Der Gegenwart entrückt, taucht der Gedanke gern zurück in die Tiefe der Vergangenheit, in völlig classische Räume der unend- lichen Zeit. Der Blick fällt unwillkürlich auf die euganeischen Hügel, die mit dem rundlich geformten Monte Venda am meisten gegen Süden vorspringen.
Dort lag an der Stelle des heutigen Padua das uralte Patavium, dessen Gründung der Mythe nach dem trojanischen Antenor zuge- schrieben wird, jenem bei Homer zum Frieden drängenden Greise, den eine spätere Sage zum Verräther an Troja werden und nach dem grauenvollen Untergange der Feste fluchbeladen weit hinweg nach Italien wandern lässt. Wie drängt diese Erinnerung eine andere näher- liegende auf, nämlich an den Sturz der alten Republik Venedig, den ebenfalls Verrath herbeiführte. So finden hier graues Alterthum und neue Zeit einen wenig anmuthenden Berührungspunkt. Wie entehrend der Vaterlandsverrath immerdar gebrandmarkt ist, er schleicht doch als eine bleibende Erscheinung durch die Geschichte der Menschheit.
Der Anblick der euganeischen Hügel erweckt den Gedanken an Livius, den classischen Historiker, dessen Wiege die dunklen Wälder der Fons Aponi, des heutigen Badeortes Abano, beschatteten, und über den Monti Berici erscheint uns das geistige Bild eines der be- rühmten Führer des Cinque Cento, Andrea Palladio's, der nicht nur seine Vaterstadt Vicenza durch seine besten Prachtbauten schmückte und ihr ein einheitliches, festliches Gepräge verlieh, das Goethe's Be- wunderung errang, sondern dessen herrliche Werke auch zu reichen Zierden der italienischen Kunstmetropolen geworden sind.
Mit Palladio entrollt sich wie eine herrliche Vision das gestalten- reiche Bild der Geistesheroen, die als Söhne der jungfräulichen Dogen- stadt die Welt der Farben belebten und den Ruhm Venedigs häuften. Voran Tizian, der unerschöpfliche geniale Hauptmeister der venetia- nischen Schule, Tintoretto, der unübertroffene Prunkmaler, Paolo Veronese, die beiden Palma u. a., deren Werke eine Glanzepoche der Kunst bezeichnen.
Neben den Vertretern des Cinque Cento erscheinen die Tiepolo, Canale und Canaletto als Repräsentanten der Kunstrichtung des XVIII. Jahrhunderts.
Wie erweitert die Nennung solcher Namen die einstige Bedeu- tung der Lagunenstadt, wie gross und gewaltig stellt das Dominium des gold'nen Markuslöwen allein schon am Massstabe seiner Kunst- grösse sich dar! Es glänzen denn auch neben den Meistern der Kunst die grosse Zahl hervorragender Regenten, Heerführer, bewährter
Das Mittelmeerbecken.
Der Gegenwart entrückt, taucht der Gedanke gern zurück in die Tiefe der Vergangenheit, in völlig classische Räume der unend- lichen Zeit. Der Blick fällt unwillkürlich auf die euganeischen Hügel, die mit dem rundlich geformten Monte Venda am meisten gegen Süden vorspringen.
Dort lag an der Stelle des heutigen Padua das uralte Patavium, dessen Gründung der Mythe nach dem trojanischen Antenor zuge- schrieben wird, jenem bei Homer zum Frieden drängenden Greise, den eine spätere Sage zum Verräther an Troja werden und nach dem grauenvollen Untergange der Feste fluchbeladen weit hinweg nach Italien wandern lässt. Wie drängt diese Erinnerung eine andere näher- liegende auf, nämlich an den Sturz der alten Republik Venedig, den ebenfalls Verrath herbeiführte. So finden hier graues Alterthum und neue Zeit einen wenig anmuthenden Berührungspunkt. Wie entehrend der Vaterlandsverrath immerdar gebrandmarkt ist, er schleicht doch als eine bleibende Erscheinung durch die Geschichte der Menschheit.
Der Anblick der euganeischen Hügel erweckt den Gedanken an Livius, den classischen Historiker, dessen Wiege die dunklen Wälder der Fons Aponi, des heutigen Badeortes Abano, beschatteten, und über den Monti Berici erscheint uns das geistige Bild eines der be- rühmten Führer des Cinque Cento, Andrea Palladio’s, der nicht nur seine Vaterstadt Vicenza durch seine besten Prachtbauten schmückte und ihr ein einheitliches, festliches Gepräge verlieh, das Goethe’s Be- wunderung errang, sondern dessen herrliche Werke auch zu reichen Zierden der italienischen Kunstmetropolen geworden sind.
