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Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.

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und Genießens ansieht, so korrigiert ihn Spielhagen, indem er statt "Betrachtung" ple_159.002
vielmehr Beobachtung setzen will (a. a. O. S. 153-156). Der ple_159.003
epische Dichter strebt nach einem "Weltbild, dessen Material durch unablässige ple_159.004
scharfe Beobachtung der realen Welt zusammengebracht wird." Und ple_159.005
an einer anderen Stelle: "Denn dies ist das Bezeichnende des epischen Verfahrens, ple_159.006
daß es von Anfang an induktorisch ist und bis zum Ende induktorisch ple_159.007
bleibt" (S. 168). Schon durch diese Wendung ist die schöpferische ple_159.008
Tätigkeit des Romandichters bedenklich nahe an die Grenzen wissenschaftlicher ple_159.009
Forschung und Beobachtung gerückt.1) Aber ganz und gar in eine ple_159.010
Reihe stellt Zola beide mit seiner Theorie des experimentellen Romans.2) ple_159.011
Nicht nur als Beobachter steht der Romanschriftsteller dem wissenschaftlichen ple_159.012
Psychologen völlig gleich, sondern seine Methode ist genau dieselbe, ple_159.013
welche die moderne Naturwissenschaft auf ihre Höhe geführt hat: die des ple_159.014
Experiments, das sich hier auf die menschliche Seele erstreckt. Zola spricht ple_159.015
und schreibt genau wie ein moderner Experimentalpsychologe. "Le probleme ple_159.016
est de savoir ce que telle passion, agissant dans tel milieu et dans telles ple_159.017
circonstances, produira au point de vue de l'individu et de la societe. Nous ple_159.018
faisons en quelque sorte de la psychologie scientifique." Und nicht nur die ple_159.019
Methode auch das Ziel teilt er mit der Wissenschaft: "Ce reve du physiologiste ple_159.020
et du medecin experimentateur est aussi celui du romancier qui applique ple_159.021
a l'etude naturelle et sociale de l'homme la methode experimentale. Notre ple_159.022
but est le leur; nous voulons, nous aussi, etre les maeitres des phenomenes, ple_159.023
des elements intellectuels et personnels, pour pouvoir les diriger. Nous ple_159.024
sommes, en un mot, des moralistes experimentateurs, montrant par l'experience ple_159.025
de quelle facon se comporte une passion dans un milieu social. ple_159.026
Le jour ou nous tiendrons le mecanisme de cette passion, on pourra la ple_159.027
traiter et la reduire, ou tout au moins la rendre la plus inoffensive possible. ple_159.028
Et voila ou se trouvent l'utilite pratique et la haute morale de nous oeuvres ple_159.029
naturalistes, qui experimentent sur l'homme, qui demontent et remontent ple_159.030
piece a piece la machine humaine, pour la faire fonctionner sous l'influence ple_159.031
des milieux." Wie in einem Vergrößerungsspiegel sieht man in diesem ple_159.032
Zerrbild einer ästhetischen Theorie den Fehler, der in der allzuscharfen Betonung ple_159.033
des Verstandesmäßigen im Roman liegt. Was bei Zola sofort auffällt ple_159.034
und seine Lehre von vornherein unbrauchbar macht, ist, daß er die ple_159.035
Tätigkeit der schöpferischen Phantasie völlig ausschaltet, oder doch nur in ple_159.036
der Form der Betätigung anerkennt, wie sie ein geistreicher Naturforscher

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Wiewohl Spielhagen an andrer Stelle mit Recht gegen die Verwirrung der Grenzen ple_159.038
sich ausspricht. "Und doch sind diese Wege himmelweit verschieden; so weit wie es der ple_159.039
einzelne konkrete Fall von der Regel ist, die aus der Fülle sämtlicher konkreter Fälle abstrahiert ple_159.040
wurde; so verschieden, wie die Tätigkeit der Phantasie von der reinen Vernunft ple_159.041
und Urteilskraft; so verschieden, wie die künstlerische Darstellung von der wissenschaftlichen ple_159.042
Analyse der Synthese." (S. 55.)
2) ple_159.043
Emile Zola, Le Roman experimental. Paris 1876.

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und Genießens ansieht, so korrigiert ihn Spielhagen, indem er statt „Betrachtung“ ple_159.002
vielmehr Beobachtung setzen will (a. a. O. S. 153–156). Der ple_159.003
epische Dichter strebt nach einem „Weltbild, dessen Material durch unablässige ple_159.004
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an einer anderen Stelle: „Denn dies ist das Bezeichnende des epischen Verfahrens, ple_159.006
daß es von Anfang an induktorisch ist und bis zum Ende induktorisch ple_159.007
bleibt“ (S. 168). Schon durch diese Wendung ist die schöpferische ple_159.008
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Nicht nur als Beobachter steht der Romanschriftsteller dem wissenschaftlichen ple_159.012
Psychologen völlig gleich, sondern seine Methode ist genau dieselbe, ple_159.013
welche die moderne Naturwissenschaft auf ihre Höhe geführt hat: die des ple_159.014
Experiments, das sich hier auf die menschliche Seele erstreckt. Zola spricht ple_159.015
und schreibt genau wie ein moderner Experimentalpsychologe. „Le problème ple_159.016
est de savoir ce que telle passion, agissant dans tel milieu et dans telles ple_159.017
circonstances, produira au point de vue de l'individu et de la société. Nous ple_159.018
faisons en quelque sorte de la psychologie scientifique.“ Und nicht nur die ple_159.019
Methode auch das Ziel teilt er mit der Wissenschaft: „Ce rêve du physiologiste ple_159.020
et du médecin expérimentateur est aussi celui du romancier qui applique ple_159.021
à l'étude naturelle et sociale de l'homme la méthode expérimentale. Notre ple_159.022
but est le leur; nous voulons, nous aussi, être les maîtres des phénomènes, ple_159.023
des éléments intellectuels et personnels, pour pouvoir les diriger. Nous ple_159.024
sommes, en un mot, des moralistes expérimentateurs, montrant par l'expérience ple_159.025
de quelle façon se comporte une passion dans un milieu social. ple_159.026
Le jour où nous tiendrons le mécanisme de cette passion, on pourra la ple_159.027
traiter et la réduire, ou tout au moins la rendre la plus inoffensive possible. ple_159.028
Et voilà où se trouvent l'utilité pratique et la haute morale de nous oeuvres ple_159.029
naturalistes, qui expérimentent sur l'homme, qui démontent et remontent ple_159.030
pièce a pièce la machine humaine, pour la faire fonctionner sous l'influence ple_159.031
des milieux.“ Wie in einem Vergrößerungsspiegel sieht man in diesem ple_159.032
Zerrbild einer ästhetischen Theorie den Fehler, der in der allzuscharfen Betonung ple_159.033
des Verstandesmäßigen im Roman liegt. Was bei Zola sofort auffällt ple_159.034
und seine Lehre von vornherein unbrauchbar macht, ist, daß er die ple_159.035
Tätigkeit der schöpferischen Phantasie völlig ausschaltet, oder doch nur in ple_159.036
der Form der Betätigung anerkennt, wie sie ein geistreicher Naturforscher

1) ple_159.037
Wiewohl Spielhagen an andrer Stelle mit Recht gegen die Verwirrung der Grenzen ple_159.038
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einzelne konkrete Fall von der Regel ist, die aus der Fülle sämtlicher konkreter Fälle abstrahiert ple_159.040
wurde; so verschieden, wie die Tätigkeit der Phantasie von der reinen Vernunft ple_159.041
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Emile Zola, Le Roman expérimental. Paris 1876.
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Zitationshilfe: Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_poetik_1908/173>, abgerufen am 21.11.2024.