Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Beschluß.


[Spaltenumbruch]
Nicht Namen hat die Menschenherrlichkeit!
Wer giebt mir zehentausend Stimmen?
Und jeder Stimme lebendigen Geist?
Nicht Namen hat die Menschenherrlichkeit!
Nein! Menschenvater! Namen nicht!
O du, Erstaunen meiner Sinnen all'!
Anbetung du der Unermeßlichkeit!
Verstummen aller Zungen, du!
Gestaltunfähiger Gestalter
Des Menschen Angesichts!
Mit welchen Stimmen, die die Erde
Den Erdelüften abentlehnt,
Mit welcher Thräne, geschöpft aus Mayen Thau,
Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung,
Oder entschlürft der heiligsten Mondnacht?
Mit welcher Thräne jauchz' ich aus
Die immer frohere Freude:
Jch bin ein Mensch!
O du, der Unerforschlichkeiten aller
Unerforschlichste!
Du höchste der Höhn! der Tiefen tiefste!
Unaussprechlichkeit! ... Gott! ...
Der Lichter Licht, und dunkler
Als Erde-Mitternacht!
Du in den Höhen Weltentrager,
Korallen Krümmer am Felsen des Meers!
Du Licht des Nachtwurms in der Hecke!
Und Licht der Nebelsterne, Höchster!
Du Sonnenbestraler!
Und Menschenbeseeler im Traume der Nacht!
O du, den ich im Menschenangesicht
Erblick'! O du, den mir verkündigt
Bescheidner Weisheit stilles Lichtaug!
[Spaltenumbruch] Der mit mir spricht durch holde Lippen
Des Bruders und der Gattinn!
Der auf der keuschen Unschuld reinen Zahn
Wirft einen Mondstral seiner Herrlichkeit!
O du, durch den mein Auge Freude schöpft --
Aus allen Sichtbarkeiten --
O du, durch den mein Angesicht
Dem weiten Lichtgewölbe
Und aller Majestät der stillen Sterne
Offen ist, und offen ist dem Auge
Des Bruders und der Gattinn!
Wie sprech ich aus die froheste der Freuden:
Jch bin ein Mensch!
O du Erstaunen aller Ewigkeiten!
Von deines Angesichtes Licht ein Stral!
Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch
Von dir, von dir!
Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn!
Ein Spiegel dein, in dem du dich erkennst;
Zu bebend ist und Markdurchschauernd
Das Hochgefühl der Menschenherrlichkeit,
Versagt mir Verstummen und Sprache!
O Seyn, o Seyn der Menschheit!
Nicht Pflanzenwärme nur
Nicht Adlersonnendurst
Gabst du dem Staube, der meinen Namen trägt;
Gabst Schmachten ihm nach dir und dich,
Nach Ewigkeiten Durst --
Und Ewigkeiten!
Und gabst ihm Licht, zu sehn im Bruder Auge
Und zu verstehn den Blick der Ewigkeiten,
Und in dem Blick, was Welten schuf,
Und Lichtes Unerschöpflichkeit
Der
Phys. Fragm. IV Versuch. Q q q
Beſchluß.


[Spaltenumbruch]
Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit!
Wer giebt mir zehentauſend Stimmen?
Und jeder Stimme lebendigen Geiſt?
Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit!
Nein! Menſchenvater! Namen nicht!
O du, Erſtaunen meiner Sinnen all’!
Anbetung du der Unermeßlichkeit!
Verſtummen aller Zungen, du!
Geſtaltunfaͤhiger Geſtalter
Des Menſchen Angeſichts!
Mit welchen Stimmen, die die Erde
Den Erdeluͤften abentlehnt,
Mit welcher Thraͤne, geſchoͤpft aus Mayen Thau,
Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung,
Oder entſchluͤrft der heiligſten Mondnacht?
Mit welcher Thraͤne jauchz’ ich aus
Die immer frohere Freude:
Jch bin ein Menſch!
O du, der Unerforſchlichkeiten aller
Unerforſchlichſte!
