Die moderne Zeit mit ihren Ansprüchen und Veränderungen vermochte nur in geringem Masse die Erinnerungen an die alte Herrlichkeit der freien Hansastadt Lübeck zu verwischen. Noch stehen sie in manchen Strassen da in wohlgeschlossenen Reihen, die alters- grauen Patrizierhäuser, jedes für sich eine abgeschlossene, mit maleri- schen Giebeln, Treppen und Figuren geschmückte Burg des freien Bürgerstandes; überragt von den schlanken Thürmen ehrwürdiger Kirchen und gleichsam als Wächter über Stadt und Gebiet und als wollte er Alles um sich verdunkeln, streckt der gothische Bau des mittelalterlichen Rathhauses seine riesigen Giebel und fünf eigen- thümlich geformten Thurmspitzen himmelwärts. Der Hauch uralter Zeit scheint über der von barock gekrümmten Wasserläufen doppelt umschlossenen Stadt zu schweben. Von ihren ehemaligen Wällen und Bastionen, welche die Stadt enge umgaben, hat sie die neue Bürger- generation befreit und an deren Stelle anmuthige Parkanlagen gesetzt, aber noch mancher Trutzbau, wie das Holstenthor mit seinen runden Thürmen und hochragenden Zinken oder der massige Backsteinbau des Burgthores am nördlichen Stadtende erinnern an die Kraftepoche der Hansazeit. So bietet Lübeck noch heute in einigen Theilen ein treues Bild einer mittelalterlichen freien Reichsstadt.
Lübeck, die dritte der freien Hansastädte des Deutschen Reiches, zählt gegenwärtig 60.000 Einwohner und liegt unter 53° 52' nördl. Breite und 10° 42' östl. Länge von Greenwich an der Vereinigung der gegen die Ostsee fliessenden Trave mit der zu breitem Wasser- becken sich erweiternden Wakenitz.
Durch umfassende Stromarbeiten wurde die Trave soweit ver- tieft, dass Seeschiffe bis zu 5 m Tauchung an den Quais anlegen können, welche im Nordwesten die Stadt begrenzen. Dort ist die Trave in zwei Arme gespalten, welche die langgestreckte Insel mit den Bahnhofsanlagen, Schiffswerften, Kohlenplätzen u. dgl. einschliessen.
Lübeck.
Die moderne Zeit mit ihren Ansprüchen und Veränderungen vermochte nur in geringem Masse die Erinnerungen an die alte Herrlichkeit der freien Hansastadt Lübeck zu verwischen. Noch stehen sie in manchen Strassen da in wohlgeschlossenen Reihen, die alters- grauen Patrizierhäuser, jedes für sich eine abgeschlossene, mit maleri- schen Giebeln, Treppen und Figuren geschmückte Burg des freien Bürgerstandes; überragt von den schlanken Thürmen ehrwürdiger Kirchen und gleichsam als Wächter über Stadt und Gebiet und als wollte er Alles um sich verdunkeln, streckt der gothische Bau des mittelalterlichen Rathhauses seine riesigen Giebel und fünf eigen- thümlich geformten Thurmspitzen himmelwärts. Der Hauch uralter Zeit scheint über der von barock gekrümmten Wasserläufen doppelt umschlossenen Stadt zu schweben. Von ihren ehemaligen Wällen und Bastionen, welche die Stadt enge umgaben, hat sie die neue Bürger- generation befreit und an deren Stelle anmuthige Parkanlagen gesetzt, aber noch mancher Trutzbau, wie das Holstenthor mit seinen runden Thürmen und hochragenden Zinken oder der massige Backsteinbau des Burgthores am nördlichen Stadtende erinnern an die Kraftepoche der Hansazeit. So bietet Lübeck noch heute in einigen Theilen ein treues Bild einer mittelalterlichen freien Reichsstadt.
Lübeck, die dritte der freien Hansastädte des Deutschen Reiches, zählt gegenwärtig 60.000 Einwohner und liegt unter 53° 52′ nördl. Breite und 10° 42′ östl. Länge von Greenwich an der Vereinigung der gegen die Ostsee fliessenden Trave mit der zu breitem Wasser- becken sich erweiternden Wakenitz.
