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Lavater, Johann Caspar: Sammlung einiger Gebete auf die wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens. Leipzig, 1778.

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2.
Jhr sind viel Sünden vergeben, darum hat
sie auch viel geliebet.

O ja! welch eine große Summe von Uebertre-
tungen hast du, mein Gott! nun von meinem
Haupte genommen? Wenn ich jeden Tag meines
Lebens nur mit einer Sünde befleckt hätte, wie viele
wären ihrer nun schon? Ach aber, so vergiengen
vielleicht wenige Stunden jedes Tages, in denen ich
nicht viel Gutes unterlassen, vieles unter manchen
Schwachheiten, nie fertig, nie eifrig genug aus-
geübt, über dieß aber unzählige Sünden begangen
habe. Diese alle hat mir mein Gott itzt vergeben!
wie soll ich den Reichthum seiner Barmherzigkeit
rühmen? wie soll ich ihn zärtlich genug lieben den
besten Vater? wie ihn vor allen Menschen verherr-
lichen und loben? Nimm hin mein ganzes Herz! Er-
fülle es mit deiner göttlichen Liebe, mit dem redlich-
sten Vorsatz dir künftig zu leben, mit der sehnlichsten
Begierde ewig mit dir vereiniget zu bleiben.

3.
Dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin in
Friede.

Jn Friede! o göttlicher Trost! So sey denn
nun wieder zufrieden meine Seele: denn der Herr
thut dir Gutes. Wie sich ein Vater über Kinder
erbarmet: so erbarmet sich der Herr über uns Elende.
Mit Recht verklagte mich mein eigenes Herz. Denn
ich hatte deine Gebote, mein Gott! sträflich hintan
gesetzt, meinen Begierden gehorcht, meine Kräfte
mißbraucht, die so um mich sind, nicht selten geär-
gert, und deine Gerechtigkeit wider mich aufge-
bracht. Was wäre ich? was hätte ich einst zu er-
warten, wenn du nicht selbst einen Mittler zwischen

dir
2.
Jhr ſind viel Sünden vergeben, darum hat
ſie auch viel geliebet.

O ja! welch eine große Summe von Uebertre-
tungen haſt du, mein Gott! nun von meinem
Haupte genommen? Wenn ich jeden Tag meines
Lebens nur mit einer Sünde befleckt hätte, wie viele
wären ihrer nun ſchon? Ach aber, ſo vergiengen
vielleicht wenige Stunden jedes Tages, in denen ich
nicht viel Gutes unterlaſſen, vieles unter manchen
Schwachheiten, nie fertig, nie eifrig genug aus-
geübt, über dieß aber unzählige Sünden begangen
habe. Dieſe alle hat mir mein Gott itzt vergeben!
wie ſoll ich den Reichthum ſeiner Barmherzigkeit
rühmen? wie ſoll ich ihn zärtlich genug lieben den
beſten Vater? wie ihn vor allen Menſchen verherr-
lichen und loben? Nimm hin mein ganzes Herz! Er-
fülle es mit deiner göttlichen Liebe, mit dem redlich-
ſten Vorſatz dir künftig zu leben, mit der ſehnlichſten
Begierde ewig mit dir vereiniget zu bleiben.

3.
Dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin in
Friede.

Jn Friede! o göttlicher Troſt! So ſey denn
nun wieder zufrieden meine Seele: denn der Herr
thut dir Gutes. Wie ſich ein Vater über Kinder
erbarmet: ſo erbarmet ſich der Herr über uns Elende.
Mit Recht verklagte mich mein eigenes Herz. Denn
ich hatte deine Gebote, mein Gott! ſträflich hintan
geſetzt, meinen Begierden gehorcht, meine Kräfte
mißbraucht, die ſo um mich ſind, nicht ſelten geär-
gert, und deine Gerechtigkeit wider mich aufge-
bracht. Was wäre ich? was hätte ich einſt zu er-
warten, wenn du nicht ſelbſt einen Mittler zwiſchen

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[76/0078] 2. Jhr ſind viel Sünden vergeben, darum hat ſie auch viel geliebet. O ja! welch eine große Summe von Uebertre- tungen haſt du, mein Gott! nun von meinem Haupte genommen? Wenn ich jeden Tag meines Lebens nur mit einer Sünde befleckt hätte, wie viele wären ihrer nun ſchon? Ach aber, ſo vergiengen vielleicht wenige Stunden jedes Tages, in denen ich nicht viel Gutes unterlaſſen, vieles unter manchen Schwachheiten, nie fertig, nie eifrig genug aus- geübt, über dieß aber unzählige Sünden begangen habe. Dieſe alle hat mir mein Gott itzt vergeben! wie ſoll ich den Reichthum ſeiner Barmherzigkeit rühmen? wie ſoll ich ihn zärtlich genug lieben den beſten Vater? wie ihn vor allen Menſchen verherr- lichen und loben? Nimm hin mein ganzes Herz! Er- fülle es mit deiner göttlichen Liebe, mit dem redlich- ſten Vorſatz dir künftig zu leben, mit der ſehnlichſten Begierde ewig mit dir vereiniget zu bleiben. 3. Dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin in Friede. Jn Friede! o göttlicher Troſt! So ſey denn nun wieder zufrieden meine Seele: denn der Herr thut dir Gutes. Wie ſich ein Vater über Kinder erbarmet: ſo erbarmet ſich der Herr über uns Elende. Mit Recht verklagte mich mein eigenes Herz. Denn ich hatte deine Gebote, mein Gott! ſträflich hintan geſetzt, meinen Begierden gehorcht, meine Kräfte mißbraucht, die ſo um mich ſind, nicht ſelten geär- gert, und deine Gerechtigkeit wider mich aufge- bracht. Was wäre ich? was hätte ich einſt zu er- warten, wenn du nicht ſelbſt einen Mittler zwiſchen dir

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Sammlung einiger Gebete auf die wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens. Leipzig, 1778, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_sammlung_1778/78>, abgerufen am 18.06.2024.