welche das materielle Leben Montreals leiten. In ihren Händen liegt der grösste Theil des Handels, der Industrie; sie beherrschen das Capital und das ganze Bankwesen. Wie zähe auch der Widerstand der Franzosen ist, Montreal muss doch allmälig seinen französischen Charakter einbüssen, schon weil der kräftige Menschennachschub aus Frankreich fehlt. Es bleibt übrigens immerhin ein Beweis von der nationalen Widerstandskraft der Franzosen, dass man in Ostcanada 130 Jahre nach dem Verluste der politischen Zusammengehörigkeit noch immer französisch spricht und fühlt.
Montreal ist die commercielle Hauptstadt Canadas, eine schöne, wohlhabende Stadt, der Sitz der canadischen Capitalisten, der grossen Dampfer-, Eisenbahn- und Telegraphenverwaltungen und der mächtigsten Bankinstitute. Diese dominirende Stellung Montreals ist begründet in seiner geographischen Lage; hier hat ein weitverzweigtes Netz von Wasserverbindungen (Flüsse und Canäle) seinen Mittelpunkt, bis hieher konnten schon von jeher Seeschiffe den Lorenz befahren.
Allein das System des St. Lorenz, obschon ungleich wasser- reicher, bildet keine leistungsfähige, durchgehende Strasse wie der Mississippi; zahlreiche Stromschnellen, selbst Wasserfälle unterbrechen seinen Lauf und den seiner Nebenflüsse. Namentlich zwischen den grossen Seen und Montreal lagen und liegen die Verhältnisse zum Theil noch sehr schlimm; für die weitgehenden Anforderungen des modernen Verkehres ist der Lorenz erst seit einigen Jahrzehnten erschlossen und die Arbeiten sind noch nicht ganz beendet. Jetzt ist zwischen Montreal und Quebec eine durchgehende Fahrrinne von 8·38 m (271/2 Fuss englisch) hergestellt und dadurch die Concurrenzfähigkeit von Montreal als grossem Seehafen dauernd gesichert.
Die Hindernisse, welche sich oberhalb Montreal der Schiffahrt entgegenstellen, werden durch 6 Canäle mit einer Gesammtlänge von 114·24 km (71 Meilen englisch) umgangen, deren Tiefe allmälig von 3·66 m (12' englisch) auf 4·27 m (14' englisch) gebracht wird. Diese Canalbauten sind bereits so weit gediehen, dass schon heute See- schiffe von 1500 t von Duluth an der Westspitze des Oberen Sees direct nach Liverpool fahren. In der Regel aber werden die Waaren in Montreal auf die weit grösseren Oceandampfer umgeladen. In wenigen Jahren werden Dampfer von 2000--3000 t direct von Europa die 1500 englische Meilen landeinwärts liegenden Häfen am Oberen See aufsuchen. Diese Thatsache muss tief einschneidend auf die Einwanderungs-, aber noch mehr auf die Exporttarife des nordameri- kanischen (auch canadischen) Massenexports (Getreide, Holz) wirken.
Die atlantische Küste von Amerika.
welche das materielle Leben Montreals leiten. In ihren Händen liegt der grösste Theil des Handels, der Industrie; sie beherrschen das Capital und das ganze Bankwesen. Wie zähe auch der Widerstand der Franzosen ist, Montreal muss doch allmälig seinen französischen Charakter einbüssen, schon weil der kräftige Menschennachschub aus Frankreich fehlt. Es bleibt übrigens immerhin ein Beweis von der nationalen Widerstandskraft der Franzosen, dass man in Ostcanada 130 Jahre nach dem Verluste der politischen Zusammengehörigkeit noch immer französisch spricht und fühlt.
Montreal ist die commercielle Hauptstadt Canadas, eine schöne, wohlhabende Stadt, der Sitz der canadischen Capitalisten, der grossen Dampfer-, Eisenbahn- und Telegraphenverwaltungen und der mächtigsten Bankinstitute. Diese dominirende Stellung Montreals ist begründet in seiner geographischen Lage; hier hat ein weitverzweigtes Netz von Wasserverbindungen (Flüsse und Canäle) seinen Mittelpunkt, bis hieher konnten schon von jeher Seeschiffe den Lorenz befahren.