Durch umfassende Stromarbeiten wurde die Trave soweit ver- tieft, dass Seeschiffe bis zu 5 m Tauchung an den Quais anlegen können, welche im Nordwesten die Stadt begrenzen. Dort ist die Trave in zwei Arme gespalten, welche die langgestreckte Insel mit den Bahnhofsanlagen, Schiffswerften, Kohlenplätzen u. dgl. einschliessen.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0820"n="[800]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Lübeck.</hi></head><lb/><p>Die moderne Zeit mit ihren Ansprüchen und Veränderungen<lb/>
vermochte nur in geringem Masse die Erinnerungen an die alte<lb/>
Herrlichkeit der freien Hansastadt Lübeck zu verwischen. Noch stehen<lb/>
sie in manchen Strassen da in wohlgeschlossenen Reihen, die alters-<lb/>
grauen Patrizierhäuser, jedes für sich eine abgeschlossene, mit maleri-<lb/>
schen Giebeln, Treppen und Figuren geschmückte Burg des freien<lb/>
Bürgerstandes; überragt von den schlanken Thürmen ehrwürdiger<lb/>
Kirchen und gleichsam als Wächter über Stadt und Gebiet und als<lb/>
wollte er Alles um sich verdunkeln, streckt der gothische Bau des<lb/>
mittelalterlichen Rathhauses seine riesigen Giebel und fünf eigen-<lb/>
thümlich geformten Thurmspitzen himmelwärts. Der Hauch uralter<lb/>
Zeit scheint über der von barock gekrümmten Wasserläufen doppelt<lb/>
umschlossenen Stadt zu schweben. Von ihren ehemaligen Wällen und<lb/>
Bastionen, welche die Stadt enge umgaben, hat sie die neue Bürger-<lb/>
generation befreit und an deren Stelle anmuthige Parkanlagen gesetzt,<lb/>
aber noch mancher Trutzbau, wie das Holstenthor mit seinen runden<lb/>
Thürmen und hochragenden Zinken oder der massige Backsteinbau<lb/>
des Burgthores am nördlichen Stadtende erinnern an die Kraftepoche<lb/>
der Hansazeit. So bietet Lübeck noch heute in einigen Theilen ein<lb/>
treues Bild einer mittelalterlichen freien Reichsstadt.</p><lb/><p>Lübeck, die dritte der freien Hansastädte des Deutschen Reiches,<lb/>
zählt gegenwärtig 60.000 Einwohner und liegt unter 53° 52′ nördl.<lb/>
Breite und 10° 42′ östl. Länge von Greenwich an der Vereinigung<lb/>
der gegen die Ostsee fliessenden Trave mit der zu breitem Wasser-<lb/>
becken sich erweiternden Wakenitz.</p><lb/><p>Durch umfassende Stromarbeiten wurde die Trave soweit ver-<lb/>
tieft, dass Seeschiffe bis zu 5 <hirendition="#i">m</hi> Tauchung an den Quais anlegen<lb/>
können, welche im Nordwesten die Stadt begrenzen. Dort ist die<lb/>
Trave in zwei Arme gespalten, welche die langgestreckte Insel mit<lb/>
den Bahnhofsanlagen, Schiffswerften, Kohlenplätzen u. dgl. einschliessen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[800]/0820]
Lübeck.
Die moderne Zeit mit ihren Ansprüchen und Veränderungen
vermochte nur in geringem Masse die Erinnerungen an die alte
Herrlichkeit der freien Hansastadt Lübeck zu verwischen. Noch stehen
sie in manchen Strassen da in wohlgeschlossenen Reihen, die alters-
grauen Patrizierhäuser, jedes für sich eine abgeschlossene, mit maleri-
schen Giebeln, Treppen und Figuren geschmückte Burg des freien
Bürgerstandes; überragt von den schlanken Thürmen ehrwürdiger
Kirchen und gleichsam als Wächter über Stadt und Gebiet und als
wollte er Alles um sich verdunkeln, streckt der gothische Bau des
mittelalterlichen Rathhauses seine riesigen Giebel und fünf eigen-
thümlich geformten Thurmspitzen himmelwärts. Der Hauch uralter
Zeit scheint über der von barock gekrümmten Wasserläufen doppelt
umschlossenen Stadt zu schweben. Von ihren ehemaligen Wällen und
Bastionen, welche die Stadt enge umgaben, hat sie die neue Bürger-
generation befreit und an deren Stelle anmuthige Parkanlagen gesetzt,
aber noch mancher Trutzbau, wie das Holstenthor mit seinen runden
Thürmen und hochragenden Zinken oder der massige Backsteinbau
des Burgthores am nördlichen Stadtende erinnern an die Kraftepoche
der Hansazeit. So bietet Lübeck noch heute in einigen Theilen ein
treues Bild einer mittelalterlichen freien Reichsstadt.
Lübeck, die dritte der freien Hansastädte des Deutschen Reiches,
zählt gegenwärtig 60.000 Einwohner und liegt unter 53° 52′ nördl.
Breite und 10° 42′ östl. Länge von Greenwich an der Vereinigung
der gegen die Ostsee fliessenden Trave mit der zu breitem Wasser-
becken sich erweiternden Wakenitz.
Durch umfassende Stromarbeiten wurde die Trave soweit ver-
tieft, dass Seeschiffe bis zu 5 m Tauchung an den Quais anlegen
können, welche im Nordwesten die Stadt begrenzen. Dort ist die
Trave in zwei Arme gespalten, welche die langgestreckte Insel mit
den Bahnhofsanlagen, Schiffswerften, Kohlenplätzen u. dgl. einschliessen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [800]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/820>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.