Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Wort an Fürsten, Richter, Verhörer.
etwas, und kann etwas nicht; will etwas, und will etwas nicht. Jede Leidenschaft, offenbar oder verborgen,
hat ihre eigene Sprache. Die Unschuld hat ihre Miene, die ein gesundes Auge so gut versteht, als man die
Miene der Gesundheit kennen kann. Und jedes Laster hat auch die seinige. O quam difficile est, crimen non
prodere vultu.
Seht nur Schuld und Unschuld neben einander -- wenn beyde euch sehen, beyde euch nicht
sehen -- laßt sie nur vor sichtbaren und unsichtbaren Zeugen sprechen -- seht nur einfältig! hört nur einfältig!
folgt nur der Stimme des unbefangenen Gefühles, -- bemerkt den Gang, wenn sie vor euch treten, von euch
weggehen -- stellt sie ins Licht; setzt euch in den Schatten. -- Physiognomik wird die Tortur ersparen, *)
wird die Unschuld retten, wird das hartnäckigste Laster erbleichen machen, wird euch auf das verstockteste wirken
lehren -- Unvollkommen ist alles menschliche. Aber das müßt ihr fühlen: die Tortur, mehr Schande der
Menschheit, als Galgen und Rad -- die Tortur ist unendlich unsicherer und gefährlicher als die Physiognomik.
Die Tortur richtet entsetzlicher als die Strafe selbst, indem sie nur zu prüfen vorgiebt. Die Physiognomik
soll nicht richten, aber prüfen. Bey ihrer Prüfung hat nur das Laster, nie die Unschuld zu verlieren. O Rich-
ter der Menschen, seyd menschlich -- und Menschlichkeit wird euch die Augen mehr öffnen, alles Unmenschliche
zu sehen, als alle Erfindungen der Grausamkeit.



Drittes
*) [Spaltenumbruch] "Die Tortur soll im Oesterreichischen abgeschafft
"werden," (schrieb vor ein Paar Jahren ein Weiser an
einen Weisen). "Es wird gefragt, was an ihre Stelle
"zu setzen sey? Der scharfe Blick des Richters, sagt
"Sonnenfels. Nach 25. Jahren wird die Physiogno-
"mik statt der Lehre von der Tortur zur Criminalrechts-
"wissenschaft gehören; und man wird auf Akademien le-
"sen physiognomicen forensem, wie itzt medicinam
"forensem
... Das muß aber bey Leibe noch nicht
"laut gesagt werden, sonst würden die Lacher sprechen,
"und die Seufzer wehklagen: Nun sollen schon nach
"den Gesichtsbildungen Leute hingerichtet oder be-
"gnadigt werden!
Und verehrungswürdige Männer,
"die das hören, und nicht Zeit haben, die Sache wei-
"ter zu untersuchen, würden ihnen beystimmen und sa-
"gen: Da geht doch die Schwärmerey zu weit.
"Eine Parallele zur Aufklärung.
--
[Spaltenumbruch] "Als vor 25. bis 30. Jahren die Lacher lachten, die
"Philosophen wie gewöhnlich unklug darüber räsonnir-
"ten, die Theologen Eingriffe in die Reservate Gottes
"darinn fanden, daß man die wahrscheinliche Dauer des
"menschlichen Lebens bestimmen wollte -- wenn da ei-
"ner gesagt hätte: Es werden auf diese Grundsätze in
"25. Jahren mehr als einige Millionen Geldes willig
"ausgegeben werden -- so würde nach der Weisheit ei-
"ner jeden gegenwärtigen Zeit, damals gesagt worden
"seyn: Nun geht es mit der Mortalitätsrechnungs-
"sucht zu weit. Man will uns dadurch sogar das
"Geld aus der Tasche ziehen.
-- Jtzt sind allenthal-
"ben Wittwen- und Waisenkassen, und Süßmilch,
"Kneeseboom, Struyk
etc. die Wohlthäter vieler tau-
"send Menschen -- zwar von diesen unerkannt -- aber
"für sie desto besser."
