Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Antwerpen.
berühmten Vaterstadt der unsterblichen Rubens und Van Dyck, deren
Namen nicht wenig dazu beitrugen, Antwerpen mit blendendem Glanze
zu erfüllen.

Als aufstrebende Erbin des einst mächtigen Brügge sah Antwerpen
mit dem Wohlstande auch die Kunstliebe bei sich einziehen und ward
während seiner ersten Glanzperiode (XV.--XVII. Jahrhundert) der
Vereinigungspunkt des industriellen und künstlerischen Lebens der
Niederlande. Die jener Zeit entstammenden Meisterwerke der Bau-
kunst: die herrliche gothische Kathedrale mit dem kühn aufragenden
Thurm, der Renaissancebau des Rathhauses, die St. Paulskirche, die
Fleischhalle, die Jakobskirche und viele andere Baudenkmäler, dann
die in den Museen überreich aufgestapelten Kunstwerke der Malerei
und Plastik erregen die Bewunderung des Beschauers. Antwerpen
konnte damals als industrielle Hochschule für ganz Europa gelten,
hier blühten die Diamantschleiferei, die Glasmalerei, die Spitzen- und
Teppichweberei, die Schönfärberei, die Druckerei und andere Industrien.
Antwerpen versorgte die Niederlande und andere Länder mit berühmten
Glockenspielen; seine Erzeugnisse in Stoffen, Gold- und Silberwaaren
fanden den Weg nach Arabien, Persien und Indien.

Die damalige Herrlichkeit Antwerpens fand ihr jähes Ende
durch den Abfall der nördlichen Niederlande. Die Mündungen der
Schelde fielen den Holländern zu und wurden von diesem kalt be-
rechnenden Handelsvolke für Antwerpen bis zu Anfang unseres Jahr-
hunderts auf das strengste gesperrt. Damit war die nährende Ader
unterbunden, und die 100.000 Einwohner zählende Stadt verfiel zu
einer Provinzstadt mit kaum 40.000 Bewohnern (1800).

Länger als seine Handelsblüthe hatte sich jedoch Antwerpens
Bedeutung in der Kunst erhalten, die in neuerer Zeit aus dem Nieder-
gange, welchem sie ausgesetzt war, wieder zu neuer Kraft auflebte.

Auch der riesige Wiederaufschwung seines Handels ist eine Er-
scheinung der neueren Zeit, eine Erscheinung, welche das äussere Bild
der Stadt und des Hafens in überraschendster Weise veränderte.

Welch herrliches Bild kraftvollsten Lebens entrollt sich vor
uns, wenn wir an der letzten scharfen Biegung der Schelde, die
nördlichsten Bastionen der Befestigung zur Linken lassend, dem Hafen
uns nähern. Eine endlos scheinende Masse von Schiffen aller Nationen
der Erde nimmt die Quais ein; der traditionelle Mastenwald liegt
vor uns, wir sehen sein Gewirre über Wällen und Häusern aus dem
Labyrinth der weitläufigen Bassins im Nordtheile der Stadt empor-
ragen, wir erblicken ihn längs der fast 4 km langen Quaifront wie

82*

Antwerpen.
berühmten Vaterstadt der unsterblichen Rubens und Van Dyck, deren
Namen nicht wenig dazu beitrugen, Antwerpen mit blendendem Glanze
zu erfüllen.

Als aufstrebende Erbin des einst mächtigen Brügge sah Antwerpen
mit dem Wohlstande auch die Kunstliebe bei sich einziehen und ward
während seiner ersten Glanzperiode (XV.—XVII. Jahrhundert) der
Vereinigungspunkt des industriellen und künstlerischen Lebens der
Niederlande. Die jener Zeit entstammenden Meisterwerke der Bau-
kunst: die herrliche gothische Kathedrale mit dem kühn aufragenden
Thurm, der Renaissancebau des Rathhauses, die St. Paulskirche, die
Fleischhalle, die Jakobskirche und viele andere Baudenkmäler, dann
die in den Museen überreich aufgestapelten Kunstwerke der Malerei
und Plastik erregen die Bewunderung des Beschauers. Antwerpen
konnte damals als industrielle Hochschule für ganz Europa gelten,
hier blühten die Diamantschleiferei, die Glasmalerei, die Spitzen- und
Teppichweberei, die Schönfärberei, die Druckerei und andere Industrien.
Antwerpen versorgte die Niederlande und andere Länder mit berühmten
Glockenspielen; seine Erzeugnisse in Stoffen, Gold- und Silberwaaren
fanden den Weg nach Arabien, Persien und Indien.

