Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.I. Abschnitt. I. Fragment. Und gleich (Seite 24.) fängt sich eine sehr scharfsinnige lehrende Erklärung über das Pa- Und nun erlauben Sie mir noch, mein würdiger Gegner -- nein, nicht mehr Gegner -- (Seite 19.) "Was unserm Urtheil aus Gesichtern noch so oft einige Richtigkeit giebt, sind (Seite 21.) "Bey den Gesichtern der gefährlichsten Menschen kann man sich oft nichts den- je *) [Spaltenumbruch]
Und der ganze Bau des Menschen, -- lassen Sie
mich einfallen -- soll nichts von seinen Talenten und Anlagen verrathen? -- Kann sich die sanfteste Beschei- [Spaltenumbruch] denheit erwehren -- da ans Mückenseigen und Ka- meelverschlucken zu denken? I. Abſchnitt. I. Fragment. Und gleich (Seite 24.) faͤngt ſich eine ſehr ſcharfſinnige lehrende Erklaͤrung uͤber das Pa- Und nun erlauben Sie mir noch, mein wuͤrdiger Gegner — nein, nicht mehr Gegner — (Seite 19.) „Was unſerm Urtheil aus Geſichtern noch ſo oft einige Richtigkeit giebt, ſind (Seite 21.) „Bey den Geſichtern der gefaͤhrlichſten Menſchen kann man ſich oft nichts den- je *) [Spaltenumbruch]
Und der ganze Bau des Menſchen, — laſſen Sie
mich einfallen — ſoll nichts von ſeinen Talenten und Anlagen verrathen? — Kann ſich die ſanfteſte Beſchei- [Spaltenumbruch] denheit erwehren — da ans Muͤckenſeigen und Ka- meelverſchlucken zu denken? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0058" n="36"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">I.</hi> <hi rendition="#g">Abſchnitt.</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> <hi rendition="#g">Fragment.</hi> </hi> </fw><lb/> <p>Und gleich (Seite 24.) faͤngt ſich eine ſehr ſcharfſinnige <hi rendition="#fr">lehrende Erklaͤrung</hi> uͤber das Pa-<lb/> thognomiſche in 12. Chodowieckiſchen Geſichtern an — und wie viel Phyſiognomiſches laͤuft dann<lb/> nicht wieder in dieſen Erklaͤrungen mit unter!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Und nun erlauben Sie mir noch, mein wuͤrdiger Gegner — nein, nicht mehr Gegner —<lb/> durch Wahrheit und Wahrheitsliebe uͤberzeugter Freund, daß ich einige koſtbare Gedanken und<lb/> Anmerkungen aus Jhrer Abhandlung ſowohl, als den Erklaͤrungen, die Sie uͤber einige Chodowie-<lb/> ckiſche Geſichter eingeruͤckt, und wovon einige nur Fragmentsweiſe, einige noch gar nicht angefuͤhrt<lb/> werden konnten, ganz heraus hebe, und ſie in meine Verſuche dankbar aufnehme — Jch ſtehe da-<lb/> fuͤr, daß ſie meinen Leſern angenehm ſeyn werden.</p><lb/> <p>(Seite 19.) „Was unſerm Urtheil aus Geſichtern noch ſo oft einige Richtigkeit giebt, ſind<lb/> „die, weder phyſiognomiſchen noch pathognomiſchen, untruͤglichen Spuren ehemaliger Handlungen,<lb/> „ohne die kein Menſch auf der Straße, oder in Geſellſchaft erſcheinen kann. Die Liederlichkeit, der<lb/> „Geiz, die Betteley u. ſ. w. haben ihre eigene Livre’e, woran ſie ſo kenntlich ſind, als der Soldat<lb/> „an ſeiner Uniform, oder der Caminfeger an der ſeinigen. Eine einzige Partikel verraͤth eine<lb/> „ſchlechte Erziehung,<note place="foot" n="*)"><cb/> Und der ganze Bau des Menſchen, — laſſen Sie<lb/> mich einfallen — ſoll nichts von ſeinen Talenten und<lb/> Anlagen verrathen? — Kann ſich die ſanfteſte Beſchei-<lb/><cb/> denheit erwehren — da ans <hi rendition="#fr">Muͤckenſeigen</hi> und <hi rendition="#fr">Ka-<lb/> meelverſchlucken</hi> zu denken?</note> und die Form unſers Hutes und die Art ihn zu ſetzen, unſern ganzen Umgang<lb/> „und Grad von Geckerey. Selbſt die Raſenden wuͤrden oft unkenntlich ſeyn, wenn ſie nicht han-<lb/> „delten. Es wird oft mehr aus Kleidung, Anſtand, Compliment beym erſten Beſuch und Auffuͤh-<lb/> „rung in der erſten Viertelſtunde hinein erklaͤrt, als die ganze uͤbrige Zeit (von unphyſiognomiſchen<lb/> Augen laſſen Sie mich hinzuſetzen!) „aus demſelben heraus. Meine Waͤſche und ein ſimpler Aus-<lb/> „zug bedecken auch Zuͤge des Geſichtes.“</p><lb/> <p>(Seite 21.) „Bey den Geſichtern der gefaͤhrlichſten Menſchen kann man ſich oft nichts den-<lb/> „ken. Alles ſteckt hinter einem Flor von Melancholie, durch den ſich nichts deuten laͤßt. Wer das<lb/> „noch nicht bemerkt hat, kennt den Menſchen nicht. Die Boͤſewichter werden immer unkenntlicher,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">je</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0058]
