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Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914.

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Genügt nun die Öffnung staatlicher Akademien in bisherigem Um-
fange, also zu Breslau, Kassel, Weimar. Stuttgart? Genügten sie, dann
würden nicht so unzählige Privatschulen sich halten können, das ist wohl
sicher, aber sie genügen eben nicht. Zunächst ist Weimar überhaupt die
einzige dieser Akademien, die eine alte große Kunsttradition, zugleich
eine gute Galerie und reges modernes Kunstleben hat. Die Akademie
in Kassel stammt freilich schon aus dem Jahre 1777, ist also eine der
ältesten deutschen Akademien, aber sie hat für das sich entfaltende Kunst-
leben nicht die Bedeutung gewonnen, die ihr Begründer, der Landgraf
Friedrich II., ihr wohl zu geben hoffte. Breslau, Stuttgart (Königsberg
kommt ja kaum in Frage) sind jüngere Gründungen (die Akademie
zu Stuttgart ist 1829 gegründet, die Anstalt zu Breslau erst 1876 als
höhere Kunstlehranstalt eingerichtet), die vielleicht die Zukunft haben
werden, aber für den Lernenden bedeutet die Gegenwart alles. Aus ihr
muß er erwachsen und selbst die Zukunft sein. Weimar hat die Ver-
gangenheit, die Gegenwart, wie man hoffen darf auch die Zukunft, doch
es ist nur ein einziger Ort, der nicht ausreicht, das Bedürfnis zu decken.
Die Weimarer Akademie hat zudem eine bewußt ganz bestimmten Zielen
zustrebende moderne Richtung, die durchaus nicht für die Entwickelung
jeder Jndividualität geeignet ist. Breslau ist keine Kunststadt, auch seine
geographische Lage nicht für den Besuch aus allen Teilen Deutschlands
günstig. Die Breslauer Anstalt schließt ferner kunstgewerblichen Unter-
richt und Zeichenseminar an, das beengt den eigentlichen Lehrplan für
den freien Künstler und biegt ihn, wie mir scheinen will, nach anderer
Richtung, die vielleicht nicht unbedingt günstig ist. Kassel hat eine herr-
liche Galerie, aber das moderne Kunstleben ist bisher noch wenig ent-
faltet, obschon dort jetzt Männer an der Arbeit sind, die es voraussicht-
lich zur Entfaltung bringen werden. Auch der Kasseler Akademie ist
ein Zeichenlehrerseminar angegliedert. Jn Stuttgart ist es nicht viel
anders als in Kassel, nur liegen die ganzen Verhältnisse für Frauen
weniger günstig, wie ich schon schilderte.

Genügt nun die Öffnung staatlicher Akademien in bisherigem Um-
fange, also zu Breslau, Kassel, Weimar. Stuttgart? Genügten sie, dann
würden nicht so unzählige Privatschulen sich halten können, das ist wohl
sicher, aber sie genügen eben nicht. Zunächst ist Weimar überhaupt die
einzige dieser Akademien, die eine alte große Kunsttradition, zugleich
eine gute Galerie und reges modernes Kunstleben hat. Die Akademie
in Kassel stammt freilich schon aus dem Jahre 1777, ist also eine der
ältesten deutschen Akademien, aber sie hat für das sich entfaltende Kunst-
leben nicht die Bedeutung gewonnen, die ihr Begründer, der Landgraf
Friedrich II., ihr wohl zu geben hoffte. Breslau, Stuttgart (Königsberg
kommt ja kaum in Frage) sind jüngere Gründungen (die Akademie
zu Stuttgart ist 1829 gegründet, die Anstalt zu Breslau erst 1876 als
höhere Kunstlehranstalt eingerichtet), die vielleicht die Zukunft haben
werden, aber für den Lernenden bedeutet die Gegenwart alles. Aus ihr
muß er erwachsen und selbst die Zukunft sein. Weimar hat die Ver-
gangenheit, die Gegenwart, wie man hoffen darf auch die Zukunft, doch
es ist nur ein einziger Ort, der nicht ausreicht, das Bedürfnis zu decken.
Die Weimarer Akademie hat zudem eine bewußt ganz bestimmten Zielen
zustrebende moderne Richtung, die durchaus nicht für die Entwickelung
jeder Jndividualität geeignet ist. Breslau ist keine Kunststadt, auch seine
geographische Lage nicht für den Besuch aus allen Teilen Deutschlands
günstig. Die Breslauer Anstalt schließt ferner kunstgewerblichen Unter-
richt und Zeichenseminar an, das beengt den eigentlichen Lehrplan für
den freien Künstler und biegt ihn, wie mir scheinen will, nach anderer
Richtung, die vielleicht nicht unbedingt günstig ist. Kassel hat eine herr-
liche Galerie, aber das moderne Kunstleben ist bisher noch wenig ent-
faltet, obschon dort jetzt Männer an der Arbeit sind, die es voraussicht-
lich zur Entfaltung bringen werden. Auch der Kasseler Akademie ist
ein Zeichenlehrerseminar angegliedert. Jn Stuttgart ist es nicht viel
anders als in Kassel, nur liegen die ganzen Verhältnisse für Frauen
weniger günstig, wie ich schon schilderte.

