Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.Beschluß. [Spaltenumbruch] Nicht Namen hat die Menschenherrlichkeit! Wer giebt mir zehentausend Stimmen? Und jeder Stimme lebendigen Geist? Nicht Namen hat die Menschenherrlichkeit! Nein! Menschenvater! Namen nicht! O du, Erstaunen meiner Sinnen all'! Anbetung du der Unermeßlichkeit! Verstummen aller Zungen, du! Gestaltunfähiger Gestalter Des Menschen Angesichts! Mit welchen Stimmen, die die Erde Den Erdelüften abentlehnt, Mit welcher Thräne, geschöpft aus Mayen Thau, Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung, Oder entschlürft der heiligsten Mondnacht? Mit welcher Thräne jauchz' ich aus Die immer frohere Freude: Jch bin ein Mensch! O du, der Unerforschlichkeiten aller Unerforschlichste! Du höchste der Höhn! der Tiefen tiefste! Unaussprechlichkeit! ... Gott! ... Der Lichter Licht, und dunkler Als Erde-Mitternacht! Du in den Höhen Weltentrager, Korallen Krümmer am Felsen des Meers! Du Licht des Nachtwurms in der Hecke! Und Licht der Nebelsterne, Höchster! Du Sonnenbestraler! Und Menschenbeseeler im Traume der Nacht! O du, den ich im Menschenangesicht Erblick'! O du, den mir verkündigt Bescheidner Weisheit stilles Lichtaug! [Spaltenumbruch] Der mit mir spricht durch holde Lippen Des Bruders und der Gattinn! Der auf der keuschen Unschuld reinen Zahn Wirft einen Mondstral seiner Herrlichkeit! O du, durch den mein Auge Freude schöpft -- Aus allen Sichtbarkeiten -- O du, durch den mein Angesicht Dem weiten Lichtgewölbe Und aller Majestät der stillen Sterne Offen ist, und offen ist dem Auge Des Bruders und der Gattinn! Wie sprech ich aus die froheste der Freuden: Jch bin ein Mensch! O du Erstaunen aller Ewigkeiten! Von deines Angesichtes Licht ein Stral! Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch Von dir, von dir! Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn! Ein Spiegel dein, in dem du dich erkennst; Zu bebend ist und Markdurchschauernd Das Hochgefühl der Menschenherrlichkeit, Versagt mir Verstummen und Sprache! O Seyn, o Seyn der Menschheit! Nicht Pflanzenwärme nur Nicht Adlersonnendurst Gabst du dem Staube, der meinen Namen trägt; Gabst Schmachten ihm nach dir und dich, Nach Ewigkeiten Durst -- Und Ewigkeiten! Und gabst ihm Licht, zu sehn im Bruder Auge Und zu verstehn den Blick der Ewigkeiten, Und in dem Blick, was Welten schuf, Und Lichtes Unerschöpflichkeit Der Phys. Fragm. IV Versuch. Q q q
Beſchluß. [Spaltenumbruch] Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit! Wer giebt mir zehentauſend Stimmen? Und jeder Stimme lebendigen Geiſt? Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit! Nein! Menſchenvater! Namen nicht! O du, Erſtaunen meiner Sinnen all’! Anbetung du der Unermeßlichkeit! Verſtummen aller Zungen, du! Geſtaltunfaͤhiger Geſtalter Des Menſchen Angeſichts! Mit welchen Stimmen, die die Erde Den Erdeluͤften abentlehnt, Mit welcher Thraͤne, geſchoͤpft aus Mayen Thau, Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung, Oder entſchluͤrft der heiligſten Mondnacht? Mit welcher Thraͤne jauchz’ ich aus Die immer frohere Freude: Jch bin ein Menſch! O du, der Unerforſchlichkeiten aller Unerforſchlichſte! Du hoͤchſte der Hoͤhn! der Tiefen tiefſte! Unausſprechlichkeit! ... Gott! ... Der Lichter Licht, und dunkler Als Erde-Mitternacht! Du in den Hoͤhen Weltentrager, Korallen Kruͤmmer am Felſen des Meers! Du Licht des Nachtwurms in der Hecke! Und Licht der Nebelſterne, Hoͤchſter! Du Sonnenbeſtraler! Und Menſchenbeſeeler im Traume der Nacht! O du, den ich im Menſchenangeſicht Erblick’! O du, den mir verkuͤndigt Beſcheidner Weisheit ſtilles Lichtaug! [Spaltenumbruch] Der mit mir ſpricht durch holde Lippen Des Bruders und der Gattinn! Der auf der keuſchen Unſchuld reinen Zahn Wirft einen Mondſtral ſeiner Herrlichkeit! O du, durch den mein Auge Freude ſchoͤpft — Aus allen Sichtbarkeiten — O du, durch den mein Angeſicht Dem weiten Lichtgewoͤlbe Und aller Majeſtaͤt der ſtillen Sterne Offen iſt, und offen iſt dem Auge Des Bruders und der Gattinn! Wie ſprech ich aus die froheſte der Freuden: Jch bin ein Menſch! O du Erſtaunen aller Ewigkeiten! Von deines Angeſichtes Licht ein Stral! Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch Von dir, von dir! Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn! Ein Spiegel dein, in dem du dich erkennſt; Zu bebend iſt und Markdurchſchauernd Das Hochgefuͤhl der Menſchenherrlichkeit, Verſagt mir Verſtummen und Sprache! O Seyn, o Seyn der Menſchheit! Nicht Pflanzenwaͤrme nur Nicht Adlerſonnendurſt Gabſt du dem Staube, der meinen Namen traͤgt; Gabſt Schmachten ihm nach dir und dich, Nach Ewigkeiten Durſt — Und Ewigkeiten! Und gabſt ihm Licht, zu ſehn im Bruder Auge Und zu verſtehn den Blick der Ewigkeiten, Und in dem Blick, was Welten ſchuf, Und Lichtes Unerſchoͤpflichkeit Der Phyſ. Fragm. IV Verſuch. Q q q
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0633" n="489"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Beſchluß.</hi> </hi> </fw><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#in">N</hi>icht Namen hat die Menſchenherrlichkeit!</hi> </l><lb/> <l>Wer giebt mir zehentauſend Stimmen?</l><lb/> <l>Und jeder Stimme lebendigen Geiſt?</l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit!</hi> </l><lb/> <l>Nein! Menſchenvater! Namen nicht!</l><lb/> <l>O du, Erſtaunen meiner Sinnen all’!</l><lb/> <l>Anbetung du der Unermeßlichkeit!</l><lb/> <l>Verſtummen aller Zungen, du!</l><lb/> <l>Geſtaltunfaͤhiger Geſtalter</l><lb/> <l>Des Menſchen Angeſichts!</l><lb/> <l>Mit welchen Stimmen, die die Erde</l><lb/> <l>Den Erdeluͤften abentlehnt,</l><lb/> <l>Mit welcher Thraͤne, geſchoͤpft aus Mayen Thau,</l><lb/> <l>Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung,</l><lb/> <l>Oder entſchluͤrft der heiligſten Mondnacht?</l><lb/> <l>Mit welcher Thraͤne jauchz’ ich aus</l><lb/> <l>Die immer frohere Freude:</l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Jch bin ein Menſch!</hi> </l><lb/> <l>O du, der Unerforſchlichkeiten aller</l><lb/> <l>Unerforſchlichſte!</l><lb/> <l>Du hoͤchſte der Hoͤhn! der Tiefen tiefſte!</l><lb/> <l>Unausſprechlichkeit! ... Gott! ...</l><lb/> <l>Der Lichter Licht, und dunkler</l><lb/> <l>Als Erde-Mitternacht!</l><lb/> <l>Du in den Hoͤhen Weltentrager,</l><lb/> <l>Korallen Kruͤmmer am Felſen des Meers!</l><lb/> <l>Du Licht des Nachtwurms in der Hecke!</l><lb/> <l>Und Licht der Nebelſterne, Hoͤchſter!</l><lb/> <l>Du Sonnenbeſtraler!</l><lb/> <l>Und Menſchenbeſeeler im Traume der Nacht!</l><lb/> <l>O du, den ich im Menſchenangeſicht</l><lb/> <l>Erblick’! O du, den mir verkuͤndigt</l><lb/> <l>Beſcheidner Weisheit ſtilles Lichtaug!</l><lb/> <cb/> <l>Der mit mir ſpricht durch holde Lippen</l><lb/> <l>Des Bruders und der Gattinn!</l><lb/> <l>Der auf der keuſchen Unſchuld reinen Zahn</l><lb/> <l>Wirft einen Mondſtral ſeiner Herrlichkeit!</l><lb/> <l>O du, durch den mein Auge Freude ſchoͤpft —</l><lb/> <l>Aus allen Sichtbarkeiten —</l><lb/> <l>O du, durch den mein Angeſicht</l><lb/> <l>Dem weiten Lichtgewoͤlbe</l><lb/> <l>Und aller Majeſtaͤt der ſtillen Sterne</l><lb/> <l>Offen iſt, und offen iſt dem Auge</l><lb/> <l>Des Bruders und der Gattinn!</l><lb/> <l>Wie ſprech ich aus die froheſte der Freuden:</l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Jch bin ein Menſch!