und an den Küsten Grönlands sowie der Neu-England-Staaten ver- gängliche Ansiedlungen gründeten. Den Handel treibenden Cultur- völkern jener Zeit und ihren Nachkommen blieben diese Thaten der kühnen Normänner unbekannt, den praktischen Erfolgen nach waren sie für die Menschheit so gut wie nie gethan.
Während des ganzen Mittelalters war die Lage am atlantischen Gestade für die Anwohner kein Vortheil, keine Schicksalsgunst, sondern eine Erschwerung ihrer Existenz, sie lagen eben abseits von der Heerstrasse des damaligen Welthandels. Erst im Zeitalter der Entdeckungen, seit dem XIV. Jahrhundert also wichen Scheu und Unkenntniss von dem Unternehmungsgeiste der Italiener, Portugiesen und Spanier.
Südeuropäische Seefahrer entdeckten die canarischen Inseln. Madeira, die Azoren, der Infant Heinrich der Seefahrer regte die Erforschung der Westküsten Afrikas an, und schon beschäftigten sich Theoretiker wie Praktiker mit den zwei grössten Problemen der Nautik: mit der Umschiffung Afrikas und der Möglichkeit, die Ost- küsten Asiens, der allein bekannten alten Welt, direct vom atlan- tischen Ocean aus zu erreichen.
Die Lösung des ersten Problems, für welches der atlantische Ocean eben eine unvermeidliche Passage war, und die Ueberraschun- gen, welche das zweite Problem mit sich brachte, bewirkten die ungeheuere Schicksalswende nicht allein in der Geschichte des Welt- handels, sondern ganz besonders in der Geschichte des atlantischen Meeres und seiner Uferstaaten.
Die grossen Namen Christoforo Colombo, Vasco de Gama Cabral, Cabot, Magelhaens u. s. w. mögen hier für ihre Thaten stehen.
Mit dem XVI. Jahrhundert tritt der atlantische Ocean aus seiner Vorgeschichte in seine geschichtliche Zeit ein, die den er- freulichen Anblick eines ununterbrochenen Fortschrittes darbietet; der Schwerpunkt seiner Bedeutung liegt seit jeher im Norden, wo er die cultivirtesten Erdtheile der alten und neuen Welt verbindet. Jedes Schiff, das von Europa abfährt oder nach Europa segelt, muss ihn passiren; drei Viertheile von Europa, die Nil-, Niger- und Congo- länder in Afrika und die Länder am Lorenzo, Mississippi, Orinoco, Amazonas und la Plata sind durch die gleichnamigen Flüsse vom atlantischen Oceane aus in der mannigfachsten Verzweigung auf Tau- sende von Meilen zugänglich. Auf Grund dieser geographischen Vor- züge gegenüber dem Indischen oder Stillen hat sich der buchten-
Der atlantische Ocean.
und an den Küsten Grönlands sowie der Neu-England-Staaten ver- gängliche Ansiedlungen gründeten. Den Handel treibenden Cultur- völkern jener Zeit und ihren Nachkommen blieben diese Thaten der kühnen Normänner unbekannt, den praktischen Erfolgen nach waren sie für die Menschheit so gut wie nie gethan.
Während des ganzen Mittelalters war die Lage am atlantischen Gestade für die Anwohner kein Vortheil, keine Schicksalsgunst, sondern eine Erschwerung ihrer Existenz, sie lagen eben abseits von der Heerstrasse des damaligen Welthandels. Erst im Zeitalter der Entdeckungen, seit dem XIV. Jahrhundert also wichen Scheu und Unkenntniss von dem Unternehmungsgeiste der Italiener, Portugiesen und Spanier.
Südeuropäische Seefahrer entdeckten die canarischen Inseln. Madeira, die Azoren, der Infant Heinrich der Seefahrer regte die Erforschung der Westküsten Afrikas an, und schon beschäftigten sich Theoretiker wie Praktiker mit den zwei grössten Problemen der Nautik: mit der Umschiffung Afrikas und der Möglichkeit, die Ost- küsten Asiens, der allein bekannten alten Welt, direct vom atlan- tischen Ocean aus zu erreichen.