I. Abſchnitt. I. Fragment.
Und gleich (Seite 24.) faͤngt ſich eine ſehr ſcharfſinnige lehrende Erklaͤrung uͤber das Pa-
thognomiſche in 12. Chodowieckiſchen Geſichtern an — und wie viel Phyſiognomiſches laͤuft dann
nicht wieder in dieſen Erklaͤrungen mit unter!
Und nun erlauben Sie mir noch, mein wuͤrdiger Gegner — nein, nicht mehr Gegner —
durch Wahrheit und Wahrheitsliebe uͤberzeugter Freund, daß ich einige koſtbare Gedanken und
Anmerkungen aus Jhrer Abhandlung ſowohl, als den Erklaͤrungen, die Sie uͤber einige Chodowie-
ckiſche Geſichter eingeruͤckt, und wovon einige nur Fragmentsweiſe, einige noch gar nicht angefuͤhrt
werden konnten, ganz heraus hebe, und ſie in meine Verſuche dankbar aufnehme — Jch ſtehe da-
fuͤr, daß ſie meinen Leſern angenehm ſeyn werden.
(Seite 19.) „Was unſerm Urtheil aus Geſichtern noch ſo oft einige Richtigkeit giebt, ſind
„die, weder phyſiognomiſchen noch pathognomiſchen, untruͤglichen Spuren ehemaliger Handlungen,
„ohne die kein Menſch auf der Straße, oder in Geſellſchaft erſcheinen kann. Die Liederlichkeit, der
„Geiz, die Betteley u. ſ. w. haben ihre eigene Livre’e, woran ſie ſo kenntlich ſind, als der Soldat
„an ſeiner Uniform, oder der Caminfeger an der ſeinigen. Eine einzige Partikel verraͤth eine
„ſchlechte Erziehung, *) und die Form unſers Hutes und die Art ihn zu ſetzen, unſern ganzen Umgang
„und Grad von Geckerey. Selbſt die Raſenden wuͤrden oft unkenntlich ſeyn, wenn ſie nicht han-
„delten. Es wird oft mehr aus Kleidung, Anſtand, Compliment beym erſten Beſuch und Auffuͤh-
„rung in der erſten Viertelſtunde hinein erklaͤrt, als die ganze uͤbrige Zeit (von unphyſiognomiſchen
Augen laſſen Sie mich hinzuſetzen!) „aus demſelben heraus. Meine Waͤſche und ein ſimpler Aus-
„zug bedecken auch Zuͤge des Geſichtes.“
(Seite 21.) „Bey den Geſichtern der gefaͤhrlichſten Menſchen kann man ſich oft nichts den-
„ken. Alles ſteckt hinter einem Flor von Melancholie, durch den ſich nichts deuten laͤßt. Wer das
„noch nicht bemerkt hat, kennt den Menſchen nicht. Die Boͤſewichter werden immer unkenntlicher,
je
*)
Und der ganze Bau des Menſchen, — laſſen Sie
mich einfallen — ſoll nichts von ſeinen Talenten und
Anlagen verrathen? — Kann ſich die ſanfteſte Beſchei-
denheit erwehren — da ans Muͤckenſeigen und Ka-
meelverſchlucken zu denken?
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