Du hoͤchſte der Hoͤhn! der Tiefen tiefſte!
Unausſprechlichkeit! ... Gott! ...
Der Lichter Licht, und dunkler
Als Erde-Mitternacht!
Du in den Hoͤhen Weltentrager,
Korallen Kruͤmmer am Felſen des Meers!
Du Licht des Nachtwurms in der Hecke!
Und Licht der Nebelſterne, Hoͤchſter!
Du Sonnenbeſtraler!
Und Menſchenbeſeeler im Traume der Nacht!
O du, den ich im Menſchenangeſicht
Erblick’! O du, den mir verkuͤndigt
Beſcheidner Weisheit ſtilles Lichtaug!
[Spaltenumbruch] Der mit mir ſpricht durch holde Lippen
Des Bruders und der Gattinn!
Der auf der keuſchen Unſchuld reinen Zahn
Wirft einen Mondſtral ſeiner Herrlichkeit!
O du, durch den mein Auge Freude ſchoͤpft —
Aus allen Sichtbarkeiten —
O du, durch den mein Angeſicht
Dem weiten Lichtgewoͤlbe
Und aller Majeſtaͤt der ſtillen Sterne
Offen iſt, und offen iſt dem Auge
Des Bruders und der Gattinn!
Wie ſprech ich aus die froheſte der Freuden:
Jch bin ein Menſch!
O du Erſtaunen aller Ewigkeiten!
Von deines Angeſichtes Licht ein Stral!
Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch
Von dir, von dir!
Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn!
Ein Spiegel dein, in dem du dich erkennſt;
Zu bebend iſt und Markdurchſchauernd
Das Hochgefuͤhl der Menſchenherrlichkeit,
Verſagt mir Verſtummen und Sprache!
O Seyn, o Seyn der Menſchheit!
Nicht Pflanzenwaͤrme nur
Nicht Adlerſonnendurſt
Gabſt du dem Staube, der meinen Namen traͤgt;
Gabſt Schmachten ihm nach dir und dich,
Nach Ewigkeiten Durſt —
Und Ewigkeiten!
Und gabſt ihm Licht, zu ſehn im Bruder Auge
Und zu verſtehn den Blick der Ewigkeiten,
Und in dem Blick, was Welten ſchuf,
Und Lichtes Unerſchoͤpflichkeit
Der
Phyſ. Fragm. IV Verſuch. Q q q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0633" n="489"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Be&#x017F;chluß.</hi> </hi> </fw><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <cb/>
            <lg type="poem">
              <l> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#in">N</hi>icht Namen hat die Men&#x017F;chenherrlichkeit!</hi> </l><lb/>
              <l>Wer giebt mir zehentau&#x017F;end Stimmen?</l><lb/>
              <l>Und jeder Stimme lebendigen Gei&#x017F;t?</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Nicht Namen hat die Men&#x017F;chenherrlichkeit!</hi> </l><lb/>
              <l>Nein! Men&#x017F;chenvater! Namen nicht!</l><lb/>
              <l>O du, Er&#x017F;taunen meiner Sinnen all&#x2019;!</l><lb/>
              <l>Anbetung du der Unermeßlichkeit!</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;tummen aller Zungen, du!</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;taltunfa&#x0364;higer Ge&#x017F;talter</l><lb/>
              <l>Des Men&#x017F;chen Ange&#x017F;ichts!</l><lb/>
              <l>Mit welchen Stimmen, die die Erde</l><lb/>
              <l>Den Erdelu&#x0364;ften abentlehnt,</l><lb/>
              <l>Mit welcher Thra&#x0364;ne, ge&#x017F;cho&#x0364;pft aus Mayen Thau,</l><lb/>
              <l>Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung,</l><lb/>
              <l>Oder ent&#x017F;chlu&#x0364;rft der heilig&#x017F;ten Mondnacht?</l><lb/>
              <l>Mit welcher Thra&#x0364;ne jauchz&#x2019; ich aus</l><lb/>
