die herangebrauste Sturmflut zusammenschlug. Einige Jahre später, als die Arbeiten dort aufgenommen wurden, fand man nicht eine Spur der früheren Fundamente, nicht ein Zeichen der ungezählten Opfer jener entsetzlichen Katastrophe.
Ostwärts begrenzt den Platz das grosse Zollamt (Alfandega), im Westen aber das Seearsenal der Kriegsmarine, wo auch das Co- lonialmuseum Platz gefunden hat.
Längs des nördlichen Tejostrandes dehnen sich die Häuser- massen in regelmässiger Anordnung über die Abhänge der Höhen oder an der Sohle von Thälern; Gärten und Anlagen mit frischem Baumschmucke bilden eine wohlthuende Unterbrechung des endlos scheinenden Häusermeeres, in welchem zahlreiche Klöster und Kirchen durch Form und Grösse hervortreten. Charakteristisch im Gesammt- bilde der Stadt ist das fast gänzliche Fehlen bedeutender Thürme, denn die Furcht vor einer Wiederholung des Erdbebens hat seit mehr als einem Jahrhundert von der Erbauung höherer Thürme ab- gehalten.
Indes scheint man doch dem Wagnisse zuzuneigen und begann einzelne Kirchen, wie die weit sichtbare Egreja da Estrella und andere mit mässig hohen Thürmen, ja sogar mit Kuppeln zu schmücken.
Auf einer flachen Landzunge im Westen erhebt sich S. Vicente de Belem mit dem gewaltigen Thurme eines der malerischesten Ob- jecte an den Ufern des Tejo. Einst im Flusse selbst erbaut, gehört Belem infolge massenhafter Anschwemmung nun dem Festlande an. Es wurde während der Regierung Dom Manoel's erbaut und diente ehemals als Staatsgefängniss. Heute aber enthält das umfangreiche, im maurisch-gothischen Style gebaute feste Schloss die Bureaux einiger Departements des Seedienstes, dann eine Marineschule, Maga- zine u. dgl.
Auf seiner Plattform, welche als Aussichtspunkt genannt zu werden verdient, ist ein herrlicher Leuchtapparat installirt.
In der Nähe der Belemspitze hat sich die Vorstadt Belem an- gesiedelt, über welcher der imposante königliche Marmorpalast (Paco Real d'Adjuda) inmitten prächtiger Anlagen erglänzt. Eine breite Strasse führt von dort herab zu der am Strande schön gelegenen Praca de D. Fernando, in deren Nähe das königliche Lustschloss Quinta de Baixo in einem Parke sich erhebt, in welchem einstens eine Mena- gerie unterhalten wurde.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 67
Lissabon.
die herangebrauste Sturmflut zusammenschlug. Einige Jahre später, als die Arbeiten dort aufgenommen wurden, fand man nicht eine Spur der früheren Fundamente, nicht ein Zeichen der ungezählten Opfer jener entsetzlichen Katastrophe.
Ostwärts begrenzt den Platz das grosse Zollamt (Alfandega), im Westen aber das Seearsenal der Kriegsmarine, wo auch das Co- lonialmuseum Platz gefunden hat.
Längs des nördlichen Tejostrandes dehnen sich die Häuser- massen in regelmässiger Anordnung über die Abhänge der Höhen oder an der Sohle von Thälern; Gärten und Anlagen mit frischem Baumschmucke bilden eine wohlthuende Unterbrechung des endlos scheinenden Häusermeeres, in welchem zahlreiche Klöster und Kirchen durch Form und Grösse hervortreten. Charakteristisch im Gesammt- bilde der Stadt ist das fast gänzliche Fehlen bedeutender Thürme, denn die Furcht vor einer Wiederholung des Erdbebens hat seit mehr als einem Jahrhundert von der Erbauung höherer Thürme ab- gehalten.
Indes scheint man doch dem Wagnisse zuzuneigen und begann einzelne Kirchen, wie die weit sichtbare Egreja da Estrella und andere mit mässig hohen Thürmen, ja sogar mit Kuppeln zu schmücken.