Die damalige Herrlichkeit Antwerpens fand ihr jähes Ende
durch den Abfall der nördlichen Niederlande. Die Mündungen der
Schelde fielen den Holländern zu und wurden von diesem kalt be-
rechnenden Handelsvolke für Antwerpen bis zu Anfang unseres Jahr-
hunderts auf das strengste gesperrt. Damit war die nährende Ader
unterbunden, und die 100.000 Einwohner zählende Stadt verfiel zu
einer Provinzstadt mit kaum 40.000 Bewohnern (1800).

Länger als seine Handelsblüthe hatte sich jedoch Antwerpens
Bedeutung in der Kunst erhalten, die in neuerer Zeit aus dem Nieder-
gange, welchem sie ausgesetzt war, wieder zu neuer Kraft auflebte.

Auch der riesige Wiederaufschwung seines Handels ist eine Er-
scheinung der neueren Zeit, eine Erscheinung, welche das äussere Bild
der Stadt und des Hafens in überraschendster Weise veränderte.

Welch herrliches Bild kraftvollsten Lebens entrollt sich vor
uns, wenn wir an der letzten scharfen Biegung der Schelde, die
nördlichsten Bastionen der Befestigung zur Linken lassend, dem Hafen
uns nähern. Eine endlos scheinende Masse von Schiffen aller Nationen
der Erde nimmt die Quais ein; der traditionelle Mastenwald liegt
vor uns, wir sehen sein Gewirre über Wällen und Häusern aus dem
Labyrinth der weitläufigen Bassins im Nordtheile der Stadt empor-
ragen, wir erblicken ihn längs der fast 4 km langen Quaifront wie

