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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.
thurmartigen Vorsprunge zur linken Hand vom Haupteingange befinden
sich die Appartements der Königin Maria Stuart, heute noch auch
ihrer Einrichtung nach unversehrt erhalten. Hier zeigt man uns den
Raum, wo ihr Secretär Rizzio ermordet wurde, die Stiege, über
welche die Verschworenen zu diesem Ende in das Gemach der
Königin drangen, ja, es mangelt sogar der Stein nicht, an dem man
noch Flecken von Rizzio's Blut sehen will. In diesen Gemächern führte
Maria Stuart unter Intriguen und Schwierigkeiten aller Art das
Scepter von Schottland und genoss neben manchen übermüthig
frohen Tagen auch die volle Bitterkeit, welche ihr der rohe Uebermuth
des auf seine Selbständigkeit pochenden Adels des Landes bereitete.
Heute enthält Holyrood eine sehenswerthe Bildersammlung und eine
Reihe von Gemächern für festliche Gelegenheiten. Hinter Holyrood
zieht sich eine grosse Parkanlage und ein angrenzendes Baracken-
lager hin.

Was südlich der Linie liegt, welche vom alten Schloss nach
Holyrood streicht, gehört ganz zur alten Stadt, wenngleich daselbst
auch manches neuere Bauwerk unsere Aufmerksamkeit fesselt, so vor
Allem die Universität mit dem Museum und dem Parlamentsgebäude,
in welchem seit Aufhören des selbständigen schottischen Parlamentes
die obersten Justizbehörden des Landes untergebracht sind. Die
Edinburgher Universität ist eine aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts
stammende Gründung, die sich stets guten und verdienten Rufes erfreute.

Wenden wir uns nunmehr nördlich der vorerwähnten Linie und
besteigen wir die nordwestlich von Holyrood gelegene Anhöhe von
Calton Hill, den früher schon von uns erwähnten dritten bemerkens-
werthen Markpunkt von Edinburgh, so gewinnen wir sofort einen
Ueberblick über die neue Stadt, welche sich parallel und nördlich
der alten ausdehnt. Calton Hill erhebt sich 350 englische Fuss
über dem Meeresspiegel und ist vom Waterlooplatze her über eine
lange Reihe von Stufen am besten zugänglich. Auf dieser Höhe befindet
sich die königliche Sternwarte, dann ein Lord Nelson, dem Sieger
von Trafalgar, gewidmetes Monument, und endlich erhebt sich dort
das grosse, dem Pantheon von Athen zum Theil nachgebildete National-
denkmal, welches als Erinnerung an die bei Waterloo gefallenen
Krieger dient. Dieses Monument wurde im Wege einer allgemeinen
Sammlung im Lande hergestellt, fand jedoch wegen Mangel an Fonds
nicht seinen planmässigen, sehr kostspieligen Abschluss.

Wendet man von Calton Hill aus das Antlitz gegen West, so
sieht man die grosse Princes-Street entlang, welche eine Hauptader

Der atlantische Ocean.
thurmartigen Vorsprunge zur linken Hand vom Haupteingange befinden
sich die Appartements der Königin Maria Stuart, heute noch auch
ihrer Einrichtung nach unversehrt erhalten. Hier zeigt man uns den
Raum, wo ihr Secretär Rizzio ermordet wurde, die Stiege, über
welche die Verschworenen zu diesem Ende in das Gemach der
Königin drangen, ja, es mangelt sogar der Stein nicht, an dem man
noch Flecken von Rizzio’s Blut sehen will. In diesen Gemächern führte
Maria Stuart unter Intriguen und Schwierigkeiten aller Art das
Scepter von Schottland und genoss neben manchen übermüthig
frohen Tagen auch die volle Bitterkeit, welche ihr der rohe Uebermuth
des auf seine Selbständigkeit pochenden Adels des Landes bereitete.
Heute enthält Holyrood eine sehenswerthe Bildersammlung und eine
Reihe von Gemächern für festliche Gelegenheiten. Hinter Holyrood
zieht sich eine grosse Parkanlage und ein angrenzendes Baracken-
lager hin.

Was südlich der Linie liegt, welche vom alten Schloss nach
Holyrood streicht, gehört ganz zur alten Stadt, wenngleich daselbst
auch manches neuere Bauwerk unsere Aufmerksamkeit fesselt, so vor
Allem die Universität mit dem Museum und dem Parlamentsgebäude,
in welchem seit Aufhören des selbständigen schottischen Parlamentes
die obersten Justizbehörden des Landes untergebracht sind. Die
Edinburgher Universität ist eine aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts
stammende Gründung, die sich stets guten und verdienten Rufes erfreute.