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[13/0019] Genügt nun die Öffnung staatlicher Akademien in bisherigem Um- fange, also zu Breslau, Kassel, Weimar. Stuttgart? Genügten sie, dann würden nicht so unzählige Privatschulen sich halten können, das ist wohl sicher, aber sie genügen eben nicht. Zunächst ist Weimar überhaupt die einzige dieser Akademien, die eine alte große Kunsttradition, zugleich eine gute Galerie und reges modernes Kunstleben hat. Die Akademie in Kassel stammt freilich schon aus dem Jahre 1777, ist also eine der ältesten deutschen Akademien, aber sie hat für das sich entfaltende Kunst- leben nicht die Bedeutung gewonnen, die ihr Begründer, der Landgraf Friedrich II., ihr wohl zu geben hoffte. Breslau, Stuttgart (Königsberg kommt ja kaum in Frage) sind jüngere Gründungen (die Akademie zu Stuttgart ist 1829 gegründet, die Anstalt zu Breslau erst 1876 als höhere Kunstlehranstalt eingerichtet), die vielleicht die Zukunft haben werden, aber für den Lernenden bedeutet die Gegenwart alles. Aus ihr muß er erwachsen und selbst die Zukunft sein. Weimar hat die Ver- gangenheit, die Gegenwart, wie man hoffen darf auch die Zukunft, doch es ist nur ein einziger Ort, der nicht ausreicht, das Bedürfnis zu decken. Die Weimarer Akademie hat zudem eine bewußt ganz bestimmten Zielen zustrebende moderne Richtung, die durchaus nicht für die Entwickelung jeder Jndividualität geeignet ist. Breslau ist keine Kunststadt, auch seine geographische Lage nicht für den Besuch aus allen Teilen Deutschlands günstig. Die Breslauer Anstalt schließt ferner kunstgewerblichen Unter- richt und Zeichenseminar an, das beengt den eigentlichen Lehrplan für den freien Künstler und biegt ihn, wie mir scheinen will, nach anderer Richtung, die vielleicht nicht unbedingt günstig ist. Kassel hat eine herr- liche Galerie, aber das moderne Kunstleben ist bisher noch wenig ent- faltet, obschon dort jetzt Männer an der Arbeit sind, die es voraussicht- lich zur Entfaltung bringen werden. Auch der Kasseler Akademie ist ein Zeichenlehrerseminar angegliedert. Jn Stuttgart ist es nicht viel anders als in Kassel, nur liegen die ganzen Verhältnisse für Frauen weniger günstig, wie ich schon schilderte.

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Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-07-11T15:25:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_kunststudium_1913/19>, abgerufen am 21.11.2024.