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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der grosse Ocean.
und ihre maritime Ueberlegenheit über die zeitgenössischen seefahrenden
Nationen geholfen und genügt hatten.

Das volkreiche Spanien und England waren die natürlichen
Erben. Die Engländer gelangten um dieselbe Zeit, als sie in Indien
festen Fuss gefasst, auch in den Besitz des ganzen Nordens von
Amerika. So rückten denn von West und Ost und bald auch vom
australischen Süden die angelsächsischen Colonnen gegen das noch
immer erst halb bezwungene stille Meer vor. Ein grosser Mann diente
ihnen als Eclaireur, James Cook (+ 1779), der eigentliche Entdecker
Polynesiens, der durch seine arctischen und antarctischen Forschungs-
reisen für immer das Märchen einer südlichen und nördlichen Land-
verbindung der alten und neuen Welt widerlegt hat. Seinem Rathe
folgend, colonisirten seit 1788 die Engländer den antipodischen
Continent.

Nur nach langem, hartnäckigem Ringen mit den widerspenstigen
Chinesen gelang es den Europäern, unter englischer Führung in Ost-
asien festen Fuss zu fassen. Die Serie dieser Kämpfe eröffnet der
sogenannte Opiumkrieg (1840--1842). Als die chinesische Regierung
nämlich den Consum des Opiums, welches die Briten aus Ostindien
importirten, untersagte, erzwangen diese nicht bloss die Zurücknahme
des Verbotes, sondern auch die Ueberlassung von Hongkong und die
Eröffnung der fünf ersten Vertragshäfen, darunter Canton und Shanghai.

Auch die Union und Frankreich schlossen alsbald vortheilhafte
Verträge mit dem himmlischen Reiche (1860), und Russland benützte
(1858) die Zeit kriegerischer Verwicklungen, um das Amurgebiet zu
annectiren. Wenn auch die chinesische Regierung später sich vor
weiteren Verwicklungen mit den militärisch so sehr überlegenen Euro-
päern hütete, so dauerte und dauert doch die Antipathie des Volkes
gegen die racefremden "Barbaren", deren Einrichtungen und Erfindungen
fort. Selbst zu einem abermaligen, wenn auch von Seiten der Chinesen
verkappten Waffengange kam es, als die Franzosen Tongking und
Annam occupirten und vom Süden aus China in die Flanke nahmen.

Von Russen und Franzosen zu Lande, von den Briten und allen
anderen seefahrenden Nationen zu Wasser in die Mitte genommen,
kann der Chinese dem Eindringen europäischer Gesittung nicht länger
widerstehen. Das neunzehnte Jahrhundert hat dem "Reiche der
Mitte" den Telegraphen und zum Schlusse sogar die verhasste Eisen-
bahn beschert.

Ganz anders verhielten sich die ehemals gleich den Chinesen
abgeschlossenen und allem christlich-europäischen Wesen feindlichen

Der grosse Ocean.
und ihre maritime Ueberlegenheit über die zeitgenössischen seefahrenden
Nationen geholfen und genügt hatten.

Das volkreiche Spanien und England waren die natürlichen
Erben. Die Engländer gelangten um dieselbe Zeit, als sie in Indien
festen Fuss gefasst, auch in den Besitz des ganzen Nordens von
Amerika. So rückten denn von West und Ost und bald auch vom
australischen Süden die angelsächsischen Colonnen gegen das noch
immer erst halb bezwungene stille Meer vor. Ein grosser Mann diente
ihnen als Eclaireur, James Cook († 1779), der eigentliche Entdecker
Polynesiens, der durch seine arctischen und antarctischen Forschungs-
reisen für immer das Märchen einer südlichen und nördlichen Land-
verbindung der alten und neuen Welt widerlegt hat. Seinem Rathe
folgend, colonisirten seit 1788 die Engländer den antipodischen
Continent.

Nur nach langem, hartnäckigem Ringen mit den widerspenstigen
Chinesen gelang es den Europäern, unter englischer Führung in Ost-
asien festen Fuss zu fassen. Die Serie dieser Kämpfe eröffnet der
sogenannte Opiumkrieg (1840—1842). Als die chinesische Regierung
nämlich den Consum des Opiums, welches die Briten aus Ostindien
importirten, untersagte, erzwangen diese nicht bloss die Zurücknahme
des Verbotes, sondern auch die Ueberlassung von Hongkong und die
Eröffnung der fünf ersten Vertragshäfen, darunter Canton und Shanghai.