Allein das System des St. Lorenz, obschon ungleich wasser- reicher, bildet keine leistungsfähige, durchgehende Strasse wie der Mississippi; zahlreiche Stromschnellen, selbst Wasserfälle unterbrechen seinen Lauf und den seiner Nebenflüsse. Namentlich zwischen den grossen Seen und Montreal lagen und liegen die Verhältnisse zum Theil noch sehr schlimm; für die weitgehenden Anforderungen des modernen Verkehres ist der Lorenz erst seit einigen Jahrzehnten erschlossen und die Arbeiten sind noch nicht ganz beendet. Jetzt ist zwischen Montreal und Quebec eine durchgehende Fahrrinne von 8·38 m (27½ Fuss englisch) hergestellt und dadurch die Concurrenzfähigkeit von Montreal als grossem Seehafen dauernd gesichert.
Die Hindernisse, welche sich oberhalb Montreal der Schiffahrt entgegenstellen, werden durch 6 Canäle mit einer Gesammtlänge von 114·24 km (71 Meilen englisch) umgangen, deren Tiefe allmälig von 3·66 m (12′ englisch) auf 4·27 m (14′ englisch) gebracht wird. Diese Canalbauten sind bereits so weit gediehen, dass schon heute See- schiffe von 1500 t von Duluth an der Westspitze des Oberen Sees direct nach Liverpool fahren. In der Regel aber werden die Waaren in Montreal auf die weit grösseren Oceandampfer umgeladen. In wenigen Jahren werden Dampfer von 2000—3000 t direct von Europa die 1500 englische Meilen landeinwärts liegenden Häfen am Oberen See aufsuchen. Diese Thatsache muss tief einschneidend auf die Einwanderungs-, aber noch mehr auf die Exporttarife des nordameri- kanischen (auch canadischen) Massenexports (Getreide, Holz) wirken.
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Die atlantische Küste von Amerika.
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der grösste Theil des Handels, der Industrie; sie beherrschen das
Capital und das ganze Bankwesen. Wie zähe auch der Widerstand
der Franzosen ist, Montreal muss doch allmälig seinen französischen
Charakter einbüssen, schon weil der kräftige Menschennachschub aus
Frankreich fehlt. Es bleibt übrigens immerhin ein Beweis von der
nationalen Widerstandskraft der Franzosen, dass man in Ostcanada
130 Jahre nach dem Verluste der politischen Zusammengehörigkeit
noch immer französisch spricht und fühlt.
Montreal ist die commercielle Hauptstadt Canadas, eine
schöne, wohlhabende Stadt, der Sitz der canadischen Capitalisten, der
grossen Dampfer-, Eisenbahn- und Telegraphenverwaltungen und der
mächtigsten Bankinstitute. Diese dominirende Stellung Montreals ist
begründet in seiner geographischen Lage; hier hat ein weitverzweigtes
Netz von Wasserverbindungen (Flüsse und Canäle) seinen Mittelpunkt,
bis hieher konnten schon von jeher Seeschiffe den Lorenz befahren.
Allein das System des St. Lorenz, obschon ungleich wasser-
reicher, bildet keine leistungsfähige, durchgehende Strasse wie der
Mississippi; zahlreiche Stromschnellen, selbst Wasserfälle unterbrechen
seinen Lauf und den seiner Nebenflüsse. Namentlich zwischen den
grossen Seen und Montreal lagen und liegen die Verhältnisse zum
Theil noch sehr schlimm; für die weitgehenden Anforderungen des
modernen Verkehres ist der Lorenz erst seit einigen Jahrzehnten
erschlossen und die Arbeiten sind noch nicht ganz beendet. Jetzt ist
zwischen Montreal und Quebec eine durchgehende Fahrrinne von 8·38 m
(27½ Fuss englisch) hergestellt und dadurch die Concurrenzfähigkeit
von Montreal als grossem Seehafen dauernd gesichert.
Die Hindernisse, welche sich oberhalb Montreal der Schiffahrt
entgegenstellen, werden durch 6 Canäle mit einer Gesammtlänge von
114·24 km (71 Meilen englisch) umgangen, deren Tiefe allmälig von
3·66 m (12′ englisch) auf 4·27 m (14′ englisch) gebracht wird. Diese
Canalbauten sind bereits so weit gediehen, dass schon heute See-
schiffe von 1500 t von Duluth an der Westspitze des Oberen
Sees direct nach Liverpool fahren. In der Regel aber werden die
Waaren in Montreal auf die weit grösseren Oceandampfer umgeladen.
In wenigen Jahren werden Dampfer von 2000—3000 t direct von
Europa die 1500 englische Meilen landeinwärts liegenden Häfen am
Oberen See aufsuchen. Diese Thatsache muss tief einschneidend auf die
Einwanderungs-, aber noch mehr auf die Exporttarife des nordameri-
kanischen (auch canadischen) Massenexports (Getreide, Holz) wirken.
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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