              <l>Die immer frohere Freude:</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Jch bin ein Men&#x017F;ch!</hi> </l><lb/>
              <l>O du, der Unerfor&#x017F;chlichkeiten aller</l><lb/>
              <l>Unerfor&#x017F;chlich&#x017F;te!</l><lb/>
              <l>Du ho&#x0364;ch&#x017F;te der Ho&#x0364;hn! der Tiefen tief&#x017F;te!</l><lb/>
              <l>Unaus&#x017F;prechlichkeit! ... Gott! ...</l><lb/>
              <l>Der Lichter Licht, und dunkler</l><lb/>
              <l>Als Erde-Mitternacht!</l><lb/>
              <l>Du in den Ho&#x0364;hen Weltentrager,</l><lb/>
              <l>Korallen Kru&#x0364;mmer am Fel&#x017F;en des Meers!</l><lb/>
              <l>Du Licht des Nachtwurms in der Hecke!</l><lb/>
              <l>Und Licht der Nebel&#x017F;terne, Ho&#x0364;ch&#x017F;ter!</l><lb/>
              <l>Du Sonnenbe&#x017F;traler!</l><lb/>
              <l>Und Men&#x017F;chenbe&#x017F;eeler im Traume der Nacht!</l><lb/>
              <l>O du, den ich im Men&#x017F;chenange&#x017F;icht</l><lb/>
              <l>Erblick&#x2019;! O du, den mir verku&#x0364;ndigt</l><lb/>
              <l>Be&#x017F;cheidner Weisheit &#x017F;tilles Lichtaug!</l><lb/>
              <cb/>
              <l>Der mit mir &#x017F;pricht durch holde Lippen</l><lb/>
              <l>Des Bruders und der Gattinn!</l><lb/>
              <l>Der auf der keu&#x017F;chen Un&#x017F;chuld reinen Zahn</l><lb/>
              <l>Wirft einen Mond&#x017F;tral &#x017F;einer Herrlichkeit!</l><lb/>
              <l>O du, durch den mein Auge Freude &#x017F;cho&#x0364;pft &#x2014;</l><lb/>
              <l>Aus allen Sichtbarkeiten &#x2014;</l><lb/>
              <l>O du, durch den mein Ange&#x017F;icht</l><lb/>
              <l>Dem weiten Lichtgewo&#x0364;lbe</l><lb/>
              <l>Und aller Maje&#x017F;ta&#x0364;t der &#x017F;tillen Sterne</l><lb/>
              <l>Offen i&#x017F;t, und offen i&#x017F;t dem Auge</l><lb/>
              <l>Des Bruders und der Gattinn!</l><lb/>
              <l>Wie &#x017F;prech ich aus die frohe&#x017F;te der Freuden:</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Jch bin ein Men&#x017F;ch!</hi> </l><lb/>
              <l>O du Er&#x017F;taunen aller Ewigkeiten!</l><lb/>
              <l>Von deines Ange&#x017F;ichtes Licht ein Stral!</l><lb/>
              <l>Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch</l><lb/>
              <l>Von dir, von dir!</l><lb/>
              <l>Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn!</l><lb/>
              <l>Ein Spiegel dein, in dem du dich erkenn&#x017F;t;</l><lb/>
              <l>Zu bebend i&#x017F;t und Markdurch&#x017F;chauernd</l><lb/>
              <l>Das Hochgefu&#x0364;hl der Men&#x017F;chenherrlichkeit,</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;agt mir Ver&#x017F;tummen und Sprache!</l><lb/>
              <l>O Seyn, o Seyn der Men&#x017F;chheit!</l><lb/>
              <l>Nicht Pflanzenwa&#x0364;rme nur</l><lb/>
              <l>Nicht Adler&#x017F;onnendur&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Gab&#x017F;t du dem Staube, der meinen Namen tra&#x0364;gt;</l><lb/>
              <l>Gab&#x017F;t Schmachten ihm nach <hi rendition="#fr">dir</hi> und <hi rendition="#fr">dich,</hi></l><lb/>
              <l>Nach Ewigkeiten Dur&#x017F;t &#x2014;</l><lb/>
              <l>Und Ewigkeiten!</l><lb/>
              <l>Und gab&#x017F;t ihm Licht, zu &#x017F;ehn im Bruder Auge</l><lb/>
              <l>Und zu ver&#x017F;tehn den Blick der Ewigkeiten,</l><lb/>
              <l>Und in dem Blick, was Welten &#x017F;chuf,</l><lb/>
              <l>Und Lichtes Uner&#x017F;cho&#x0364;pflichkeit</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Phy&#x017F;. Fragm.</hi><hi rendition="#aq">IV</hi><hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch.</hi> Q q q</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[489/0633] Beſchluß. Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit! Wer giebt mir zehentauſend Stimmen? Und jeder Stimme lebendigen Geiſt? Nicht Namen hat die Menſchenherrlichkeit! Nein! Menſchenvater! Namen nicht! O du, Erſtaunen meiner Sinnen all’! Anbetung du der Unermeßlichkeit! Verſtummen aller Zungen, du! Geſtaltunfaͤhiger Geſtalter Des Menſchen Angeſichts! Mit welchen Stimmen, die die Erde Den Erdeluͤften abentlehnt, Mit welcher Thraͤne, geſchoͤpft aus Mayen Thau, Getrunken mit Morgenblicken der Anbetung, Oder entſchluͤrft der heiligſten Mondnacht? Mit welcher Thraͤne jauchz’ ich aus Die immer frohere Freude: Jch bin ein Menſch! O du, der Unerforſchlichkeiten aller Unerforſchlichſte! Du hoͤchſte der Hoͤhn! der Tiefen tiefſte! Unausſprechlichkeit! ... Gott! ... Der Lichter Licht, und dunkler Als Erde-Mitternacht! Du in den Hoͤhen Weltentrager, Korallen Kruͤmmer am Felſen des Meers! Du Licht des Nachtwurms in der Hecke! Und Licht der Nebelſterne, Hoͤchſter! Du Sonnenbeſtraler! Und Menſchenbeſeeler im Traume der Nacht! O du, den ich im Menſchenangeſicht Erblick’! O du, den mir verkuͤndigt Beſcheidner Weisheit ſtilles Lichtaug! Der mit mir ſpricht durch holde Lippen Des Bruders und der Gattinn! Der auf der keuſchen Unſchuld reinen Zahn Wirft einen Mondſtral ſeiner Herrlichkeit! O du, durch den mein Auge Freude ſchoͤpft — Aus allen Sichtbarkeiten — O du, durch den mein Angeſicht Dem weiten Lichtgewoͤlbe Und aller Majeſtaͤt der ſtillen Sterne Offen iſt, und offen iſt dem Auge Des Bruders und der Gattinn! Wie ſprech ich aus die froheſte der Freuden: Jch bin ein Menſch! O du Erſtaunen aller Ewigkeiten! Von deines Angeſichtes Licht ein Stral! Nicht Erde nur; ein ewiger Hauch Von dir, von dir! Ein Spiegel dein, in dem ich dich erkenn! Ein Spiegel dein, in dem du dich erkennſt; Zu bebend iſt und Markdurchſchauernd Das Hochgefuͤhl der Menſchenherrlichkeit, Verſagt mir Verſtummen und Sprache! O Seyn, o Seyn der Menſchheit! Nicht Pflanzenwaͤrme nur Nicht Adlerſonnendurſt Gabſt du dem Staube, der meinen Namen traͤgt; Gabſt Schmachten ihm nach dir und dich, Nach Ewigkeiten Durſt — Und Ewigkeiten! Und gabſt ihm Licht, zu ſehn im Bruder Auge Und zu verſtehn den Blick der Ewigkeiten, Und in dem Blick, was Welten ſchuf, Und Lichtes Unerſchoͤpflichkeit Der Phyſ. Fragm. IV Verſuch. Q q q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/633
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/633>, abgerufen am 24.11.2024.