</hi> </l><lb/> <l>O du Erſtaunen aller Ewigkeiten!</l><lb/> <l>Von deines Angeſichtes Licht ein Stral!</l><lb/> <l>Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch</l><lb/> <l>Von dir, von dir!</l><lb/> <l>Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn!</l><lb/> <l>Ein Spiegel dein, in dem du dich erkennſt;</l><lb/> <l>Zu bebend iſt und Markdurchſchauernd</l><lb/> <l>Das Hochgefuͤhl der Menſchenherrlichkeit,</l><lb/> <l>Verſagt mir Verſtummen und Sprache!</l><lb/> <l>O Seyn, o Seyn der Menſchheit!</l><lb/> <l>Nicht Pflanzenwaͤrme nur</l><lb/> <l>Nicht Adlerſonnendurſt</l><lb/> <l>Gabſt du dem Staube, der meinen Namen traͤgt;</l><lb/> <l>Gabſt Schmachten ihm nach <hi rendition="#fr">dir</hi> und <hi rendition="#fr">dich,</hi></l><lb/> <l>Nach Ewigkeiten Durſt —</l><lb/> <l>Und Ewigkeiten!</l><lb/> <l>Und gabſt ihm Licht, zu ſehn im Bruder Auge</l><lb/> <l>Und zu verſtehn den Blick der Ewigkeiten,</l><lb/> <l>Und in dem Blick, was Welten ſchuf,</l><lb/> <l>Und Lichtes Unerſchoͤpflichkeit</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Phyſ. Fragm.</hi><hi rendition="#aq">IV</hi><hi rendition="#fr">Verſuch.</hi> Q q q</fw> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [489/0633]
Beſchluß.
Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit!
Wer giebt mir zehentauſend Stimmen?
Und jeder Stimme lebendigen Geiſt?
Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit!
Nein! Menſchenvater! Namen nicht!
O du, Erſtaunen meiner Sinnen all’!
Anbetung du der Unermeßlichkeit!
Verſtummen aller Zungen, du!
Geſtaltunfaͤhiger Geſtalter
Des Menſchen Angeſichts!
Mit welchen Stimmen, die die Erde
Den Erdeluͤften abentlehnt,
Mit welcher Thraͤne, geſchoͤpft aus Mayen Thau,
Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung,
Oder entſchluͤrft der heiligſten Mondnacht?
Mit welcher Thraͤne jauchz’ ich aus
Die immer frohere Freude:
Jch bin ein Menſch!
O du, der Unerforſchlichkeiten aller
Unerforſchlichſte!
Du hoͤchſte der Hoͤhn! der Tiefen tiefſte!
Unausſprechlichkeit! ... Gott! ...
Der Lichter Licht, und dunkler
Als Erde-Mitternacht!
Du in den Hoͤhen Weltentrager,
Korallen Kruͤmmer am Felſen des Meers!
Du Licht des Nachtwurms in der Hecke!
Und Licht der Nebelſterne, Hoͤchſter!
Du Sonnenbeſtraler!
Und Menſchenbeſeeler im Traume der Nacht!
O du, den ich im Menſchenangeſicht
Erblick’! O du, den mir verkuͤndigt
Beſcheidner Weisheit ſtilles Lichtaug!
Der mit mir ſpricht durch holde Lippen
Des Bruders und der Gattinn!
Der auf der keuſchen Unſchuld reinen Zahn
Wirft einen Mondſtral ſeiner Herrlichkeit!
O du, durch den mein Auge Freude ſchoͤpft —
Aus allen Sichtbarkeiten —
O du, durch den mein Angeſicht
Dem weiten Lichtgewoͤlbe
Und aller Majeſtaͤt der ſtillen Sterne
Offen iſt, und offen iſt dem Auge
Des Bruders und der Gattinn!
Wie ſprech ich aus die froheſte der Freuden:
Jch bin ein Menſch!
O du Erſtaunen aller Ewigkeiten!
Von deines Angeſichtes Licht ein Stral!
Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch
Von dir, von dir!
Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn!
Ein Spiegel dein, in dem du dich erkennſt;
Zu bebend iſt und Markdurchſchauernd
Das Hochgefuͤhl der Menſchenherrlichkeit,
Verſagt mir Verſtummen und Sprache!
O Seyn, o Seyn der Menſchheit!
Nicht Pflanzenwaͤrme nur
Nicht Adlerſonnendurſt
Gabſt du dem Staube, der meinen Namen traͤgt;
Gabſt Schmachten ihm nach dir und dich,
Nach Ewigkeiten Durſt —
Und Ewigkeiten!
Und gabſt ihm Licht, zu ſehn im Bruder Auge
Und zu verſtehn den Blick der Ewigkeiten,
Und in dem Blick, was Welten ſchuf,
Und Lichtes Unerſchoͤpflichkeit
Der
Phyſ. Fragm. IV Verſuch. Q q q
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |