Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_159.001 1) ple_159.037 Wiewohl Spielhagen an andrer Stelle mit Recht gegen die Verwirrung der Grenzen ple_159.038 sich ausspricht. "Und doch sind diese Wege himmelweit verschieden; so weit wie es der ple_159.039 einzelne konkrete Fall von der Regel ist, die aus der Fülle sämtlicher konkreter Fälle abstrahiert ple_159.040 wurde; so verschieden, wie die Tätigkeit der Phantasie von der reinen Vernunft ple_159.041 und Urteilskraft; so verschieden, wie die künstlerische Darstellung von der wissenschaftlichen ple_159.042 Analyse der Synthese." (S. 55.) 2) ple_159.043
Emile Zola, Le Roman experimental. Paris 1876. ple_159.001 1) ple_159.037 Wiewohl Spielhagen an andrer Stelle mit Recht gegen die Verwirrung der Grenzen ple_159.038 sich ausspricht. „Und doch sind diese Wege himmelweit verschieden; so weit wie es der ple_159.039 einzelne konkrete Fall von der Regel ist, die aus der Fülle sämtlicher konkreter Fälle abstrahiert ple_159.040 wurde; so verschieden, wie die Tätigkeit der Phantasie von der reinen Vernunft ple_159.041 und Urteilskraft; so verschieden, wie die künstlerische Darstellung von der wissenschaftlichen ple_159.042 Analyse der Synthese.“ (S. 55.) 2) ple_159.043
Emile Zola, Le Roman expérimental. Paris 1876. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0173" n="159"/><lb n="ple_159.001"/> und Genießens ansieht, so korrigiert ihn Spielhagen, indem er statt „Betrachtung“ <lb n="ple_159.002"/> vielmehr <hi rendition="#g">Beobachtung</hi> setzen will (a. a. O. S. 153–156). Der <lb n="ple_159.003"/> epische Dichter strebt nach einem „Weltbild, dessen Material durch unablässige <lb n="ple_159.004"/> scharfe Beobachtung der realen Welt zusammengebracht wird.“ Und <lb n="ple_159.005"/> an einer anderen Stelle: „Denn dies ist das Bezeichnende des epischen Verfahrens, <lb n="ple_159.006"/> daß es von Anfang an induktorisch ist und bis zum Ende induktorisch <lb n="ple_159.007"/> bleibt“ (S. 168). Schon durch diese Wendung ist die schöpferische <lb n="ple_159.008"/> Tätigkeit des Romandichters bedenklich nahe an die Grenzen wissenschaftlicher <lb n="ple_159.009"/> Forschung und Beobachtung gerückt.<note xml:id="ple_159_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_159.037"/> Wiewohl Spielhagen an andrer Stelle mit Recht gegen die Verwirrung der Grenzen <lb n="ple_159.038"/> sich ausspricht. „Und doch sind diese Wege himmelweit verschieden; so weit wie es der <lb n="ple_159.039"/> einzelne konkrete Fall von der Regel ist, die aus der Fülle sämtlicher konkreter Fälle abstrahiert <lb n="ple_159.040"/> wurde; so verschieden, wie die Tätigkeit der Phantasie von der reinen Vernunft <lb n="ple_159.041"/> und Urteilskraft; so verschieden, wie die künstlerische Darstellung von der wissenschaftlichen <lb n="ple_159.042"/> Analyse der Synthese.“ (S. 55.)</note> Aber ganz und gar in eine <lb n="ple_159.010"/> Reihe stellt Zola beide mit seiner Theorie des experimentellen Romans.<note xml:id="ple_159_2" place="foot" n="2)"><lb n="ple_159.043"/><hi rendition="#k">Emile Zola,</hi> Le Roman expérimental. Paris 1876.</note> <lb n="ple_159.011"/> Nicht nur als Beobachter steht der Romanschriftsteller dem wissenschaftlichen <lb n="ple_159.012"/> Psychologen völlig gleich, sondern seine Methode ist genau dieselbe, <lb n="ple_159.013"/> welche die moderne Naturwissenschaft auf ihre Höhe geführt hat: die des <lb n="ple_159.014"/> Experiments, das sich hier auf die menschliche Seele erstreckt. Zola spricht <lb n="ple_159.015"/> und schreibt genau wie ein moderner Experimentalpsychologe. „Le problème <lb n="ple_159.016"/> est de savoir ce que telle passion, agissant dans tel milieu et dans telles <lb n="ple_159.017"/> circonstances, produira au point de vue de l'individu et de la société. Nous <lb n="ple_159.018"/> faisons en quelque sorte de la psychologie scientifique.“ Und nicht nur die <lb n="ple_159.019"/> Methode auch das Ziel teilt er mit der Wissenschaft: „Ce rêve du physiologiste <lb n="ple_159.020"/> et du médecin expérimentateur est aussi celui du romancier qui applique <lb n="ple_159.021"/> à l'étude naturelle et sociale de l'homme la méthode expérimentale. Notre <lb n="ple_159.022"/> but est le leur; nous voulons, nous aussi, être les maîtres des phénomènes, <lb n="ple_159.023"/> des éléments intellectuels et personnels, pour pouvoir les diriger. Nous <lb n="ple_159.024"/> sommes, en un mot, des moralistes expérimentateurs, montrant par l'expérience <lb n="ple_159.025"/> de quelle façon se comporte une passion dans un milieu social. <lb n="ple_159.026"/> Le jour où nous tiendrons le mécanisme de cette passion, on pourra la <lb n="ple_159.027"/> traiter et la réduire, ou tout au moins la rendre la plus inoffensive possible. <lb n="ple_159.028"/> Et voilà où se trouvent l'utilité pratique et la haute morale de nous oeuvres <lb n="ple_159.029"/> naturalistes, qui expérimentent sur l'homme, qui démontent et remontent <lb n="ple_159.030"/> pièce a pièce la machine humaine, pour la faire fonctionner sous l'influence <lb n="ple_159.031"/> des milieux.“ Wie in einem Vergrößerungsspiegel sieht man in diesem <lb n="ple_159.032"/> Zerrbild einer ästhetischen Theorie den Fehler, der in der allzuscharfen Betonung <lb n="ple_159.033"/> des Verstandesmäßigen im Roman liegt. Was bei Zola sofort auffällt <lb n="ple_159.034"/> und seine Lehre von vornherein unbrauchbar macht, ist, daß er die <lb n="ple_159.035"/> Tätigkeit der schöpferischen Phantasie völlig ausschaltet, oder doch nur in <lb n="ple_159.036"/> der Form der Betätigung anerkennt, wie sie ein geistreicher Naturforscher </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0173]
ple_159.001
und Genießens ansieht, so korrigiert ihn Spielhagen, indem er statt „Betrachtung“ ple_159.002
vielmehr Beobachtung setzen will (a. a. O. S. 153–156). Der ple_159.003
epische Dichter strebt nach einem „Weltbild, dessen Material durch unablässige ple_159.004
scharfe Beobachtung der realen Welt zusammengebracht wird.“ Und ple_159.005
an einer anderen Stelle: „Denn dies ist das Bezeichnende des epischen Verfahrens, ple_159.006
daß es von Anfang an induktorisch ist und bis zum Ende induktorisch ple_159.007
bleibt“ (S. 168). Schon durch diese Wendung ist die schöpferische ple_159.008
Tätigkeit des Romandichters bedenklich nahe an die Grenzen wissenschaftlicher ple_159.009
Forschung und Beobachtung gerückt. 1) Aber ganz und gar in eine ple_159.010
Reihe stellt Zola beide mit seiner Theorie des experimentellen Romans. 2) ple_159.011
Nicht nur als Beobachter steht der Romanschriftsteller dem wissenschaftlichen ple_159.012
Psychologen völlig gleich, sondern seine Methode ist genau dieselbe, ple_159.013
welche die moderne Naturwissenschaft auf ihre Höhe geführt hat: die des ple_159.014
Experiments, das sich hier auf die menschliche Seele erstreckt. Zola spricht ple_159.015
und schreibt genau wie ein moderner Experimentalpsychologe. „Le problème ple_159.016
est de savoir ce que telle passion, agissant dans tel milieu et dans telles ple_159.017
circonstances, produira au point de vue de l'individu et de la société. Nous ple_159.018
faisons en quelque sorte de la psychologie scientifique.“ Und nicht nur die ple_159.019
Methode auch das Ziel teilt er mit der Wissenschaft: „Ce rêve du physiologiste ple_159.020
et du médecin expérimentateur est aussi celui du romancier qui applique ple_159.021
à l'étude naturelle et sociale de l'homme la méthode expérimentale. Notre ple_159.022
but est le leur; nous voulons, nous aussi, être les maîtres des phénomènes, ple_159.023
des éléments intellectuels et personnels, pour pouvoir les diriger. Nous ple_159.024
sommes, en un mot, des moralistes expérimentateurs, montrant par l'expérience ple_159.025
de quelle façon se comporte une passion dans un milieu social. ple_159.026
Le jour où nous tiendrons le mécanisme de cette passion, on pourra la ple_159.027
traiter et la réduire, ou tout au moins la rendre la plus inoffensive possible. ple_159.028
Et voilà où se trouvent l'utilité pratique et la haute morale de nous oeuvres ple_159.029
naturalistes, qui expérimentent sur l'homme, qui démontent et remontent ple_159.030
pièce a pièce la machine humaine, pour la faire fonctionner sous l'influence ple_159.031
des milieux.“ Wie in einem Vergrößerungsspiegel sieht man in diesem ple_159.032
Zerrbild einer ästhetischen Theorie den Fehler, der in der allzuscharfen Betonung ple_159.033
des Verstandesmäßigen im Roman liegt. Was bei Zola sofort auffällt ple_159.034
und seine Lehre von vornherein unbrauchbar macht, ist, daß er die ple_159.035
Tätigkeit der schöpferischen Phantasie völlig ausschaltet, oder doch nur in ple_159.036
der Form der Betätigung anerkennt, wie sie ein geistreicher Naturforscher
1) ple_159.037
Wiewohl Spielhagen an andrer Stelle mit Recht gegen die Verwirrung der Grenzen ple_159.038
sich ausspricht. „Und doch sind diese Wege himmelweit verschieden; so weit wie es der ple_159.039
einzelne konkrete Fall von der Regel ist, die aus der Fülle sämtlicher konkreter Fälle abstrahiert ple_159.040
wurde; so verschieden, wie die Tätigkeit der Phantasie von der reinen Vernunft ple_159.041
und Urteilskraft; so verschieden, wie die künstlerische Darstellung von der wissenschaftlichen ple_159.042
Analyse der Synthese.“ (S. 55.)
2) ple_159.043
Emile Zola, Le Roman expérimental. Paris 1876.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |