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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.

Zum Theile wieder aufgebaut, ward Byzanz eine römische Pro-
vinzstadt ohne besondere Bedeutung, bis Constantin der Grosse nach
Besiegung des Licinius bei Adrianopel es (330) an Stelle von Rom
zur Hauptstadt des römischen Reiches und zu seiner Residenz erhob.

Nach des Kaisers Absicht sollte Byzanz als Neu-Rom (Roma
nova) die Hauptstadt eines christlichen römischen Reiches werden,
die er deshalb um mehr als das Doppelte erweiterte und mit den
herrlichsten Bauten schmückte. Ihm zu Ehren hat die Nachwelt der
Stadt den Namen Constantinopel verliehen.

Indes wurde Neu-Rom erst unter Constantin II. (337--361) voll-
endet, aber auch die nachgefolgten Kaiser mehrten die Zierden der
überaus prächtigen Stadt, die, als Theodosius I. das römische Reich
im Jahre 395 unter seine Söhne Honorius und Arcadius theilte, die
Hauptstadt des oströmischen Reiches wurde.

In dieser Zeit erhob sich bereits unter dem Missbrauch des zu
verwerflicher Scheinheiligkeit ausgearteten Christenthums die mit der
Bezeichnung Byzantinismus gebrandmarkte Gesinnungslosigkeit zu
Macht und Einfluss. Dieser Theil der Geschichte des morgenländischen
Kaiserthums ist so traurig wie die gleichzeitige der Völker des Abend-
landes.

Unter dem prunkliebenden Kaiser Justinian (527--565), der als
zweiter Gründer von Constantinopel gilt, entartete die Bevölkerung
nach dem Vorbilde des sittenlosen Hofes, dem Theodora, die zur
Würde einer Kaiserin emporgestiegene Buhldirne, Ton und Richtung
gab. Die leidenschaftliche Parteinahme für die im Hippodrom sich
bekämpfenden Wagenlenker steigerte sich zu tödtlichem Hass und
war die Veranlassung zu dem furchtbaren Nika-Aufstand (Jänner 532),
den Belizar nach Niedermetzlung von 30.000 Menschen im Cirkus
unterdrückte. Ein grosser Theil der Stadt ging in Flammen auf, und
Justinian wäre entthront worden, wenn die Festigkeit Theodora's ihn
nicht davor bewahrt hätte.

Unter dem Machtworte Justinian's erhoben sich auf den Brand-
stätten bald wieder prächtige Gebäude und entstanden herrliche
Grossbauten, von welchen die berühmte Sta. Sophia und die gleich-
namige von Theodora erbaute kleinere Kirche noch gegenwärtig zu den
kostbarsten Monumenten aus der ersten Christenzeit zählen. Des Kai-
sers neuerbauter Palast und viele andere Prunkbauten sind aber in
der Zeiten Flucht verschwunden.

Während der folgenden Jahrhunderte brandete die Hochflut der
Völkerwanderung neunmal an den starken Mauern der Stadt. Das

Das Mittelmeerbecken.

Zum Theile wieder aufgebaut, ward Byzanz eine römische Pro-
vinzstadt ohne besondere Bedeutung, bis Constantin der Grosse nach
Besiegung des Licinius bei Adrianopel es (330) an Stelle von Rom
zur Hauptstadt des römischen Reiches und zu seiner Residenz erhob.

Nach des Kaisers Absicht sollte Byzanz als Neu-Rom (Roma
nova) die Hauptstadt eines christlichen römischen Reiches werden,
die er deshalb um mehr als das Doppelte erweiterte und mit den
herrlichsten Bauten schmückte. Ihm zu Ehren hat die Nachwelt der
Stadt den Namen Constantinopel verliehen.

Indes wurde Neu-Rom erst unter Constantin II. (337—361) voll-
endet, aber auch die nachgefolgten Kaiser mehrten die Zierden der
überaus prächtigen Stadt, die, als Theodosius I. das römische Reich
im Jahre 395 unter seine Söhne Honorius und Arcadius theilte, die
Hauptstadt des oströmischen Reiches wurde.

In dieser Zeit erhob sich bereits unter dem Missbrauch des zu
verwerflicher Scheinheiligkeit ausgearteten Christenthums die mit der
Bezeichnung Byzantinismus gebrandmarkte Gesinnungslosigkeit zu
Macht und Einfluss. Dieser Theil der Geschichte des morgenländischen
Kaiserthums ist so traurig wie die gleichzeitige der Völker des Abend-
landes.