O o o 2

Ein Wort an Fuͤrſten, Richter, Verhoͤrer.
etwas, und kann etwas nicht; will etwas, und will etwas nicht. Jede Leidenſchaft, offenbar oder verborgen,
hat ihre eigene Sprache. Die Unſchuld hat ihre Miene, die ein geſundes Auge ſo gut verſteht, als man die
Miene der Geſundheit kennen kann. Und jedes Laſter hat auch die ſeinige. O quam difficile eſt, crimen non
prodere vultu.
Seht nur Schuld und Unſchuld neben einander — wenn beyde euch ſehen, beyde euch nicht
ſehen — laßt ſie nur vor ſichtbaren und unſichtbaren Zeugen ſprechen — ſeht nur einfaͤltig! hoͤrt nur einfaͤltig!
folgt nur der Stimme des unbefangenen Gefuͤhles, — bemerkt den Gang, wenn ſie vor euch treten, von euch
weggehen — ſtellt ſie ins Licht; ſetzt euch in den Schatten. — Phyſiognomik wird die Tortur erſparen, *)
wird die Unſchuld retten, wird das hartnaͤckigſte Laſter erbleichen machen, wird euch auf das verſtockteſte wirken
lehren — Unvollkommen iſt alles menſchliche. Aber das muͤßt ihr fuͤhlen: die Tortur, mehr Schande der
Menſchheit, als Galgen und Rad — die Tortur iſt unendlich unſicherer und gefaͤhrlicher als die Phyſiognomik.
Die Tortur richtet entſetzlicher als die Strafe ſelbſt, indem ſie nur zu pruͤfen vorgiebt. Die Phyſiognomik
ſoll nicht richten, aber pruͤfen. Bey ihrer Pruͤfung hat nur das Laſter, nie die Unſchuld zu verlieren. O Rich-
ter der Menſchen, ſeyd menſchlich — und Menſchlichkeit wird euch die Augen mehr oͤffnen, alles Unmenſchliche
zu ſehen, als alle Erfindungen der Grauſamkeit.



Drittes
*) [Spaltenumbruch] „Die Tortur ſoll im Oeſterreichiſchen abgeſchafft
„werden,“ (ſchrieb vor ein Paar Jahren ein Weiſer an
einen Weiſen). „Es wird gefragt, was an ihre Stelle
„zu ſetzen ſey? Der ſcharfe Blick des Richters, ſagt
Sonnenfels. Nach 25. Jahren wird die Phyſiogno-
„mik ſtatt der Lehre von der Tortur zur Criminalrechts-
„wiſſenſchaft gehoͤren; und man wird auf Akademien le-
„ſen phyſiognomicen forenſem, wie itzt medicinam
„forenſem
... Das muß aber bey Leibe noch nicht
„laut geſagt werden, ſonſt wuͤrden die Lacher ſprechen,
„und die Seufzer wehklagen: Nun ſollen ſchon nach
„den Geſichtsbildungen Leute hingerichtet oder be-
„gnadigt werden!
Und verehrungswuͤrdige Maͤnner,
„die das hoͤren, und nicht Zeit haben, die Sache wei-
„ter zu unterſuchen, wuͤrden ihnen beyſtimmen und ſa-
„gen: Da geht doch die Schwaͤrmerey zu weit.
„Eine Parallele zur Aufklaͤrung.

[Spaltenumbruch] „Als vor 25. bis 30. Jahren die Lacher lachten, die
„Philoſophen wie gewoͤhnlich unklug daruͤber raͤſonnir-
„ten, die Theologen Eingriffe in die Reſervate Gottes
„darinn fanden, daß man die wahrſcheinliche Dauer des
„menſchlichen Lebens beſtimmen wollte — wenn da ei-
„ner geſagt haͤtte: Es werden auf dieſe Grundſaͤtze in
„25. Jahren mehr als einige Millionen Geldes willig
„ausgegeben werden — ſo wuͤrde nach der Weisheit ei-
„ner jeden gegenwaͤrtigen Zeit, damals geſagt worden
„ſeyn: Nun geht es mit der Mortalitaͤtsrechnungs-
„ſucht zu weit. Man will uns dadurch ſogar das
„Geld aus der Taſche ziehen.