Wenden wir uns nunmehr nördlich der vorerwähnten Linie und
besteigen wir die nordwestlich von Holyrood gelegene Anhöhe von
Calton Hill, den früher schon von uns erwähnten dritten bemerkens-
werthen Markpunkt von Edinburgh, so gewinnen wir sofort einen
Ueberblick über die neue Stadt, welche sich parallel und nördlich
der alten ausdehnt. Calton Hill erhebt sich 350 englische Fuss
über dem Meeresspiegel und ist vom Waterlooplatze her über eine
lange Reihe von Stufen am besten zugänglich. Auf dieser Höhe befindet
sich die königliche Sternwarte, dann ein Lord Nelson, dem Sieger
von Trafalgar, gewidmetes Monument, und endlich erhebt sich dort
das grosse, dem Pantheon von Athen zum Theil nachgebildete National-
denkmal, welches als Erinnerung an die bei Waterloo gefallenen
Krieger dient. Dieses Monument wurde im Wege einer allgemeinen
Sammlung im Lande hergestellt, fand jedoch wegen Mangel an Fonds
nicht seinen planmässigen, sehr kostspieligen Abschluss.

Wendet man von Calton Hill aus das Antlitz gegen West, so
sieht man die grosse Princes-Street entlang, welche eine Hauptader

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[1004/1024] Der atlantische Ocean. thurmartigen Vorsprunge zur linken Hand vom Haupteingange befinden sich die Appartements der Königin Maria Stuart, heute noch auch ihrer Einrichtung nach unversehrt erhalten. Hier zeigt man uns den Raum, wo ihr Secretär Rizzio ermordet wurde, die Stiege, über welche die Verschworenen zu diesem Ende in das Gemach der Königin drangen, ja, es mangelt sogar der Stein nicht, an dem man noch Flecken von Rizzio’s Blut sehen will. In diesen Gemächern führte Maria Stuart unter Intriguen und Schwierigkeiten aller Art das Scepter von Schottland und genoss neben manchen übermüthig frohen Tagen auch die volle Bitterkeit, welche ihr der rohe Uebermuth des auf seine Selbständigkeit pochenden Adels des Landes bereitete. Heute enthält Holyrood eine sehenswerthe Bildersammlung und eine Reihe von Gemächern für festliche Gelegenheiten. Hinter Holyrood zieht sich eine grosse Parkanlage und ein angrenzendes Baracken- lager hin. Was südlich der Linie liegt, welche vom alten Schloss nach Holyrood streicht, gehört ganz zur alten Stadt, wenngleich daselbst auch manches neuere Bauwerk unsere Aufmerksamkeit fesselt, so vor Allem die Universität mit dem Museum und dem Parlamentsgebäude, in welchem seit Aufhören des selbständigen schottischen Parlamentes die obersten Justizbehörden des Landes untergebracht sind. Die Edinburgher Universität ist eine aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts stammende Gründung, die sich stets guten und verdienten Rufes erfreute. Wenden wir uns nunmehr nördlich der vorerwähnten Linie und besteigen wir die nordwestlich von Holyrood gelegene Anhöhe von Calton Hill, den früher schon von uns erwähnten dritten bemerkens- werthen Markpunkt von Edinburgh, so gewinnen wir sofort einen Ueberblick über die neue Stadt, welche sich parallel und nördlich der alten ausdehnt. Calton Hill erhebt sich 350 englische Fuss über dem Meeresspiegel und ist vom Waterlooplatze her über eine lange Reihe von Stufen am besten zugänglich. Auf dieser Höhe befindet sich die königliche Sternwarte, dann ein Lord Nelson, dem Sieger von Trafalgar, gewidmetes Monument, und endlich erhebt sich dort das grosse, dem Pantheon von Athen zum Theil nachgebildete National- denkmal, welches als Erinnerung an die bei Waterloo gefallenen Krieger dient. Dieses Monument wurde im Wege einer allgemeinen Sammlung im Lande hergestellt, fand jedoch wegen Mangel an Fonds nicht seinen planmässigen, sehr kostspieligen Abschluss. Wendet man von Calton Hill aus das Antlitz gegen West, so sieht man die grosse Princes-Street entlang, welche eine Hauptader

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 1004. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/1024>, abgerufen am 23.11.2024.