Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.I. Abschnitt. I. Fragment. Anmerkungen zu einer physiognomischen Abhandlung. "trone, auf deren Gesicht so viele nicht zu verkennende Spuren von Güte und Heiterkeit der Seele"sich zeigen, einer ihrer verehrenswürdigsten ist. Alter macht nie ein Gesicht häßlich, dem eine See- "le zugehört, die sich ohne Maske zeigen darf. Es nimmt nur die schönfarbigte Larve weg, unter "deren sich Coquetterie, Eigensinn und Bosheit versteckten. Wo sehr häßliches Alter ist, da hätte "ein ruhiger Beobachter auch schon die Häßlichkeit im Mädchen gesehen -- Es ist nicht schwer; und "handelte der Mensch nur immer nach Ueberzeugung, anstatt sich auf Rechnung des Zufalls mit "Hoffnung zu schmeicheln, so würden glückliche Ehen minder selten seyn, und, wie Shakespear "sagt, nicht mit dem Bande, das Herzen knüpfen soll, so oft aller zeitliche Frieden stranguliret "werden." -- Mir aus der Seele heraus gesprochen. O an der Seite eines solchen Beobachters hätte Zweytes
I. Abſchnitt. I. Fragment. Anmerkungen zu einer phyſiognomiſchen Abhandlung. „trone, auf deren Geſicht ſo viele nicht zu verkennende Spuren von Guͤte und Heiterkeit der Seele„ſich zeigen, einer ihrer verehrenswuͤrdigſten iſt. Alter macht nie ein Geſicht haͤßlich, dem eine See- „le zugehoͤrt, die ſich ohne Maske zeigen darf. Es nimmt nur die ſchoͤnfarbigte Larve weg, unter „deren ſich Coquetterie, Eigenſinn und Bosheit verſteckten. Wo ſehr haͤßliches Alter iſt, da haͤtte „ein ruhiger Beobachter auch ſchon die Haͤßlichkeit im Maͤdchen geſehen — Es iſt nicht ſchwer; und „handelte der Menſch nur immer nach Ueberzeugung, anſtatt ſich auf Rechnung des Zufalls mit „Hoffnung zu ſchmeicheln, ſo wuͤrden gluͤckliche Ehen minder ſelten ſeyn, und, wie Shakeſpear „ſagt, nicht mit dem Bande, das Herzen knuͤpfen ſoll, ſo oft aller zeitliche Frieden ſtranguliret „werden.“ — Mir aus der Seele heraus geſprochen. O an der Seite eines ſolchen Beobachters haͤtte Zweytes
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I. Abſchnitt. I. Fragment. Anmerkungen zu einer phyſiognomiſchen Abhandlung.
„trone, auf deren Geſicht ſo viele nicht zu verkennende Spuren von Guͤte und Heiterkeit der Seele
„ſich zeigen, einer ihrer verehrenswuͤrdigſten iſt. Alter macht nie ein Geſicht haͤßlich, dem eine See-
„le zugehoͤrt, die ſich ohne Maske zeigen darf. Es nimmt nur die ſchoͤnfarbigte Larve weg, unter
„deren ſich Coquetterie, Eigenſinn und Bosheit verſteckten. Wo ſehr haͤßliches Alter iſt, da haͤtte
„ein ruhiger Beobachter auch ſchon die Haͤßlichkeit im Maͤdchen geſehen — Es iſt nicht ſchwer; und
„handelte der Menſch nur immer nach Ueberzeugung, anſtatt ſich auf Rechnung des Zufalls mit
„Hoffnung zu ſchmeicheln, ſo wuͤrden gluͤckliche Ehen minder ſelten ſeyn, und, wie Shakeſpear
„ſagt, nicht mit dem Bande, das Herzen knuͤpfen ſoll, ſo oft aller zeitliche Frieden ſtranguliret
„werden.“ —
Mir aus der Seele heraus geſprochen. O an der Seite eines ſolchen Beobachters haͤtte
ich meine Fragmente ſchreiben ſollen — wer koͤnnte der Phyſiognomik groͤßere Dienſte leiſten, als
ein Mann, der mit mathematiſchem Genie das Seltnere des Beobachters verbindet!
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