— Jtzt ſind allenthal-
„ben Wittwen- und Waiſenkaſſen, und Suͤßmilch,
„Kneeſeboom, Struyk
ꝛc. die Wohlthaͤter vieler tau-
„ſend Menſchen — zwar von dieſen unerkannt — aber
„fuͤr ſie deſto beſſer.“
O o o 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0619" n="475"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ein Wort an Fu&#x0364;r&#x017F;ten, Richter, Verho&#x0364;rer.</hi></fw><lb/>
etwas, und kann etwas nicht; will etwas, und will etwas nicht. Jede Leiden&#x017F;chaft, offenbar oder verborgen,<lb/>
hat ihre eigene Sprache. Die Un&#x017F;chuld hat ihre Miene, die ein ge&#x017F;undes Auge &#x017F;o gut ver&#x017F;teht, als man die<lb/>
Miene der Ge&#x017F;undheit kennen kann. Und jedes La&#x017F;ter hat auch die &#x017F;einige. <hi rendition="#aq">O quam difficile e&#x017F;t, crimen non<lb/>
prodere vultu.</hi> Seht nur Schuld und Un&#x017F;chuld neben einander &#x2014; wenn beyde euch &#x017F;ehen, beyde euch nicht<lb/>
&#x017F;ehen &#x2014; laßt &#x017F;ie nur vor &#x017F;ichtbaren und un&#x017F;ichtbaren Zeugen &#x017F;prechen &#x2014; &#x017F;eht nur einfa&#x0364;ltig! ho&#x0364;rt nur einfa&#x0364;ltig!<lb/>
folgt nur der Stimme des unbefangenen Gefu&#x0364;hles, &#x2014; bemerkt den Gang, wenn &#x017F;ie vor euch treten, von euch<lb/>
weggehen &#x2014; &#x017F;tellt &#x017F;ie ins Licht; &#x017F;etzt euch in den Schatten. &#x2014; Phy&#x017F;iognomik wird die <hi rendition="#fr">Tortur</hi> er&#x017F;paren, <note place="foot" n="*)"><cb/>
&#x201E;Die Tortur &#x017F;oll im Oe&#x017F;terreichi&#x017F;chen abge&#x017F;chafft<lb/>
&#x201E;werden,&#x201C; (&#x017F;chrieb vor ein Paar Jahren ein Wei&#x017F;er an<lb/>
einen Wei&#x017F;en). &#x201E;Es wird gefragt, was an ihre Stelle<lb/>
&#x201E;zu &#x017F;etzen &#x017F;ey? <hi rendition="#fr">Der &#x017F;charfe Blick des Richters,</hi> &#x017F;agt<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Sonnenfels.</hi> Nach 25. Jahren wird die Phy&#x017F;iogno-<lb/>
&#x201E;mik &#x017F;tatt der Lehre von der Tortur zur Criminalrechts-<lb/>
&#x201E;wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft geho&#x0364;ren; und man wird auf Akademien le-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en <hi rendition="#aq">phy&#x017F;iognomicen foren&#x017F;em,</hi> wie itzt <hi rendition="#aq">medicinam<lb/>
&#x201E;foren&#x017F;em</hi> ... Das muß aber bey Leibe noch nicht<lb/>
&#x201E;laut ge&#x017F;agt werden, &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rden die Lacher &#x017F;prechen,<lb/>
&#x201E;und die Seufzer wehklagen: <hi rendition="#fr">Nun &#x017F;ollen &#x017F;chon nach<lb/>
&#x201E;den Ge&#x017F;ichtsbildungen Leute hingerichtet oder be-<lb/>
&#x201E;gnadigt werden!</hi> Und verehrungswu&#x0364;rdige Ma&#x0364;nner,<lb/>
&#x201E;die das ho&#x0364;ren, und nicht Zeit haben, die Sache wei-<lb/>
&#x201E;ter zu unter&#x017F;uchen, wu&#x0364;rden ihnen bey&#x017F;timmen und &#x017F;a-<lb/>
&#x201E;gen: <hi rendition="#fr">Da geht doch die Schwa&#x0364;rmerey zu weit.<lb/>
&#x201E;Eine Parallele zur Aufkla&#x0364;rung.</hi> &#x2014;<lb/><cb/>
