Vermuthlich Joseph in dem Momente: wie sollte ich ein solch Uebel thun, und wider Gott sündigen? Kampf und Sieg scheint mir in diesem Gesichte gleich sichtbar. Dieß Gesicht ist reizend und reizbar. Aber es hat gesunden Sinn für Wahr- heit, Recht, Ordnung, und -- Religion! Es stemmt sich an den unsichtbaren Zeugen empor. Es will und kann. Der Mund kämpft; das Auge siegt. Jm Munde scheint angehauch- ter Hauch der Wollust zu athmen, oder vielmehr den reinen Lippen zu entfliehen -- scheint von dem Drange der Religion verfolgt und verschlungen zu werden. Der Bogen des Augenliedes ist wie die Stirne groß und Stärkereich! Es kann siegen durch Kraft, ins Unsichtbare hinaufzublicken. Schmachten nach Sieg, nach Gottes Zeugen- und Lohnersblick -- das sich loswindet aus dem schnell angehauchten Schmachten nach sinnlicher Lust -- scheint den Hauptcharakter dieses Gesichtes auszumachen. Und des nachstehenden weniger Hoffnung, als Sehnsucht. Sehnsucht schwacher, aber trugloser Redlichkeit, die nicht beobachtet, aber sieht; nicht nimmt, aber empfängt -- Worte des Lebens.
Vermuthlich Joſeph in dem Momente: wie ſollte ich ein ſolch Uebel thun, und wider Gott ſuͤndigen? Kampf und Sieg ſcheint mir in dieſem Geſichte gleich ſichtbar. Dieß Geſicht iſt reizend und reizbar. Aber es hat geſunden Sinn fuͤr Wahr- heit, Recht, Ordnung, und — Religion! Es ſtemmt ſich an den unſichtbaren Zeugen empor. Es will und kann. Der Mund kaͤmpft; das Auge ſiegt. Jm Munde ſcheint angehauch- ter Hauch der Wolluſt zu athmen, oder vielmehr den reinen Lippen zu entfliehen — ſcheint von dem Drange der Religion verfolgt und verſchlungen zu werden. Der Bogen des Augenliedes iſt wie die Stirne groß und Staͤrkereich! Es kann ſiegen durch Kraft, ins Unſichtbare hinaufzublicken. Schmachten nach Sieg, nach Gottes Zeugen- und Lohnersblick — das ſich loswindet aus dem ſchnell angehauchten Schmachten nach ſinnlicher Luſt — ſcheint den Hauptcharakter dieſes Geſichtes auszumachen. Und des nachſtehenden weniger Hoffnung, als Sehnſucht. Sehnſucht ſchwacher, aber trugloſer Redlichkeit, die nicht beobachtet, aber ſieht; nicht nimmt, aber empfaͤngt — Worte des Lebens.
[Abbildung]
B. Ein
E e e 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0495"n="403"/><divn="3"><head><hirendition="#b">Siebentes Fragment.<lb/><hirendition="#g">Vermiſchte leidenſchaftliche Charakter</hi>.</hi></head><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">A.</hi> Ein maͤnnlicher Kopf, emporſehend.</hi></head><lb/><noteplace="left">Des <hirendition="#aq">IV</hi> Ban-<lb/>
des <hirendition="#aq">XXXVIII</hi><lb/>
Tafel. Nach<lb/>
Raphael. <hirendition="#aq">I.</hi></note><p><hirendition="#in">V</hi>ermuthlich Joſeph in dem Momente: <hirendition="#fr">wie ſollte ich ein ſolch Uebel thun, und<lb/>
wider Gott ſuͤndigen?</hi> Kampf und Sieg ſcheint mir in dieſem Geſichte gleich<lb/>ſichtbar. Dieß Geſicht iſt reizend und reizbar. Aber es hat geſunden Sinn fuͤr Wahr-<lb/>
heit, Recht, Ordnung, und —<hirendition="#fr">Religion!</hi> Es ſtemmt ſich an den unſichtbaren Zeugen<lb/>
empor. <hirendition="#fr">Es will und kann.</hi> Der Mund kaͤmpft; das Auge ſiegt. Jm Munde ſcheint angehauch-<lb/>
ter Hauch der Wolluſt zu athmen, oder vielmehr den reinen Lippen zu entfliehen —ſcheint von dem<lb/>
Drange der Religion verfolgt und verſchlungen zu werden. Der Bogen des Augenliedes iſt wie die<lb/>
Stirne groß und Staͤrkereich! Es kann ſiegen durch Kraft, ins Unſichtbare hinaufzublicken.<lb/>
Schmachten nach Sieg, nach Gottes Zeugen- und Lohnersblick — das ſich loswindet aus dem<lb/>ſchnell angehauchten Schmachten nach ſinnlicher Luſt —ſcheint den Hauptcharakter dieſes Geſichtes<lb/>
auszumachen. Und des nachſtehenden weniger Hoffnung, als Sehnſucht. Sehnſucht ſchwacher,<lb/>
aber trugloſer Redlichkeit, die nicht beobachtet, aber ſieht; nicht nimmt, aber empfaͤngt — Worte<lb/>
des Lebens.</p><lb/><figure/></div><fwplace="bottom"type="sig">E e e 2</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">B.</hi> Ein</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[403/0495]
Siebentes Fragment.
Vermiſchte leidenſchaftliche Charakter.
A. Ein maͤnnlicher Kopf, emporſehend.
Vermuthlich Joſeph in dem Momente: wie ſollte ich ein ſolch Uebel thun, und
wider Gott ſuͤndigen? Kampf und Sieg ſcheint mir in dieſem Geſichte gleich
ſichtbar. Dieß Geſicht iſt reizend und reizbar. Aber es hat geſunden Sinn fuͤr Wahr-
heit, Recht, Ordnung, und — Religion! Es ſtemmt ſich an den unſichtbaren Zeugen
empor. Es will und kann. Der Mund kaͤmpft; das Auge ſiegt. Jm Munde ſcheint angehauch-
ter Hauch der Wolluſt zu athmen, oder vielmehr den reinen Lippen zu entfliehen — ſcheint von dem
Drange der Religion verfolgt und verſchlungen zu werden. Der Bogen des Augenliedes iſt wie die
Stirne groß und Staͤrkereich! Es kann ſiegen durch Kraft, ins Unſichtbare hinaufzublicken.
Schmachten nach Sieg, nach Gottes Zeugen- und Lohnersblick — das ſich loswindet aus dem
ſchnell angehauchten Schmachten nach ſinnlicher Luſt — ſcheint den Hauptcharakter dieſes Geſichtes
auszumachen. Und des nachſtehenden weniger Hoffnung, als Sehnſucht. Sehnſucht ſchwacher,
aber trugloſer Redlichkeit, die nicht beobachtet, aber ſieht; nicht nimmt, aber empfaͤngt — Worte
des Lebens.
[Abbildung]
B. Ein
E e e 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/495>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.