Die unmittelbare Umgebung von Vera-Cruz gleicht einer Wüste; der zitternde Hauch der aus der See und dem Sandboden entsteigenden Dünste, das ringsum blendende Licht der fast aus dem Zenithe nieder- strahlenden Sonne machen das Leben tagsüber fast unerträglich.
Es ist daher nicht zu wundern, dass gerade um die Tageszeit die Stadt Vera-Cruz einer ausgebrannten Stätte am ähnlichsten wird, indem alle Geschäftigkeit ruht und Mensch und Thier in die tiefsten Schatten und Räume der Behausungen flüchten.
Die Stadt ist sehr regelmässig angelegt; längs ihren Südost bis Nordwest laufenden Quais findet sich eine stattliche Reihe zwar niederer, aber schöner und solider Bauten, welche hauptsächlich als See- und Zollämter eingerichtet sind und nicht selten von den über den vorliegenden Sand sich wälzenden Wogen oder doch ihrem Gischte benetzt werden.
Ein Molo ist so ziemlich die einzige dem Seeverkehre gewid- mete Anlage. Menschen und Güter, welche von See kommen, müssen durch die grossen Thore am Fusse dieses Molos ihren Eingang nach der Stadt nehmen, die auch heute noch mächtige Mauern ganz ein- schliessen.
Diese alten Stadtwälle sind als Grabstätten eingerichtet, da die Beerdigung der Todten in anderer Weise im Weichbilde der Stadt nicht ausführbar ist, und um diese Wälle führt aussen eine Strassen- bahn, auf der die bemittelten Einwohner von Vera-Cruz spazieren fahren, wenn sie frische Luft schöpfen wollen.
Würde dem Fremden die fast ständig herrschende todtbringende Epidemie des Vomito nero oder gelben Fiebers den Aufenthalt nicht verleiden, so könnte er sich leicht befreunden, in der sonst reinen, nett und regelmässig angelegten Stadt seinen Aufenthalt zu nehmen.
Die breiten Strassen laufen zumeist schnurgerade, die bedeutend- sten parallel zur Quaifront, und die bescheidenen, doch säuberlichen schneeweissen Gebäude mit den grünen Fensterbalken, ihren luftigen und schattigen Höfen machen einen recht angenehmen Eindruck. Ganz besonders freundlich wirkt das Gebäude der Präfectur mit seinen Säulengängen und der dem vorliegenden Platze zugekehrten Front, vor welcher sich auch der einzige tropische Parkschmuck ausbreitet.
Obwohl für den Fremdenverkehr zur Genüge gesorgt ist, können Ansprüche im modernen Sinne hier kaum erhoben werden. Die durch klimatische Verhältnisse bedingte Eigenart der Gebäude, die geregelte Lebensweise, welche der Fremde im hygienischen Interesse befolgen muss, lassen auch Geselligkeit kaum aufkommen und wirken hemmend
Die atlantische Küste von Amerika.
Die unmittelbare Umgebung von Vera-Cruz gleicht einer Wüste; der zitternde Hauch der aus der See und dem Sandboden entsteigenden Dünste, das ringsum blendende Licht der fast aus dem Zenithe nieder- strahlenden Sonne machen das Leben tagsüber fast unerträglich.
Es ist daher nicht zu wundern, dass gerade um die Tageszeit die Stadt Vera-Cruz einer ausgebrannten Stätte am ähnlichsten wird, indem alle Geschäftigkeit ruht und Mensch und Thier in die tiefsten Schatten und Räume der Behausungen flüchten.
Die Stadt ist sehr regelmässig angelegt; längs ihren Südost bis Nordwest laufenden Quais findet sich eine stattliche Reihe zwar niederer, aber schöner und solider Bauten, welche hauptsächlich als See- und Zollämter eingerichtet sind und nicht selten von den über den vorliegenden Sand sich wälzenden Wogen oder doch ihrem Gischte benetzt werden.
Ein Molo ist so ziemlich die einzige dem Seeverkehre gewid- mete Anlage. Menschen und Güter, welche von See kommen, müssen durch die grossen Thore am Fusse dieses Molos ihren Eingang nach der Stadt nehmen, die auch heute noch mächtige Mauern ganz ein- schliessen.
Diese alten Stadtwälle sind als Grabstätten eingerichtet, da die Beerdigung der Todten in anderer Weise im Weichbilde der Stadt nicht ausführbar ist, und um diese Wälle führt aussen eine Strassen- bahn, auf der die bemittelten Einwohner von Vera-Cruz spazieren fahren, wenn sie frische Luft schöpfen wollen.