&#x201E;Als vor 25. bis 30. Jahren die Lacher lachten, die<lb/>
&#x201E;Philo&#x017F;ophen wie gewo&#x0364;hnlich unklug daru&#x0364;ber ra&#x0364;&#x017F;onnir-<lb/>
&#x201E;ten, die Theologen Eingriffe in die Re&#x017F;ervate Gottes<lb/>
&#x201E;darinn fanden, daß man die wahr&#x017F;cheinliche Dauer des<lb/>
&#x201E;men&#x017F;chlichen Lebens be&#x017F;timmen wollte &#x2014; wenn da ei-<lb/>
&#x201E;ner ge&#x017F;agt ha&#x0364;tte: Es werden auf die&#x017F;e Grund&#x017F;a&#x0364;tze in<lb/>
&#x201E;25. Jahren mehr als einige Millionen Geldes willig<lb/>
&#x201E;ausgegeben werden &#x2014; &#x017F;o wu&#x0364;rde nach der Weisheit ei-<lb/>
&#x201E;ner jeden gegenwa&#x0364;rtigen Zeit, damals ge&#x017F;agt worden<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyn: <hi rendition="#fr">Nun geht es mit der Mortalita&#x0364;tsrechnungs-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ucht zu weit. Man will uns dadurch &#x017F;ogar das<lb/>
&#x201E;Geld aus der Ta&#x017F;che ziehen.</hi> &#x2014; Jtzt &#x017F;ind allenthal-<lb/>
&#x201E;ben Wittwen- und Wai&#x017F;enka&#x017F;&#x017F;en, und <hi rendition="#fr">Su&#x0364;ßmilch,<lb/>
&#x201E;Knee&#x017F;eboom, Struyk</hi> &#xA75B;c. die Wohltha&#x0364;ter vieler tau-<lb/>
&#x201E;&#x017F;end Men&#x017F;chen &#x2014; zwar von die&#x017F;en unerkannt &#x2014; aber<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;r &#x017F;ie de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er.&#x201C;</note><lb/>
wird die Un&#x017F;chuld retten, wird das hartna&#x0364;ckig&#x017F;te La&#x017F;ter erbleichen machen, wird euch auf das ver&#x017F;tockte&#x017F;te wirken<lb/>
lehren &#x2014; Unvollkommen i&#x017F;t alles men&#x017F;chliche. Aber das mu&#x0364;ßt ihr fu&#x0364;hlen: die Tortur, mehr Schande der<lb/>
Men&#x017F;chheit, als Galgen und Rad &#x2014; die Tortur i&#x017F;t unendlich un&#x017F;icherer und gefa&#x0364;hrlicher als die Phy&#x017F;iognomik.<lb/>
Die <hi rendition="#fr">Tortur</hi> richtet ent&#x017F;etzlicher als die <hi rendition="#fr">Strafe</hi> &#x017F;elb&#x017F;t, indem &#x017F;ie nur zu <hi rendition="#fr">pru&#x0364;fen</hi> vorgiebt. Die Phy&#x017F;iognomik<lb/>
&#x017F;oll <hi rendition="#fr">nicht richten,</hi> aber <hi rendition="#fr">pru&#x0364;fen.</hi> Bey ihrer Pru&#x0364;fung hat nur das La&#x017F;ter, nie die Un&#x017F;chuld zu verlieren. O Rich-<lb/>
ter der Men&#x017F;chen, &#x017F;eyd men&#x017F;chlich &#x2014; und Men&#x017F;chlichkeit wird euch die Augen mehr o&#x0364;ffnen, alles Unmen&#x017F;chliche<lb/>
zu &#x017F;ehen, als alle Erfindungen der Grau&#x017F;amkeit.