gemäss auch Constantinopels Handelsbedeutung sinken, und schon 1885 erlitt diese einen neuen Stoss, indem damals Ostrumelien thatsächlich aus einer autonomen Provinz, welche innerhalb der Zollgrenze des türkischen Reiches lag, ein Theil des Vasallenfürstenthums Bulgarien wurde. Im September 1885 brach in Ostrumelien der Aufstand aus; von da an waren die Verbindungen und alle Beziehungen mit dieser Provinz unterbrochen, nach welcher etwa 30 % des gesammten in Constantinopel eingeführten Waarenquantums gegangen waren. Nicht nur die Bestellungen, auch die Zahlungen seitens der rumelischen Kunden blieben vollständig aus, und wegen der Zollschwierigkeiten errichteten die grossen Firmen Constantinopels für Baumwollgarne Waarenhäuser in Philippopel.
Als dann im Februar 1886 der Verkehr mit Ostrumelien wieder eröffnet wurde und man in Constantinopel auf die Erneuerung der alten geschäftlichen Beziehungen wartete, da traf die überraschende Nachricht ein, die bulgarische Regierung habe an der Grenze von Ostrumelien einen Zollcordon errichtet. Sie verlangte von Waaren, welche schon bei der Einfuhr in die Türkei den dort gesetzlichen Einfuhrzoll von 8 % vom Werthe erlegt hatten, bei ihrem Eintritte nach Ostrumelien neuerdings die Erlegung eines Zolles von 8 % ad valorem.
Im April 1886 wurden die Handelsbeziehungen der Türkei und Ostrumeliens geordnet; aber Ostrumelien blieb für die Türkei Zoll- ausland.
Die Vollendung der im Bau begriffenen Eisenbahn Jamboli- Burgas (Fortsetzung der Linie Tirnova-Semenli-Jamboli) wird Ost- rumelien auch für den Verkehr nach dem Süden von der Türkei ganz unabhängig machen und zunächst das türkische Dedeagatsch schä- digen. Dieses liegt im Osten der Mündung der Maritza ins ägäische Meer, ist Ende einer Zweigbahn von Adrianopel her und daher Ex- portplatz für ostrumelisches Getreide.
Auch die Stellung Constantinopels als vermittelnden Platzes für Ostrumelien dürfte durch die neue Bahnlinie geschwächt werden.
Einen neuen Aufschwung kann Constantinopol nur nehmen, wenn die Communicationsmittel Kleinasiens verbessert und damit neue Ver- kehrsgebiete dem Welthandel erschlossen werden.
Die Vollendung des Eisenbahnanschlusses nach Belgrad hat den Handel Constantinopels bis jetzt nur indirect gefördert, indem sich dadurch der Zuzug von Reisenden bedeutend gehoben hat. Aber die Tarife sind auf dieser Bahn zu hoch; Constantinopel kann daher als Importplatz gegen die Provenienzen aus dem Norden nicht weit hinein
Das Mittelmeerbecken.
gemäss auch Constantinopels Handelsbedeutung sinken, und schon 1885 erlitt diese einen neuen Stoss, indem damals Ostrumelien thatsächlich aus einer autonomen Provinz, welche innerhalb der Zollgrenze des türkischen Reiches lag, ein Theil des Vasallenfürstenthums Bulgarien wurde. Im September 1885 brach in Ostrumelien der Aufstand aus; von da an waren die Verbindungen und alle Beziehungen mit dieser Provinz unterbrochen, nach welcher etwa 30 % des gesammten in Constantinopel eingeführten Waarenquantums gegangen waren. Nicht nur die Bestellungen, auch die Zahlungen seitens der rumelischen Kunden blieben vollständig aus, und wegen der Zollschwierigkeiten errichteten die grossen Firmen Constantinopels für Baumwollgarne Waarenhäuser in Philippopel.
Als dann im Februar 1886 der Verkehr mit Ostrumelien wieder eröffnet wurde und man in Constantinopel auf die Erneuerung der alten geschäftlichen Beziehungen wartete, da traf die überraschende Nachricht ein, die bulgarische Regierung habe an der Grenze von Ostrumelien einen Zollcordon errichtet. Sie verlangte von Waaren, welche schon bei der Einfuhr in die Türkei den dort gesetzlichen Einfuhrzoll von 8 % vom Werthe erlegt hatten, bei ihrem Eintritte nach Ostrumelien neuerdings die Erlegung eines Zolles von 8 % ad valorem.
