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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Eigne Bemerkungen.

Die Franzosen weiß ich am wenigsten zu charakterisiren -- Sie sind nicht so groß gezeich-
net, wie die Engländer; und nicht so kleinlicht, wie die Deutschen. Jch erkenne sie meistens an
den Zähnen und am Lachen; den Jtaliäner an der Nase, dem kleinen Auge, und am vorstehen-
den Kinne; den Engländer an der Stirne und den Augenbraunen -- den Holländer an der
Rundung des Hauptes und an den weichen Haaren -- den Deutschen an den Furchen und
Falten
um die Augen und in den Wangen; die Russen an den aufgeworfenen Nasen -- weißen
oder schwarzen Haaren. Und nun noch ein Wort von den Engländern besonders. Die Eng-
länder
haben die kürzesten und gewölbtesten Stirnen, nämlich nur obenher wölben sie sich, unten-
her gegen die Augenbraunen sind sie sanft gespannt oder geradlinigter -- sie haben sehr selten spitze,
aber oft runde, stumpfe, markige Nasen. Quäker und Herrnhuter ausgenommen, die überhaupt
in aller Welt lippenlosern Mund haben -- haben die Engländer große, wohlgezeichnete, schön ge-
schweifte Lippen -- und ein rundes volles Kinn; vornehmlich aber unterscheiden sie sich durch ihre
Augenbraunen und Augen, die stark offen, frey und treffend sind. Jhre Gesichter sind überhaupt
in einer großen Manier gezeichnet. Jhnen fehlen überall die unendlich kleinen vielen Nebenzüge --
Falten und Furchen, wodurch besonders die deutschen Gesichter unterschieden werden. Jhre Ge-
sichtsfarbe ist weißlicher, als der Deutschen.

Alle englische Frauenzimmer, die ich in Natur und in Bildern gesehen, scheinen aus Mark
und Nerven gebildet -- sind länglicht, schmächtig, zart, und von aller Rohigkeit, Härte und Zäh-
heit himmelweit entfernt.

Die Schweizer überhaupt genommen, haben, den Blick der Treuherzigkeit ausgenommen,
keinen gemeinsamen physiognomischen Nationalcharakter -- Sie sind unter sich so verschieden gebil-
det, wie die entferntesten Nationen. Der französische Schweizerbauer, und der Appenzeller sind
in allen Absichten so verschieden als möglich. Es kann aber seyn, daß ein fremdes Auge den allge-
[Spaltenumbruch]

meinen
Farbe der Zähne schließen. Bemerkungen, die den er-
sten Augenblick lächerlich scheinen mögen, und die sich
dennoch jedem unbefangenen Beobachter von zarten
Sinnen, der mit vielerley Arten von Menschen umzu-
[Spaltenumbruch] gehen Gelegenheit hat, täglich bewahrheiten werden.
Für den Arzt ist auch die Sache gar nicht gleichgültig.
Zuversichtlicher und klüger arbeitet er gegen den Feind,
dessen Daseyn ihm durch mehrere Kennzeichen gewiß wird.
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Eigne Bemerkungen.

Die Franzoſen weiß ich am wenigſten zu charakteriſiren — Sie ſind nicht ſo groß gezeich-
net, wie die Englaͤnder; und nicht ſo kleinlicht, wie die Deutſchen. Jch erkenne ſie meiſtens an
den Zaͤhnen und am Lachen; den Jtaliaͤner an der Naſe, dem kleinen Auge, und am vorſtehen-
den Kinne; den Englaͤnder an der Stirne und den Augenbraunen — den Hollaͤnder an der
Rundung des Hauptes und an den weichen Haaren — den Deutſchen an den Furchen und
Falten
um die Augen und in den Wangen; die Ruſſen an den aufgeworfenen Naſen — weißen
oder ſchwarzen Haaren. Und nun noch ein Wort von den Englaͤndern beſonders. Die Eng-
laͤnder
haben die kuͤrzeſten und gewoͤlbteſten Stirnen, naͤmlich nur obenher woͤlben ſie ſich, unten-
her gegen die Augenbraunen ſind ſie ſanft geſpannt oder geradlinigter — ſie haben ſehr ſelten ſpitze,
aber oft runde, ſtumpfe, markige Naſen. Quaͤker und Herrnhuter ausgenommen, die uͤberhaupt
in aller Welt lippenloſern Mund haben — haben die Englaͤnder große, wohlgezeichnete, ſchoͤn ge-
ſchweifte Lippen — und ein rundes volles Kinn; vornehmlich aber unterſcheiden ſie ſich durch ihre
Augenbraunen und Augen, die ſtark offen, frey und treffend ſind. Jhre Geſichter ſind uͤberhaupt
in einer großen Manier gezeichnet. Jhnen fehlen uͤberall die unendlich kleinen vielen Nebenzuͤge —
Falten und Furchen, wodurch beſonders die deutſchen Geſichter unterſchieden werden. Jhre Ge-
ſichtsfarbe iſt weißlicher, als der Deutſchen.

Alle engliſche Frauenzimmer, die ich in Natur und in Bildern geſehen, ſcheinen aus Mark
und Nerven gebildet — ſind laͤnglicht, ſchmaͤchtig, zart, und von aller Rohigkeit, Haͤrte und Zaͤh-
heit himmelweit entfernt.

Die Schweizer uͤberhaupt genommen, haben, den Blick der Treuherzigkeit ausgenommen,
keinen gemeinſamen phyſiognomiſchen Nationalcharakter — Sie ſind unter ſich ſo verſchieden gebil-
det, wie die entfernteſten Nationen. Der franzoͤſiſche Schweizerbauer, und der Appenzeller ſind
in allen Abſichten ſo verſchieden als moͤglich. Es kann aber ſeyn, daß ein fremdes Auge den allge-
[Spaltenumbruch]

meinen
Farbe der Zaͤhne ſchließen. Bemerkungen, die den er-
ſten Augenblick laͤcherlich ſcheinen moͤgen, und die ſich
dennoch jedem unbefangenen Beobachter von zarten
Sinnen, der mit vielerley Arten von Menſchen umzu-
[Spaltenumbruch] gehen Gelegenheit hat, taͤglich bewahrheiten werden.
Fuͤr den Arzt iſt auch die Sache gar nicht gleichguͤltig.
Zuverſichtlicher und kluͤger arbeitet er gegen den Feind,
deſſen Daſeyn ihm durch mehrere Kennzeichen gewiß wird.
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[269/0309] Eigne Bemerkungen. Die Franzoſen weiß ich am wenigſten zu charakteriſiren — Sie ſind nicht ſo groß gezeich- net, wie die Englaͤnder; und nicht ſo kleinlicht, wie die Deutſchen. Jch erkenne ſie meiſtens an den Zaͤhnen und am Lachen; den Jtaliaͤner an der Naſe, dem kleinen Auge, und am vorſtehen- den Kinne; den Englaͤnder an der Stirne und den Augenbraunen — den Hollaͤnder an der Rundung des Hauptes und an den weichen Haaren — den Deutſchen an den Furchen und Falten um die Augen und in den Wangen; die Ruſſen an den aufgeworfenen Naſen — weißen oder ſchwarzen Haaren. Und nun noch ein Wort von den Englaͤndern beſonders. Die Eng- laͤnder haben die kuͤrzeſten und gewoͤlbteſten Stirnen, naͤmlich nur obenher woͤlben ſie ſich, unten- her gegen die Augenbraunen ſind ſie ſanft geſpannt oder geradlinigter — ſie haben ſehr ſelten ſpitze, aber oft runde, ſtumpfe, markige Naſen. Quaͤker und Herrnhuter ausgenommen, die uͤberhaupt in aller Welt lippenloſern Mund haben — haben die Englaͤnder große, wohlgezeichnete, ſchoͤn ge- ſchweifte Lippen — und ein rundes volles Kinn; vornehmlich aber unterſcheiden ſie ſich durch ihre Augenbraunen und Augen, die ſtark offen, frey und treffend ſind. Jhre Geſichter ſind uͤberhaupt in einer großen Manier gezeichnet. Jhnen fehlen uͤberall die unendlich kleinen vielen Nebenzuͤge — Falten und Furchen, wodurch beſonders die deutſchen Geſichter unterſchieden werden. Jhre Ge- ſichtsfarbe iſt weißlicher, als der Deutſchen. Alle engliſche Frauenzimmer, die ich in Natur und in Bildern geſehen, ſcheinen aus Mark und Nerven gebildet — ſind laͤnglicht, ſchmaͤchtig, zart, und von aller Rohigkeit, Haͤrte und Zaͤh- heit himmelweit entfernt. Die Schweizer uͤberhaupt genommen, haben, den Blick der Treuherzigkeit ausgenommen, keinen gemeinſamen phyſiognomiſchen Nationalcharakter — Sie ſind unter ſich ſo verſchieden gebil- det, wie die entfernteſten Nationen. Der franzoͤſiſche Schweizerbauer, und der Appenzeller ſind in allen Abſichten ſo verſchieden als moͤglich. Es kann aber ſeyn, daß ein fremdes Auge den allge- meinen *) *) Farbe der Zaͤhne ſchließen. Bemerkungen, die den er- ſten Augenblick laͤcherlich ſcheinen moͤgen, und die ſich dennoch jedem unbefangenen Beobachter von zarten Sinnen, der mit vielerley Arten von Menſchen umzu- gehen Gelegenheit hat, taͤglich bewahrheiten werden. Fuͤr den Arzt iſt auch die Sache gar nicht gleichguͤltig. Zuverſichtlicher und kluͤger arbeitet er gegen den Feind, deſſen Daſeyn ihm durch mehrere Kennzeichen gewiß wird. L l 3

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/309>, abgerufen am 23.11.2024.