aus dessen Schluchten die Carthager das Wasser zuleiteten, gleichwie dies gegenwärtig für Tunis geschieht. Westwärts blinkt, durch den weiten Bahira-See von der Küste getrennt, die von einigen Hügeln umgebene weisse Masse der Stadt Tunis uns entgegen. Man glaubt einen Marmorbruch zu erblicken, so unregelmässig und verworren erscheint von der Ferne das Bild dieser interessanten Stadt. Sie führt denn auch den Namen "die Weisse"; die Araber erschöpften die bilderreiche Sprache ihrer Heimat, um die herrlichsten und weihe- vollsten Beinamen der Stadt zu verleihen. Tunis ist für sie "die Ruhm- reiche", "der Aufenthalt des Glückes", "der weisse Burnus des Propheten" u. dgl. Den Vordergrund nimmt Goletta in hübscher Lage ein, und nordwärts desselben zieren reizende Paläste, Villen und Gärten den Küstensaum gegen Cap Carthago zu. Dort bei dem anmuthigen Orte Sidi-bu-Said fällt das Hochplateau, auf dem die glänzende Welt- stadt lag, zum Meere ab. Eine markante Erhöhung daselbst, dort wo die Capelle und Kathedrale St. Louis in die Ferne sieht, ist der Ort, auf dem die Feste Byrsa stand und die schöne Dido lebte. Dort starb auch der heilige Ludwig.
Wie man Tunis nicht betrachten kann, ohne die Höhe von Carthago mit dem Auge zu streifen, ebenso wenig vermag man von der Hauptstadt der Regentschaft zu schreiben, ohne die entschwundene Königin der Meere zu nennen. Die Schicksale beider Städte sind in deren ersten Perioden innig miteinander verknüpft.
Die älteste Kunde über die Colonisation der nordafrikanischen Küste gibt uns die Heilige Schrift, nach welcher asiatische Völkerstämme über Egypten dahin vordrangen. Die Berbern, Tunesen und algerischen Kabylen sind die Nachkommen dieser Colonisten. Dem politischen Geiste der Phönikier (Sidon) entstammten das Reich Libyen und viele blühende Colonien, wie Kambe, die Vorgängerin von Carthago, dann das als Tripolis benannte Gebiet der drei Städte Leptis, Oea und Sabratha ("Markt") u. a. m.
Als in der Folge Tyrus zu Macht und Ueberfluss gedieh, vollendete es die Besiedlung der afrikanischen Küstengebiete durch die Gründung von Hippo Zarytus (Bizerta), Utica, Tunes, Insel Cossyra, Hadrumetum, Tapsus u. a., sämmtlich an der heutigen tunesischen Küste gelegen.
Von Tyrus ging 846 v. Chr. auch die Gründung Carthagos aus, der Sage nach das Werk einer Frau. Die schöne phönikische Prinzessin Elissa (Dido) lan- dete mit Colonisten in der Nähe von Utica und erbaute auf den Ruinen von Kambe die neue Stadt Carthago (von Karthada, das ist Neustadt).
Bekannt ist die Sage, dass der libysche König der Prinzessin so viel Land- fläche zusagte, als sie mit einer Ochsenhaut umspannen könne. Dido schnitt diese in feine Streifen und umgab damit einen Hügel, auf dem sich dann Byrsa, die Festung der Carthager, erhob. Auf derselben Höhe entstand auch der Palast, auf
Das Mittelmeerbecken.
aus dessen Schluchten die Carthager das Wasser zuleiteten, gleichwie dies gegenwärtig für Tunis geschieht. Westwärts blinkt, durch den weiten Bahira-See von der Küste getrennt, die von einigen Hügeln umgebene weisse Masse der Stadt Tunis uns entgegen. Man glaubt einen Marmorbruch zu erblicken, so unregelmässig und verworren erscheint von der Ferne das Bild dieser interessanten Stadt. Sie führt denn auch den Namen „die Weisse“; die Araber erschöpften die bilderreiche Sprache ihrer Heimat, um die herrlichsten und weihe- vollsten Beinamen der Stadt zu verleihen. Tunis ist für sie „die Ruhm- reiche“, „der Aufenthalt des Glückes“, „der weisse Burnus des Propheten“ u. dgl. Den Vordergrund nimmt Goletta in hübscher Lage ein, und nordwärts desselben zieren reizende Paläste, Villen und Gärten den Küstensaum gegen Cap Carthago zu. Dort bei dem anmuthigen Orte Sidi-bu-Said fällt das Hochplateau, auf dem die glänzende Welt- stadt lag, zum Meere ab. Eine markante Erhöhung daselbst, dort wo die Capelle und Kathedrale St. Louis in die Ferne sieht, ist der Ort, auf dem die Feste Byrsa stand und die schöne Dido lebte. Dort starb auch der heilige Ludwig.