Die Lösung des ersten Problems, für welches der atlantische Ocean eben eine unvermeidliche Passage war, und die Ueberraschun- gen, welche das zweite Problem mit sich brachte, bewirkten die ungeheuere Schicksalswende nicht allein in der Geschichte des Welt- handels, sondern ganz besonders in der Geschichte des atlantischen Meeres und seiner Uferstaaten.
Die grossen Namen Christoforo Colombo, Vasco de Gama Cabral, Cabot, Magelhaens u. s. w. mögen hier für ihre Thaten stehen.
Mit dem XVI. Jahrhundert tritt der atlantische Ocean aus seiner Vorgeschichte in seine geschichtliche Zeit ein, die den er- freulichen Anblick eines ununterbrochenen Fortschrittes darbietet; der Schwerpunkt seiner Bedeutung liegt seit jeher im Norden, wo er die cultivirtesten Erdtheile der alten und neuen Welt verbindet. Jedes Schiff, das von Europa abfährt oder nach Europa segelt, muss ihn passiren; drei Viertheile von Europa, die Nil-, Niger- und Congo- länder in Afrika und die Länder am Lorenzo, Mississippi, Orinoco, Amazonas und la Plata sind durch die gleichnamigen Flüsse vom atlantischen Oceane aus in der mannigfachsten Verzweigung auf Tau- sende von Meilen zugänglich. Auf Grund dieser geographischen Vor- züge gegenüber dem Indischen oder Stillen hat sich der buchten-
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Der atlantische Ocean.
und an den Küsten Grönlands sowie der Neu-England-Staaten ver-
gängliche Ansiedlungen gründeten. Den Handel treibenden Cultur-
völkern jener Zeit und ihren Nachkommen blieben diese Thaten der
kühnen Normänner unbekannt, den praktischen Erfolgen nach waren
sie für die Menschheit so gut wie nie gethan.
Während des ganzen Mittelalters war die Lage am atlantischen
Gestade für die Anwohner kein Vortheil, keine Schicksalsgunst,
sondern eine Erschwerung ihrer Existenz, sie lagen eben abseits von
der Heerstrasse des damaligen Welthandels. Erst im Zeitalter der
Entdeckungen, seit dem XIV. Jahrhundert also wichen Scheu und
Unkenntniss von dem Unternehmungsgeiste der Italiener, Portugiesen
und Spanier.
Südeuropäische Seefahrer entdeckten die canarischen Inseln.
Madeira, die Azoren, der Infant Heinrich der Seefahrer regte die
Erforschung der Westküsten Afrikas an, und schon beschäftigten sich
Theoretiker wie Praktiker mit den zwei grössten Problemen der
Nautik: mit der Umschiffung Afrikas und der Möglichkeit, die Ost-
küsten Asiens, der allein bekannten alten Welt, direct vom atlan-
tischen Ocean aus zu erreichen.
Die Lösung des ersten Problems, für welches der atlantische
Ocean eben eine unvermeidliche Passage war, und die Ueberraschun-
gen, welche das zweite Problem mit sich brachte, bewirkten die
ungeheuere Schicksalswende nicht allein in der Geschichte des Welt-
handels, sondern ganz besonders in der Geschichte des atlantischen
Meeres und seiner Uferstaaten.
Die grossen Namen Christoforo Colombo, Vasco de Gama
Cabral, Cabot, Magelhaens u. s. w. mögen hier für ihre Thaten
stehen.
Mit dem XVI. Jahrhundert tritt der atlantische Ocean aus
seiner Vorgeschichte in seine geschichtliche Zeit ein, die den er-
freulichen Anblick eines ununterbrochenen Fortschrittes darbietet; der
Schwerpunkt seiner Bedeutung liegt seit jeher im Norden, wo er die
cultivirtesten Erdtheile der alten und neuen Welt verbindet. Jedes
Schiff, das von Europa abfährt oder nach Europa segelt, muss ihn
passiren; drei Viertheile von Europa, die Nil-, Niger- und Congo-
länder in Afrika und die Länder am Lorenzo, Mississippi, Orinoco,
Amazonas und la Plata sind durch die gleichnamigen Flüsse vom
atlantischen Oceane aus in der mannigfachsten Verzweigung auf Tau-
sende von Meilen zugänglich. Auf Grund dieser geographischen Vor-
züge gegenüber dem Indischen oder Stillen hat sich der buchten-
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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