Im April 1886 wurden die Handelsbeziehungen der Türkei und Ostrumeliens geordnet; aber Ostrumelien blieb für die Türkei Zoll- ausland.
Die Vollendung der im Bau begriffenen Eisenbahn Jamboli- Burgas (Fortsetzung der Linie Tirnova-Semenli-Jamboli) wird Ost- rumelien auch für den Verkehr nach dem Süden von der Türkei ganz unabhängig machen und zunächst das türkische Dedeagatsch schä- digen. Dieses liegt im Osten der Mündung der Maritza ins ägäische Meer, ist Ende einer Zweigbahn von Adrianopel her und daher Ex- portplatz für ostrumelisches Getreide.
Auch die Stellung Constantinopels als vermittelnden Platzes für Ostrumelien dürfte durch die neue Bahnlinie geschwächt werden.
Einen neuen Aufschwung kann Constantinopol nur nehmen, wenn die Communicationsmittel Kleinasiens verbessert und damit neue Ver- kehrsgebiete dem Welthandel erschlossen werden.
Die Vollendung des Eisenbahnanschlusses nach Belgrad hat den Handel Constantinopels bis jetzt nur indirect gefördert, indem sich dadurch der Zuzug von Reisenden bedeutend gehoben hat. Aber die Tarife sind auf dieser Bahn zu hoch; Constantinopel kann daher als Importplatz gegen die Provenienzen aus dem Norden nicht weit hinein
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Das Mittelmeerbecken.
gemäss auch Constantinopels Handelsbedeutung sinken, und schon 1885
erlitt diese einen neuen Stoss, indem damals Ostrumelien thatsächlich
aus einer autonomen Provinz, welche innerhalb der Zollgrenze des
türkischen Reiches lag, ein Theil des Vasallenfürstenthums Bulgarien
wurde. Im September 1885 brach in Ostrumelien der Aufstand aus;
von da an waren die Verbindungen und alle Beziehungen mit dieser
Provinz unterbrochen, nach welcher etwa 30 % des gesammten in
Constantinopel eingeführten Waarenquantums gegangen waren. Nicht nur
die Bestellungen, auch die Zahlungen seitens der rumelischen Kunden
blieben vollständig aus, und wegen der Zollschwierigkeiten errichteten
die grossen Firmen Constantinopels für Baumwollgarne Waarenhäuser
in Philippopel.
Als dann im Februar 1886 der Verkehr mit Ostrumelien wieder
eröffnet wurde und man in Constantinopel auf die Erneuerung der
alten geschäftlichen Beziehungen wartete, da traf die überraschende
Nachricht ein, die bulgarische Regierung habe an der Grenze von
Ostrumelien einen Zollcordon errichtet. Sie verlangte von Waaren,
welche schon bei der Einfuhr in die Türkei den dort gesetzlichen
Einfuhrzoll von 8 % vom Werthe erlegt hatten, bei ihrem Eintritte nach
Ostrumelien neuerdings die Erlegung eines Zolles von 8 % ad valorem.
Im April 1886 wurden die Handelsbeziehungen der Türkei und
Ostrumeliens geordnet; aber Ostrumelien blieb für die Türkei Zoll-
ausland.
Die Vollendung der im Bau begriffenen Eisenbahn Jamboli-
Burgas (Fortsetzung der Linie Tirnova-Semenli-Jamboli) wird Ost-
rumelien auch für den Verkehr nach dem Süden von der Türkei ganz
unabhängig machen und zunächst das türkische Dedeagatsch schä-
digen. Dieses liegt im Osten der Mündung der Maritza ins ägäische
Meer, ist Ende einer Zweigbahn von Adrianopel her und daher Ex-
portplatz für ostrumelisches Getreide.
Auch die Stellung Constantinopels als vermittelnden Platzes für
Ostrumelien dürfte durch die neue Bahnlinie geschwächt werden.
Einen neuen Aufschwung kann Constantinopol nur nehmen, wenn
die Communicationsmittel Kleinasiens verbessert und damit neue Ver-
kehrsgebiete dem Welthandel erschlossen werden.
Die Vollendung des Eisenbahnanschlusses nach Belgrad hat den
Handel Constantinopels bis jetzt nur indirect gefördert, indem sich
dadurch der Zuzug von Reisenden bedeutend gehoben hat. Aber die
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/146>, abgerufen am 24.11.2024.
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