein Geſicht beſonders dem Studium des Phyſiognomiſten. Dieſe feſte, wa- ckere Beſtimmtheit, dieſe treffenden Augen, dieſe, an ſich allein betrachtet, fuͤr reifen maͤnnlichen Verſtand, oder vielmehr fuͤr geſunden Sinn ſchlechterdings entſcheiden- de Naſe — Wie ſelten werdet ihr ſie finden! Beym Anblicke ſeines Geſichtes fuͤhlte ich aufs neue: Es iſt eine Wolluſt, einen großen Mann und eines großen Mannes

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/280>, abgerufen am 22.11.2024.