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">O o o 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Drittes</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[475/0619] Ein Wort an Fuͤrſten, Richter, Verhoͤrer. etwas, und kann etwas nicht; will etwas, und will etwas nicht. Jede Leidenſchaft, offenbar oder verborgen, hat ihre eigene Sprache. Die Unſchuld hat ihre Miene, die ein geſundes Auge ſo gut verſteht, als man die Miene der Geſundheit kennen kann. Und jedes Laſter hat auch die ſeinige. O quam difficile eſt, crimen non prodere vultu. Seht nur Schuld und Unſchuld neben einander — wenn beyde euch ſehen, beyde euch nicht ſehen — laßt ſie nur vor ſichtbaren und unſichtbaren Zeugen ſprechen — ſeht nur einfaͤltig! hoͤrt nur einfaͤltig! folgt nur der Stimme des unbefangenen Gefuͤhles, — bemerkt den Gang, wenn ſie vor euch treten, von euch weggehen — ſtellt ſie ins Licht; ſetzt euch in den Schatten. — Phyſiognomik wird die Tortur erſparen, *) wird die Unſchuld retten, wird das hartnaͤckigſte Laſter erbleichen machen, wird euch auf das verſtockteſte wirken lehren — Unvollkommen iſt alles menſchliche. Aber das muͤßt ihr fuͤhlen: die Tortur, mehr Schande der Menſchheit, als Galgen und Rad — die Tortur iſt unendlich unſicherer und gefaͤhrlicher als die Phyſiognomik. Die Tortur richtet entſetzlicher als die Strafe ſelbſt, indem ſie nur zu pruͤfen vorgiebt. Die Phyſiognomik ſoll nicht richten, aber pruͤfen. Bey ihrer Pruͤfung hat nur das Laſter, nie die Unſchuld zu verlieren. O Rich- ter der Menſchen, ſeyd menſchlich — und Menſchlichkeit wird euch die Augen mehr oͤffnen, alles Unmenſchliche zu ſehen, als alle Erfindungen der Grauſamkeit. Drittes *) „Die Tortur ſoll im Oeſterreichiſchen abgeſchafft „werden,“ (ſchrieb vor ein Paar Jahren ein Weiſer an einen Weiſen). „Es wird gefragt, was an ihre Stelle „zu ſetzen ſey? Der ſcharfe Blick des Richters, ſagt „Sonnenfels. Nach 25. Jahren wird die Phyſiogno- „mik ſtatt der Lehre von der Tortur zur Criminalrechts- „wiſſenſchaft gehoͤren; und man wird auf Akademien le- „ſen phyſiognomicen forenſem, wie itzt medicinam „forenſem ... Das muß aber bey Leibe noch nicht „laut geſagt werden, ſonſt wuͤrden die Lacher ſprechen, „und die Seufzer wehklagen: Nun ſollen ſchon nach „den Geſichtsbildungen Leute hingerichtet oder be- „gnadigt werden! Und verehrungswuͤrdige Maͤnner, „die das hoͤren, und nicht Zeit haben, die Sache wei- „ter zu unterſuchen, wuͤrden ihnen beyſtimmen und ſa- „gen: Da geht doch die Schwaͤrmerey zu weit. „Eine Parallele zur Aufklaͤrung. — „Als vor 25. bis 30. Jahren die Lacher lachten, die „Philoſophen wie gewoͤhnlich unklug daruͤber raͤſonnir- „ten, die Theologen Eingriffe in die Reſervate Gottes „darinn fanden, daß man die wahrſcheinliche Dauer des „menſchlichen Lebens beſtimmen wollte — wenn da ei- „ner geſagt haͤtte: Es werden auf dieſe Grundſaͤtze in „25. Jahren mehr als einige Millionen Geldes willig „ausgegeben werden — ſo wuͤrde nach der Weisheit ei- „ner jeden gegenwaͤrtigen Zeit, damals geſagt worden „ſeyn: Nun geht es mit der Mortalitaͤtsrechnungs- „ſucht zu weit. Man will uns dadurch ſogar das „Geld aus der Taſche ziehen. — Jtzt ſind allenthal- „ben Wittwen- und Waiſenkaſſen, und Suͤßmilch, „Kneeſeboom, Struyk ꝛc. die Wohlthaͤter vieler tau- „ſend Menſchen — zwar von dieſen unerkannt — aber „fuͤr ſie deſto beſſer.“ O o o 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/619
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/619>, abgerufen am 21.11.2024.