82*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0671" n="651"/><fw place="top" type="header">Antwerpen.</fw><lb/>
berühmten Vaterstadt der unsterblichen Rubens und Van Dyck, deren<lb/>
Namen nicht wenig dazu beitrugen, Antwerpen mit blendendem Glanze<lb/>
zu erfüllen.</p><lb/>
          <p>Als aufstrebende Erbin des einst mächtigen Brügge sah Antwerpen<lb/>
mit dem Wohlstande auch die Kunstliebe bei sich einziehen und ward<lb/>
während seiner ersten Glanzperiode (XV.&#x2014;XVII. Jahrhundert) der<lb/>
Vereinigungspunkt des industriellen und künstlerischen Lebens der<lb/>
Niederlande. Die jener Zeit entstammenden Meisterwerke der Bau-<lb/>
kunst: die herrliche gothische Kathedrale mit dem kühn aufragenden<lb/>
Thurm, der Renaissancebau des Rathhauses, die St. Paulskirche, die<lb/>
Fleischhalle, die Jakobskirche und viele andere Baudenkmäler, dann<lb/>
die in den Museen überreich aufgestapelten Kunstwerke der Malerei<lb/>
und Plastik erregen die Bewunderung des Beschauers. Antwerpen<lb/>
konnte damals als industrielle Hochschule für ganz Europa gelten,<lb/>
hier blühten die Diamantschleiferei, die Glasmalerei, die Spitzen- und<lb/>
Teppichweberei, die Schönfärberei, die Druckerei und andere Industrien.<lb/>
Antwerpen versorgte die Niederlande und andere Länder mit berühmten<lb/>
Glockenspielen; seine Erzeugnisse in Stoffen, Gold- und Silberwaaren<lb/>
fanden den Weg nach Arabien, Persien und Indien.</p><lb/>
          <p>Die damalige Herrlichkeit Antwerpens fand ihr jähes Ende<lb/>
durch den Abfall der nördlichen Niederlande. Die Mündungen der<lb/>
Schelde fielen den Holländern zu und wurden von diesem kalt be-<lb/>
rechnenden Handelsvolke für Antwerpen bis zu Anfang unseres Jahr-<lb/>
hunderts auf das strengste gesperrt. Damit war die nährende Ader<lb/>
unterbunden, und die 100.000 Einwohner zählende Stadt verfiel zu<lb/>
einer Provinzstadt mit kaum 40.000 Bewohnern (1800).</p><lb/>
          <p>Länger als seine Handelsblüthe hatte sich jedoch Antwerpens<lb/>
Bedeutung in der Kunst erhalten, die in neuerer Zeit aus dem Nieder-<lb/>
gange, welchem sie ausgesetzt war, wieder zu neuer Kraft auflebte.</p><lb/>
          <p>Auch der riesige Wiederaufschwung seines Handels ist eine Er-<lb/>
scheinung der neueren Zeit, eine Erscheinung, welche das äussere Bild<lb/>
der Stadt und des Hafens in überraschendster Weise veränderte.</p><lb/>
          <p>Welch herrliches Bild kraftvollsten Lebens entrollt sich vor<lb/>
uns, wenn wir an der letzten scharfen Biegung der Schelde, die<lb/>
nördlichsten Bastionen der Befestigung zur Linken lassend, dem Hafen<lb/>
uns nähern. Eine endlos scheinende Masse von Schiffen aller Nationen<lb/>
der Erde nimmt die Quais ein; der traditionelle Mastenwald liegt<lb/>
vor uns, wir sehen sein Gewirre über Wällen und Häusern aus dem<lb/>
Labyrinth der weitläufigen Bassins im Nordtheile der Stadt empor-<lb/>
ragen, wir erblicken ihn längs der fast 4 <hi rendition="#i">km</hi> langen Quaifront wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">82*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[651/0671] Antwerpen. berühmten Vaterstadt der unsterblichen Rubens und Van Dyck, deren Namen nicht wenig dazu beitrugen, Antwerpen mit blendendem Glanze zu erfüllen. Als aufstrebende Erbin des einst mächtigen Brügge sah Antwerpen mit dem Wohlstande auch die Kunstliebe bei sich einziehen und ward während seiner ersten Glanzperiode (XV.—XVII. Jahrhundert) der Vereinigungspunkt des industriellen und künstlerischen Lebens der Niederlande. Die jener Zeit entstammenden Meisterwerke der Bau- kunst: die herrliche gothische Kathedrale mit dem kühn aufragenden Thurm, der Renaissancebau des Rathhauses, die St. Paulskirche, die Fleischhalle, die Jakobskirche und viele andere Baudenkmäler, dann die in den Museen überreich aufgestapelten Kunstwerke der Malerei und Plastik erregen die Bewunderung des Beschauers. Antwerpen konnte damals als industrielle Hochschule für ganz Europa gelten, hier blühten die Diamantschleiferei, die Glasmalerei, die Spitzen- und Teppichweberei, die Schönfärberei, die Druckerei und andere Industrien. Antwerpen versorgte die Niederlande und andere Länder mit berühmten Glockenspielen; seine Erzeugnisse in Stoffen, Gold- und Silberwaaren fanden den Weg nach Arabien, Persien und Indien. Die damalige Herrlichkeit Antwerpens fand ihr jähes Ende durch den Abfall der nördlichen Niederlande. Die Mündungen der Schelde fielen den Holländern zu und wurden von diesem kalt be- rechnenden Handelsvolke für Antwerpen bis zu Anfang unseres Jahr- hunderts auf das strengste gesperrt. Damit war die nährende Ader unterbunden, und die 100.000 Einwohner zählende Stadt verfiel zu einer Provinzstadt mit kaum 40.000 Bewohnern (1800). Länger als seine Handelsblüthe hatte sich jedoch Antwerpens Bedeutung in der Kunst erhalten, die in neuerer Zeit aus dem Nieder- gange, welchem sie ausgesetzt war, wieder zu neuer Kraft auflebte. Auch der riesige Wiederaufschwung seines Handels ist eine Er- scheinung der neueren Zeit, eine Erscheinung, welche das äussere Bild der Stadt und des Hafens in überraschendster Weise veränderte. Welch herrliches Bild kraftvollsten Lebens entrollt sich vor uns, wenn wir an der letzten scharfen Biegung der Schelde, die nördlichsten Bastionen der Befestigung zur Linken lassend, dem Hafen uns nähern. Eine endlos scheinende Masse von Schiffen aller Nationen der Erde nimmt die Quais ein; der traditionelle Mastenwald liegt vor uns, wir sehen sein Gewirre über Wällen und Häusern aus dem Labyrinth der weitläufigen Bassins im Nordtheile der Stadt empor- ragen, wir erblicken ihn längs der fast 4 km langen Quaifront wie 82*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/671
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/671>, abgerufen am 16.07.2024.