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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.

Das Patriciat dachte nur an die Befestigung seiner Herrschaft in der
Heimat, dafür war es nachgiebig gegen die Seeräuber, unschlüssig gegen die
nordischen Königreiche, welche die Kahnarische Union von 1397 zu einigen suchte.
Die Herrschaft des burgundischen Hauses am Niederrhein (seit 1385) führte zur
Loslösung der westlichen Städte von der Hansa, deren Tage, trotz der dringendsten
Ausschreibungen, immer schwächer besucht wurden. Als seit dem Anfange des
XV. Jahrhunderts die Häringszüge bleibend die Gestade der Ostsee mieden,
war eine Hauptquelle des Reichthums der östlichen Hansestädte versiegt, und die
Entdeckung Amerikas drückte die Bedeutung der Ostsee für den Handel vollends
herab, der übrigens den Hansen langsam in demselben Masse aus der Hand ge-
nommen wurde, als seit der Reformation in Schweden, Dänemark und England das
Königthum erstarkte, welches die Handelsvortheile der Fremden als schädlich be-
trachtete und den nationalen Eigenhandel beförderte.

Noch einmal entwickelte sich unter Jürgen Wullenweber, dem Vorkämpfer
der Reformation und Führer der Zünfte gegen die Geschlechter, die Hansa schein-
bar zu alter Machtfülle; mit seinem Sturze (26. August 1531) sank sie ohn-
mächtig danieder. Ohne Gründungstag hatte sich die Hansa im Stillen schritt-
weise, entwickelt, und ebenso unmerklich zerrann sie. Sie hatte aufgehört eine
politische Nothwendigkeit zu sein. Durch die Entdeckung der Seewege nach Ost
und West war der Welthandel von den Binnenmeeren, der Ostsee und dem
Mittelmeere, an den atlantischen Ocean verlegt worden. Durch die Aufrichtung
des Landfriedens war dem Handel von Staatswegen die vollste Sicherheit gegeben,
unter solchen Verhältnissen hatte sich die Hansa überlebt und musste wie alles
historisch Ueberlebte absterben.

Im Juni 1669 wurde in Lübeck die letzte, schwach besuchte allgemeine
Versammlung gehalten, die nach vielem Streit einen inhaltslosen Regress zu Stande
brachte, das letzte Lebenszeichen der "Gemeinen deutschen Hanse", an deren
Stelle der engere Bund der "Anseestädte" trat, der, wahrscheinlich 1630 bei der
Vertagung der Hanse aufgerichtet, 1641 erneuert worden war.

Der materielle Verfall der Stadt Lübeck trat nun rasch ein, aber dennoch
glückte es ihr während verschiedener Mediatisirungsepochen (1648 und 1803),
ihre staatliche Freiheit aufrecht zu erhalten und bis heutigentags zu bewahren.
Im Jahre 1815 zählte Lübeck nur 23.667 Einwohner. Sein Stern strebt gegen-
wärtig wieder aufwärts!

Der wichtigste Zugang in die Stadt führt durch das bereits
vorne erwähnte mittelalterliche Holstenthor, welches 1477 ausgebaut
und 1871 restaurirt wurde. Die gleichnamige Strasse leitet zum Herzen
der Stadt, auf den Markt, dessen Hauptschmuck das Rathhaus und
die nördlich desselben gelegene Marienkirche bilden.

In seiner jetzigen Gestalt um 1442 vollendet, ist das Rathhaus
ein stattlicher gothischer Bau aus schwarzem und rothem Backstein,
mit einer um 1570 entstandenen Vorhalle und einem 1594 gegen die
Breite Strasse zu gebauten Treppenhaus, beide in reichstem Renaissance-
styl gehalten. Die riesigen Giebel und die eigenthümlich geformten
Spitzen der fünf Thürme haben wir bereits erwähnt. Jedoch schwä-

Der atlantische Ocean.

Das Patriciat dachte nur an die Befestigung seiner Herrschaft in der
Heimat, dafür war es nachgiebig gegen die Seeräuber, unschlüssig gegen die
nordischen Königreiche, welche die Kahnarische Union von 1397 zu einigen suchte.
Die Herrschaft des burgundischen Hauses am Niederrhein (seit 1385) führte zur
Loslösung der westlichen Städte von der Hansa, deren Tage, trotz der dringendsten
Ausschreibungen, immer schwächer besucht wurden. Als seit dem Anfange des
XV. Jahrhunderts die Häringszüge bleibend die Gestade der Ostsee mieden,
war eine Hauptquelle des Reichthums der östlichen Hansestädte versiegt, und die
Entdeckung Amerikas drückte die Bedeutung der Ostsee für den Handel vollends
herab, der übrigens den Hansen langsam in demselben Masse aus der Hand ge-
nommen wurde, als seit der Reformation in Schweden, Dänemark und England das
Königthum erstarkte, welches die Handelsvortheile der Fremden als schädlich be-
trachtete und den nationalen Eigenhandel beförderte.

Noch einmal entwickelte sich unter Jürgen Wullenweber, dem Vorkämpfer
der Reformation und Führer der Zünfte gegen die Geschlechter, die Hansa schein-
bar zu alter Machtfülle; mit seinem Sturze (26. August 1531) sank sie ohn-
mächtig danieder. Ohne Gründungstag hatte sich die Hansa im Stillen schritt-
weise, entwickelt, und ebenso unmerklich zerrann sie. Sie hatte aufgehört eine
politische Nothwendigkeit zu sein. Durch die Entdeckung der Seewege nach Ost
und West war der Welthandel von den Binnenmeeren, der Ostsee und dem
Mittelmeere, an den atlantischen Ocean verlegt worden. Durch die Aufrichtung
des Landfriedens war dem Handel von Staatswegen die vollste Sicherheit gegeben,
unter solchen Verhältnissen hatte sich die Hansa überlebt und musste wie alles
historisch Ueberlebte absterben.