Auf einer flachen Landzunge im Westen erhebt sich S. Vicente de Belem mit dem gewaltigen Thurme eines der malerischesten Ob- jecte an den Ufern des Tejo. Einst im Flusse selbst erbaut, gehört Belem infolge massenhafter Anschwemmung nun dem Festlande an. Es wurde während der Regierung Dom Manoel’s erbaut und diente ehemals als Staatsgefängniss. Heute aber enthält das umfangreiche, im maurisch-gothischen Style gebaute feste Schloss die Bureaux einiger Departements des Seedienstes, dann eine Marineschule, Maga- zine u. dgl.
Auf seiner Plattform, welche als Aussichtspunkt genannt zu werden verdient, ist ein herrlicher Leuchtapparat installirt.
In der Nähe der Belemspitze hat sich die Vorstadt Belem an- gesiedelt, über welcher der imposante königliche Marmorpalast (Paço Real d’Adjuda) inmitten prächtiger Anlagen erglänzt. Eine breite Strasse führt von dort herab zu der am Strande schön gelegenen Praça de D. Fernando, in deren Nähe das königliche Lustschloss Quinta de Baixo in einem Parke sich erhebt, in welchem einstens eine Mena- gerie unterhalten wurde.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 67
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Lissabon.
die herangebrauste Sturmflut zusammenschlug. Einige Jahre später,
als die Arbeiten dort aufgenommen wurden, fand man nicht eine
Spur der früheren Fundamente, nicht ein Zeichen der ungezählten
Opfer jener entsetzlichen Katastrophe.
Ostwärts begrenzt den Platz das grosse Zollamt (Alfandega),
im Westen aber das Seearsenal der Kriegsmarine, wo auch das Co-
lonialmuseum Platz gefunden hat.
Längs des nördlichen Tejostrandes dehnen sich die Häuser-
massen in regelmässiger Anordnung über die Abhänge der Höhen
oder an der Sohle von Thälern; Gärten und Anlagen mit frischem
Baumschmucke bilden eine wohlthuende Unterbrechung des endlos
scheinenden Häusermeeres, in welchem zahlreiche Klöster und Kirchen
durch Form und Grösse hervortreten. Charakteristisch im Gesammt-
bilde der Stadt ist das fast gänzliche Fehlen bedeutender Thürme,
denn die Furcht vor einer Wiederholung des Erdbebens hat seit
mehr als einem Jahrhundert von der Erbauung höherer Thürme ab-
gehalten.
Indes scheint man doch dem Wagnisse zuzuneigen und begann
einzelne Kirchen, wie die weit sichtbare Egreja da Estrella und
andere mit mässig hohen Thürmen, ja sogar mit Kuppeln zu
schmücken.
Auf einer flachen Landzunge im Westen erhebt sich S. Vicente
de Belem mit dem gewaltigen Thurme eines der malerischesten Ob-
jecte an den Ufern des Tejo. Einst im Flusse selbst erbaut, gehört
Belem infolge massenhafter Anschwemmung nun dem Festlande an.
Es wurde während der Regierung Dom Manoel’s erbaut und diente
ehemals als Staatsgefängniss. Heute aber enthält das umfangreiche,
im maurisch-gothischen Style gebaute feste Schloss die Bureaux
einiger Departements des Seedienstes, dann eine Marineschule, Maga-
zine u. dgl.
Auf seiner Plattform, welche als Aussichtspunkt genannt zu
werden verdient, ist ein herrlicher Leuchtapparat installirt.
In der Nähe der Belemspitze hat sich die Vorstadt Belem an-
gesiedelt, über welcher der imposante königliche Marmorpalast (Paço
Real d’Adjuda) inmitten prächtiger Anlagen erglänzt. Eine breite
Strasse führt von dort herab zu der am Strande schön gelegenen Praça
de D. Fernando, in deren Nähe das königliche Lustschloss Quinta de
Baixo in einem Parke sich erhebt, in welchem einstens eine Mena-
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/549>, abgerufen am 22.11.2024.
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