Mit Palladio entrollt sich wie eine herrliche Vision das gestalten- reiche Bild der Geistesheroen, die als Söhne der jungfräulichen Dogen- stadt die Welt der Farben belebten und den Ruhm Venedigs häuften. Voran Tizian, der unerschöpfliche geniale Hauptmeister der venetia- nischen Schule, Tintoretto, der unübertroffene Prunkmaler, Paolo Veronese, die beiden Palma u. a., deren Werke eine Glanzepoche der Kunst bezeichnen.
Neben den Vertretern des Cinque Cento erscheinen die Tiepolo, Canale und Canaletto als Repräsentanten der Kunstrichtung des XVIII. Jahrhunderts.
Wie erweitert die Nennung solcher Namen die einstige Bedeu- tung der Lagunenstadt, wie gross und gewaltig stellt das Dominium des gold’nen Markuslöwen allein schon am Massstabe seiner Kunst- grösse sich dar! Es glänzen denn auch neben den Meistern der Kunst die grosse Zahl hervorragender Regenten, Heerführer, bewährter
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[32/0052]
Das Mittelmeerbecken.
Der Gegenwart entrückt, taucht der Gedanke gern zurück in
die Tiefe der Vergangenheit, in völlig classische Räume der unend-
lichen Zeit. Der Blick fällt unwillkürlich auf die euganeischen Hügel,
die mit dem rundlich geformten Monte Venda am meisten gegen Süden
vorspringen.
Dort lag an der Stelle des heutigen Padua das uralte Patavium,
dessen Gründung der Mythe nach dem trojanischen Antenor zuge-
schrieben wird, jenem bei Homer zum Frieden drängenden Greise, den
eine spätere Sage zum Verräther an Troja werden und nach dem
grauenvollen Untergange der Feste fluchbeladen weit hinweg nach
Italien wandern lässt. Wie drängt diese Erinnerung eine andere näher-
liegende auf, nämlich an den Sturz der alten Republik Venedig, den
ebenfalls Verrath herbeiführte. So finden hier graues Alterthum und
neue Zeit einen wenig anmuthenden Berührungspunkt. Wie entehrend
der Vaterlandsverrath immerdar gebrandmarkt ist, er schleicht doch
als eine bleibende Erscheinung durch die Geschichte der Menschheit.
Der Anblick der euganeischen Hügel erweckt den Gedanken an
Livius, den classischen Historiker, dessen Wiege die dunklen Wälder
der Fons Aponi, des heutigen Badeortes Abano, beschatteten, und
über den Monti Berici erscheint uns das geistige Bild eines der be-
rühmten Führer des Cinque Cento, Andrea Palladio’s, der nicht nur
seine Vaterstadt Vicenza durch seine besten Prachtbauten schmückte
und ihr ein einheitliches, festliches Gepräge verlieh, das Goethe’s Be-
wunderung errang, sondern dessen herrliche Werke auch zu reichen
Zierden der italienischen Kunstmetropolen geworden sind.
Mit Palladio entrollt sich wie eine herrliche Vision das gestalten-
reiche Bild der Geistesheroen, die als Söhne der jungfräulichen Dogen-
stadt die Welt der Farben belebten und den Ruhm Venedigs häuften.
Voran Tizian, der unerschöpfliche geniale Hauptmeister der venetia-
nischen Schule, Tintoretto, der unübertroffene Prunkmaler, Paolo
Veronese, die beiden Palma u. a., deren Werke eine Glanzepoche
der Kunst bezeichnen.
Neben den Vertretern des Cinque Cento erscheinen die Tiepolo,
Canale und Canaletto als Repräsentanten der Kunstrichtung des XVIII.
Jahrhunderts.
Wie erweitert die Nennung solcher Namen die einstige Bedeu-
tung der Lagunenstadt, wie gross und gewaltig stellt das Dominium
des gold’nen Markuslöwen allein schon am Massstabe seiner Kunst-
grösse sich dar! Es glänzen denn auch neben den Meistern der Kunst
die grosse Zahl hervorragender Regenten, Heerführer, bewährter
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/52>, abgerufen am 21.11.2024.
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