Auch die Union und Frankreich schlossen alsbald vortheilhafte
Verträge mit dem himmlischen Reiche (1860), und Russland benützte
(1858) die Zeit kriegerischer Verwicklungen, um das Amurgebiet zu
annectiren. Wenn auch die chinesische Regierung später sich vor
weiteren Verwicklungen mit den militärisch so sehr überlegenen Euro-
päern hütete, so dauerte und dauert doch die Antipathie des Volkes
gegen die racefremden „Barbaren“, deren Einrichtungen und Erfindungen
fort. Selbst zu einem abermaligen, wenn auch von Seiten der Chinesen
verkappten Waffengange kam es, als die Franzosen Tongking und
Annam occupirten und vom Süden aus China in die Flanke nahmen.

Von Russen und Franzosen zu Lande, von den Briten und allen
anderen seefahrenden Nationen zu Wasser in die Mitte genommen,
kann der Chinese dem Eindringen europäischer Gesittung nicht länger
widerstehen. Das neunzehnte Jahrhundert hat dem „Reiche der
Mitte“ den Telegraphen und zum Schlusse sogar die verhasste Eisen-
bahn beschert.

Ganz anders verhielten sich die ehemals gleich den Chinesen
abgeschlossenen und allem christlich-europäischen Wesen feindlichen

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[306/0322] Der grosse Ocean. und ihre maritime Ueberlegenheit über die zeitgenössischen seefahrenden Nationen geholfen und genügt hatten. Das volkreiche Spanien und England waren die natürlichen Erben. Die Engländer gelangten um dieselbe Zeit, als sie in Indien festen Fuss gefasst, auch in den Besitz des ganzen Nordens von Amerika. So rückten denn von West und Ost und bald auch vom australischen Süden die angelsächsischen Colonnen gegen das noch immer erst halb bezwungene stille Meer vor. Ein grosser Mann diente ihnen als Eclaireur, James Cook († 1779), der eigentliche Entdecker Polynesiens, der durch seine arctischen und antarctischen Forschungs- reisen für immer das Märchen einer südlichen und nördlichen Land- verbindung der alten und neuen Welt widerlegt hat. Seinem Rathe folgend, colonisirten seit 1788 die Engländer den antipodischen Continent. Nur nach langem, hartnäckigem Ringen mit den widerspenstigen Chinesen gelang es den Europäern, unter englischer Führung in Ost- asien festen Fuss zu fassen. Die Serie dieser Kämpfe eröffnet der sogenannte Opiumkrieg (1840—1842). Als die chinesische Regierung nämlich den Consum des Opiums, welches die Briten aus Ostindien importirten, untersagte, erzwangen diese nicht bloss die Zurücknahme des Verbotes, sondern auch die Ueberlassung von Hongkong und die Eröffnung der fünf ersten Vertragshäfen, darunter Canton und Shanghai. Auch die Union und Frankreich schlossen alsbald vortheilhafte Verträge mit dem himmlischen Reiche (1860), und Russland benützte (1858) die Zeit kriegerischer Verwicklungen, um das Amurgebiet zu annectiren. Wenn auch die chinesische Regierung später sich vor weiteren Verwicklungen mit den militärisch so sehr überlegenen Euro- päern hütete, so dauerte und dauert doch die Antipathie des Volkes gegen die racefremden „Barbaren“, deren Einrichtungen und Erfindungen fort. Selbst zu einem abermaligen, wenn auch von Seiten der Chinesen verkappten Waffengange kam es, als die Franzosen Tongking und Annam occupirten und vom Süden aus China in die Flanke nahmen. Von Russen und Franzosen zu Lande, von den Briten und allen anderen seefahrenden Nationen zu Wasser in die Mitte genommen, kann der Chinese dem Eindringen europäischer Gesittung nicht länger widerstehen. Das neunzehnte Jahrhundert hat dem „Reiche der Mitte“ den Telegraphen und zum Schlusse sogar die verhasste Eisen- bahn beschert. Ganz anders verhielten sich die ehemals gleich den Chinesen abgeschlossenen und allem christlich-europäischen Wesen feindlichen

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/322>, abgerufen am 24.11.2024.