Wie man Tunis nicht betrachten kann, ohne die Höhe von Carthago mit dem Auge zu streifen, ebenso wenig vermag man von der Hauptstadt der Regentschaft zu schreiben, ohne die entschwundene Königin der Meere zu nennen. Die Schicksale beider Städte sind in deren ersten Perioden innig miteinander verknüpft.
Die älteste Kunde über die Colonisation der nordafrikanischen Küste gibt uns die Heilige Schrift, nach welcher asiatische Völkerstämme über Egypten dahin vordrangen. Die Berbern, Tunesen und algerischen Kabylen sind die Nachkommen dieser Colonisten. Dem politischen Geiste der Phönikier (Sidon) entstammten das Reich Libyen und viele blühende Colonien, wie Kambé, die Vorgängerin von Carthago, dann das als Tripolis benannte Gebiet der drei Städte Leptis, Oea und Sabratha („Markt“) u. a. m.
Als in der Folge Tyrus zu Macht und Ueberfluss gedieh, vollendete es die Besiedlung der afrikanischen Küstengebiete durch die Gründung von Hippo Zarytus (Bizerta), Utica, Tunes, Insel Cossyra, Hadrumetum, Tapsus u. a., sämmtlich an der heutigen tunesischen Küste gelegen.
Von Tyrus ging 846 v. Chr. auch die Gründung Carthagos aus, der Sage nach das Werk einer Frau. Die schöne phönikische Prinzessin Elissa (Dido) lan- dete mit Colonisten in der Nähe von Utica und erbaute auf den Ruinen von Kambé die neue Stadt Carthago (von Karthada, das ist Neustadt).
Bekannt ist die Sage, dass der libysche König der Prinzessin so viel Land- fläche zusagte, als sie mit einer Ochsenhaut umspannen könne. Dido schnitt diese in feine Streifen und umgab damit einen Hügel, auf dem sich dann Byrsa, die Festung der Carthager, erhob. Auf derselben Höhe entstand auch der Palast, auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0318"n="298"/><fwplace="top"type="header">Das Mittelmeerbecken.</fw><lb/>
aus dessen Schluchten die Carthager das Wasser zuleiteten, gleichwie<lb/>
dies gegenwärtig für Tunis geschieht. Westwärts blinkt, durch den<lb/>
weiten Bahira-See von der Küste getrennt, die von einigen Hügeln<lb/>
umgebene weisse Masse der Stadt Tunis uns entgegen. Man glaubt<lb/>
einen Marmorbruch zu erblicken, so unregelmässig und verworren<lb/>
erscheint von der Ferne das Bild dieser interessanten Stadt. Sie führt<lb/>
denn auch den Namen „die Weisse“; die Araber erschöpften die<lb/>
bilderreiche Sprache ihrer Heimat, um die herrlichsten und weihe-<lb/>
vollsten Beinamen der Stadt zu verleihen. Tunis ist für sie „die Ruhm-<lb/>
reiche“, „der Aufenthalt des Glückes“, „der weisse Burnus des<lb/>
Propheten“ u. dgl. Den Vordergrund nimmt Goletta in hübscher Lage<lb/>
ein, und nordwärts desselben zieren reizende Paläste, Villen und Gärten<lb/>
den Küstensaum gegen Cap Carthago zu. Dort bei dem anmuthigen<lb/>
Orte Sidi-bu-Said fällt das Hochplateau, auf dem die glänzende Welt-<lb/>
stadt lag, zum Meere ab. Eine markante Erhöhung daselbst, dort wo<lb/>
die Capelle und Kathedrale St. Louis in die Ferne sieht, ist der Ort,<lb/>
auf dem die Feste Byrsa stand und die schöne Dido lebte. Dort starb<lb/>
auch der heilige Ludwig.</p><lb/><p>Wie man Tunis nicht betrachten kann, ohne die Höhe von<lb/>
Carthago mit dem Auge zu streifen, ebenso wenig vermag man von<lb/>
der Hauptstadt der Regentschaft zu schreiben, ohne die entschwundene<lb/>
Königin der Meere zu nennen. Die Schicksale beider Städte sind in<lb/>
deren ersten Perioden innig miteinander verknüpft.</p><lb/><p>Die älteste Kunde über die Colonisation der nordafrikanischen Küste gibt<lb/>
uns die Heilige Schrift, nach welcher asiatische Völkerstämme über Egypten dahin<lb/>
vordrangen. Die Berbern, Tunesen und algerischen Kabylen sind die Nachkommen<lb/>
dieser Colonisten. Dem politischen Geiste der Phönikier (Sidon) entstammten das<lb/>
Reich Libyen und viele blühende Colonien, wie Kambé, die Vorgängerin von Carthago,<lb/>
dann das als Tripolis benannte Gebiet der drei Städte Leptis, Oea und Sabratha<lb/>
(„Markt“) u. a. m.</p><lb/><p>Als in der Folge Tyrus zu Macht und Ueberfluss gedieh, vollendete es die<lb/>
Besiedlung der afrikanischen Küstengebiete durch die Gründung von Hippo Zarytus<lb/>
(Bizerta), Utica, Tunes, Insel Cossyra, Hadrumetum, Tapsus u. a., sämmtlich an der<lb/>
heutigen tunesischen Küste gelegen.</p><lb/><p>Von Tyrus ging 846 v. Chr. auch die Gründung Carthagos aus, der Sage<lb/>
nach das Werk einer Frau. Die schöne phönikische Prinzessin Elissa (Dido) lan-<lb/>
dete mit Colonisten in der Nähe von Utica und erbaute auf den Ruinen von<lb/>
Kambé die neue Stadt Carthago (von Karthada, das ist Neustadt).</p><lb/><p>Bekannt ist die Sage, dass der libysche König der Prinzessin so viel Land-<lb/>
fläche zusagte, als sie mit einer Ochsenhaut umspannen könne. Dido schnitt diese<lb/>
in feine Streifen und umgab damit einen Hügel, auf dem sich dann Byrsa, die<lb/>
Festung der Carthager, erhob. Auf derselben Höhe entstand auch der Palast, auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[298/0318]
Das Mittelmeerbecken.