Würde dem Fremden die fast ständig herrschende todtbringende Epidemie des Vomito nero oder gelben Fiebers den Aufenthalt nicht verleiden, so könnte er sich leicht befreunden, in der sonst reinen, nett und regelmässig angelegten Stadt seinen Aufenthalt zu nehmen.
Die breiten Strassen laufen zumeist schnurgerade, die bedeutend- sten parallel zur Quaifront, und die bescheidenen, doch säuberlichen schneeweissen Gebäude mit den grünen Fensterbalken, ihren luftigen und schattigen Höfen machen einen recht angenehmen Eindruck. Ganz besonders freundlich wirkt das Gebäude der Präfectur mit seinen Säulengängen und der dem vorliegenden Platze zugekehrten Front, vor welcher sich auch der einzige tropische Parkschmuck ausbreitet.
Obwohl für den Fremdenverkehr zur Genüge gesorgt ist, können Ansprüche im modernen Sinne hier kaum erhoben werden. Die durch klimatische Verhältnisse bedingte Eigenart der Gebäude, die geregelte Lebensweise, welche der Fremde im hygienischen Interesse befolgen muss, lassen auch Geselligkeit kaum aufkommen und wirken hemmend
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Die atlantische Küste von Amerika.
Die unmittelbare Umgebung von Vera-Cruz gleicht einer Wüste;
der zitternde Hauch der aus der See und dem Sandboden entsteigenden
Dünste, das ringsum blendende Licht der fast aus dem Zenithe nieder-
strahlenden Sonne machen das Leben tagsüber fast unerträglich.
Es ist daher nicht zu wundern, dass gerade um die Tageszeit
die Stadt Vera-Cruz einer ausgebrannten Stätte am ähnlichsten wird,
indem alle Geschäftigkeit ruht und Mensch und Thier in die tiefsten
Schatten und Räume der Behausungen flüchten.
Die Stadt ist sehr regelmässig angelegt; längs ihren Südost bis
Nordwest laufenden Quais findet sich eine stattliche Reihe zwar
niederer, aber schöner und solider Bauten, welche hauptsächlich als
See- und Zollämter eingerichtet sind und nicht selten von den über
den vorliegenden Sand sich wälzenden Wogen oder doch ihrem Gischte
benetzt werden.
Ein Molo ist so ziemlich die einzige dem Seeverkehre gewid-
mete Anlage. Menschen und Güter, welche von See kommen, müssen
durch die grossen Thore am Fusse dieses Molos ihren Eingang nach
der Stadt nehmen, die auch heute noch mächtige Mauern ganz ein-
schliessen.
Diese alten Stadtwälle sind als Grabstätten eingerichtet, da die
Beerdigung der Todten in anderer Weise im Weichbilde der Stadt
nicht ausführbar ist, und um diese Wälle führt aussen eine Strassen-
bahn, auf der die bemittelten Einwohner von Vera-Cruz spazieren
fahren, wenn sie frische Luft schöpfen wollen.
Würde dem Fremden die fast ständig herrschende todtbringende
Epidemie des Vomito nero oder gelben Fiebers den Aufenthalt nicht
verleiden, so könnte er sich leicht befreunden, in der sonst reinen,
nett und regelmässig angelegten Stadt seinen Aufenthalt zu nehmen.
Die breiten Strassen laufen zumeist schnurgerade, die bedeutend-
sten parallel zur Quaifront, und die bescheidenen, doch säuberlichen
schneeweissen Gebäude mit den grünen Fensterbalken, ihren luftigen
und schattigen Höfen machen einen recht angenehmen Eindruck. Ganz
besonders freundlich wirkt das Gebäude der Präfectur mit seinen
Säulengängen und der dem vorliegenden Platze zugekehrten Front,
vor welcher sich auch der einzige tropische Parkschmuck ausbreitet.
Obwohl für den Fremdenverkehr zur Genüge gesorgt ist, können
Ansprüche im modernen Sinne hier kaum erhoben werden. Die durch
klimatische Verhältnisse bedingte Eigenart der Gebäude, die geregelte
Lebensweise, welche der Fremde im hygienischen Interesse befolgen
muss, lassen auch Geselligkeit kaum aufkommen und wirken hemmend
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/176>, abgerufen am 22.11.2024.
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