Unter dem prunkliebenden Kaiser Justinian (527—565), der als
zweiter Gründer von Constantinopel gilt, entartete die Bevölkerung
nach dem Vorbilde des sittenlosen Hofes, dem Theodora, die zur
Würde einer Kaiserin emporgestiegene Buhldirne, Ton und Richtung
gab. Die leidenschaftliche Parteinahme für die im Hippodrom sich
bekämpfenden Wagenlenker steigerte sich zu tödtlichem Hass und
war die Veranlassung zu dem furchtbaren Nika-Aufstand (Jänner 532),
den Belizar nach Niedermetzlung von 30.000 Menschen im Cirkus
unterdrückte. Ein grosser Theil der Stadt ging in Flammen auf, und
Justinian wäre entthront worden, wenn die Festigkeit Theodora’s ihn
nicht davor bewahrt hätte.

Unter dem Machtworte Justinian’s erhoben sich auf den Brand-
stätten bald wieder prächtige Gebäude und entstanden herrliche
Grossbauten, von welchen die berühmte Sta. Sophia und die gleich-
namige von Theodora erbaute kleinere Kirche noch gegenwärtig zu den
kostbarsten Monumenten aus der ersten Christenzeit zählen. Des Kai-
sers neuerbauter Palast und viele andere Prunkbauten sind aber in
der Zeiten Flucht verschwunden.

Während der folgenden Jahrhunderte brandete die Hochflut der
Völkerwanderung neunmal an den starken Mauern der Stadt. Das

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[110/0130] Das Mittelmeerbecken. Zum Theile wieder aufgebaut, ward Byzanz eine römische Pro- vinzstadt ohne besondere Bedeutung, bis Constantin der Grosse nach Besiegung des Licinius bei Adrianopel es (330) an Stelle von Rom zur Hauptstadt des römischen Reiches und zu seiner Residenz erhob. Nach des Kaisers Absicht sollte Byzanz als Neu-Rom (Roma nova) die Hauptstadt eines christlichen römischen Reiches werden, die er deshalb um mehr als das Doppelte erweiterte und mit den herrlichsten Bauten schmückte. Ihm zu Ehren hat die Nachwelt der Stadt den Namen Constantinopel verliehen. Indes wurde Neu-Rom erst unter Constantin II. (337—361) voll- endet, aber auch die nachgefolgten Kaiser mehrten die Zierden der überaus prächtigen Stadt, die, als Theodosius I. das römische Reich im Jahre 395 unter seine Söhne Honorius und Arcadius theilte, die Hauptstadt des oströmischen Reiches wurde. In dieser Zeit erhob sich bereits unter dem Missbrauch des zu verwerflicher Scheinheiligkeit ausgearteten Christenthums die mit der Bezeichnung Byzantinismus gebrandmarkte Gesinnungslosigkeit zu Macht und Einfluss. Dieser Theil der Geschichte des morgenländischen Kaiserthums ist so traurig wie die gleichzeitige der Völker des Abend- landes. Unter dem prunkliebenden Kaiser Justinian (527—565), der als zweiter Gründer von Constantinopel gilt, entartete die Bevölkerung nach dem Vorbilde des sittenlosen Hofes, dem Theodora, die zur Würde einer Kaiserin emporgestiegene Buhldirne, Ton und Richtung gab. Die leidenschaftliche Parteinahme für die im Hippodrom sich bekämpfenden Wagenlenker steigerte sich zu tödtlichem Hass und war die Veranlassung zu dem furchtbaren Nika-Aufstand (Jänner 532), den Belizar nach Niedermetzlung von 30.000 Menschen im Cirkus unterdrückte. Ein grosser Theil der Stadt ging in Flammen auf, und Justinian wäre entthront worden, wenn die Festigkeit Theodora’s ihn nicht davor bewahrt hätte. Unter dem Machtworte Justinian’s erhoben sich auf den Brand- stätten bald wieder prächtige Gebäude und entstanden herrliche Grossbauten, von welchen die berühmte Sta. Sophia und die gleich- namige von Theodora erbaute kleinere Kirche noch gegenwärtig zu den kostbarsten Monumenten aus der ersten Christenzeit zählen. Des Kai- sers neuerbauter Palast und viele andere Prunkbauten sind aber in der Zeiten Flucht verschwunden. Während der folgenden Jahrhunderte brandete die Hochflut der Völkerwanderung neunmal an den starken Mauern der Stadt. Das

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/130>, abgerufen am 26.11.2024.