aus dessen Schluchten die Carthager das Wasser zuleiteten, gleichwie
dies gegenwärtig für Tunis geschieht. Westwärts blinkt, durch den
weiten Bahira-See von der Küste getrennt, die von einigen Hügeln
umgebene weisse Masse der Stadt Tunis uns entgegen. Man glaubt
einen Marmorbruch zu erblicken, so unregelmässig und verworren
erscheint von der Ferne das Bild dieser interessanten Stadt. Sie führt
denn auch den Namen „die Weisse“; die Araber erschöpften die
bilderreiche Sprache ihrer Heimat, um die herrlichsten und weihe-
vollsten Beinamen der Stadt zu verleihen. Tunis ist für sie „die Ruhm-
reiche“, „der Aufenthalt des Glückes“, „der weisse Burnus des
Propheten“ u. dgl. Den Vordergrund nimmt Goletta in hübscher Lage
ein, und nordwärts desselben zieren reizende Paläste, Villen und Gärten
den Küstensaum gegen Cap Carthago zu. Dort bei dem anmuthigen
Orte Sidi-bu-Said fällt das Hochplateau, auf dem die glänzende Welt-
stadt lag, zum Meere ab. Eine markante Erhöhung daselbst, dort wo
die Capelle und Kathedrale St. Louis in die Ferne sieht, ist der Ort,
auf dem die Feste Byrsa stand und die schöne Dido lebte. Dort starb
auch der heilige Ludwig.
Wie man Tunis nicht betrachten kann, ohne die Höhe von
Carthago mit dem Auge zu streifen, ebenso wenig vermag man von
der Hauptstadt der Regentschaft zu schreiben, ohne die entschwundene
Königin der Meere zu nennen. Die Schicksale beider Städte sind in
deren ersten Perioden innig miteinander verknüpft.
Die älteste Kunde über die Colonisation der nordafrikanischen Küste gibt
uns die Heilige Schrift, nach welcher asiatische Völkerstämme über Egypten dahin
vordrangen. Die Berbern, Tunesen und algerischen Kabylen sind die Nachkommen
dieser Colonisten. Dem politischen Geiste der Phönikier (Sidon) entstammten das
Reich Libyen und viele blühende Colonien, wie Kambé, die Vorgängerin von Carthago,
dann das als Tripolis benannte Gebiet der drei Städte Leptis, Oea und Sabratha
(„Markt“) u. a. m.
Als in der Folge Tyrus zu Macht und Ueberfluss gedieh, vollendete es die
Besiedlung der afrikanischen Küstengebiete durch die Gründung von Hippo Zarytus
(Bizerta), Utica, Tunes, Insel Cossyra, Hadrumetum, Tapsus u. a., sämmtlich an der
heutigen tunesischen Küste gelegen.
Von Tyrus ging 846 v. Chr. auch die Gründung Carthagos aus, der Sage
nach das Werk einer Frau. Die schöne phönikische Prinzessin Elissa (Dido) lan-
dete mit Colonisten in der Nähe von Utica und erbaute auf den Ruinen von
Kambé die neue Stadt Carthago (von Karthada, das ist Neustadt).
Bekannt ist die Sage, dass der libysche König der Prinzessin so viel Land-
fläche zusagte, als sie mit einer Ochsenhaut umspannen könne. Dido schnitt diese
in feine Streifen und umgab damit einen Hügel, auf dem sich dann Byrsa, die
Festung der Carthager, erhob. Auf derselben Höhe entstand auch der Palast, auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/318>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.