Im Juni 1669 wurde in Lübeck die letzte, schwach besuchte allgemeine
Versammlung gehalten, die nach vielem Streit einen inhaltslosen Regress zu Stande
brachte, das letzte Lebenszeichen der „Gemeinen deutschen Hanse“, an deren
Stelle der engere Bund der „Anseestädte“ trat, der, wahrscheinlich 1630 bei der
Vertagung der Hanse aufgerichtet, 1641 erneuert worden war.

Der materielle Verfall der Stadt Lübeck trat nun rasch ein, aber dennoch
glückte es ihr während verschiedener Mediatisirungsepochen (1648 und 1803),
ihre staatliche Freiheit aufrecht zu erhalten und bis heutigentags zu bewahren.
Im Jahre 1815 zählte Lübeck nur 23.667 Einwohner. Sein Stern strebt gegen-
wärtig wieder aufwärts!

Der wichtigste Zugang in die Stadt führt durch das bereits
vorne erwähnte mittelalterliche Holstenthor, welches 1477 ausgebaut
und 1871 restaurirt wurde. Die gleichnamige Strasse leitet zum Herzen
der Stadt, auf den Markt, dessen Hauptschmuck das Rathhaus und
die nördlich desselben gelegene Marienkirche bilden.

In seiner jetzigen Gestalt um 1442 vollendet, ist das Rathhaus
ein stattlicher gothischer Bau aus schwarzem und rothem Backstein,
mit einer um 1570 entstandenen Vorhalle und einem 1594 gegen die
Breite Strasse zu gebauten Treppenhaus, beide in reichstem Renaissance-
styl gehalten. Die riesigen Giebel und die eigenthümlich geformten
Spitzen der fünf Thürme haben wir bereits erwähnt. Jedoch schwä-

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[804/0824] Der atlantische Ocean. Das Patriciat dachte nur an die Befestigung seiner Herrschaft in der Heimat, dafür war es nachgiebig gegen die Seeräuber, unschlüssig gegen die nordischen Königreiche, welche die Kahnarische Union von 1397 zu einigen suchte. Die Herrschaft des burgundischen Hauses am Niederrhein (seit 1385) führte zur Loslösung der westlichen Städte von der Hansa, deren Tage, trotz der dringendsten Ausschreibungen, immer schwächer besucht wurden. Als seit dem Anfange des XV. Jahrhunderts die Häringszüge bleibend die Gestade der Ostsee mieden, war eine Hauptquelle des Reichthums der östlichen Hansestädte versiegt, und die Entdeckung Amerikas drückte die Bedeutung der Ostsee für den Handel vollends herab, der übrigens den Hansen langsam in demselben Masse aus der Hand ge- nommen wurde, als seit der Reformation in Schweden, Dänemark und England das Königthum erstarkte, welches die Handelsvortheile der Fremden als schädlich be- trachtete und den nationalen Eigenhandel beförderte. Noch einmal entwickelte sich unter Jürgen Wullenweber, dem Vorkämpfer der Reformation und Führer der Zünfte gegen die Geschlechter, die Hansa schein- bar zu alter Machtfülle; mit seinem Sturze (26. August 1531) sank sie ohn- mächtig danieder. Ohne Gründungstag hatte sich die Hansa im Stillen schritt- weise, entwickelt, und ebenso unmerklich zerrann sie. Sie hatte aufgehört eine politische Nothwendigkeit zu sein. Durch die Entdeckung der Seewege nach Ost und West war der Welthandel von den Binnenmeeren, der Ostsee und dem Mittelmeere, an den atlantischen Ocean verlegt worden. Durch die Aufrichtung des Landfriedens war dem Handel von Staatswegen die vollste Sicherheit gegeben, unter solchen Verhältnissen hatte sich die Hansa überlebt und musste wie alles historisch Ueberlebte absterben. Im Juni 1669 wurde in Lübeck die letzte, schwach besuchte allgemeine Versammlung gehalten, die nach vielem Streit einen inhaltslosen Regress zu Stande brachte, das letzte Lebenszeichen der „Gemeinen deutschen Hanse“, an deren Stelle der engere Bund der „Anseestädte“ trat, der, wahrscheinlich 1630 bei der Vertagung der Hanse aufgerichtet, 1641 erneuert worden war. Der materielle Verfall der Stadt Lübeck trat nun rasch ein, aber dennoch glückte es ihr während verschiedener Mediatisirungsepochen (1648 und 1803), ihre staatliche Freiheit aufrecht zu erhalten und bis heutigentags zu bewahren. Im Jahre 1815 zählte Lübeck nur 23.667 Einwohner. Sein Stern strebt gegen- wärtig wieder aufwärts! Der wichtigste Zugang in die Stadt führt durch das bereits vorne erwähnte mittelalterliche Holstenthor, welches 1477 ausgebaut und 1871 restaurirt wurde. Die gleichnamige Strasse leitet zum Herzen der Stadt, auf den Markt, dessen Hauptschmuck das Rathhaus und die nördlich desselben gelegene Marienkirche bilden. In seiner jetzigen Gestalt um 1442 vollendet, ist das Rathhaus ein stattlicher gothischer Bau aus schwarzem und rothem Backstein, mit einer um 1570 entstandenen Vorhalle und einem 1594 gegen die Breite Strasse zu gebauten Treppenhaus, beide in reichstem Renaissance- styl gehalten. Die riesigen Giebel und die eigenthümlich geformten Spitzen der fünf Thürme haben wir bereits erwähnt. Jedoch schwä-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 804. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/824>, abgerufen am 22.11.2024.