dass die Escadre den Perlfluss aufsuchte. Das Furchtbarste war abgewendet, aber die Verhandlungen, welche die Chinesen nach der Abberufung des Lin-Tse-Tsin eingeleitet hatten, wurden von ihnen unverschämt in die Länge gezogen, um da- durch Zeit zu gewinnen, sich möglichst in Vertheidigungszustand zu setzen. Da die Engländer in Erfahrung brachten, dass die Chinesen eine friedliche Lösung überhaupt nicht in Erwägung zögen, gingen sie sofort zum Angriff über. In wenigen Stunden des 7. Jänner 1841 waren die Vertheidigungswerke an der Flussmündung zum Schweigen gebracht und die Kriegsdschunken zerstört, so dass die Provinzialregierung um Waffenstillstand bitten musste, um eine Conven- tion abzuschliessen, laut welcher versprochen wurde:
1. die Insel Hongkong der englischen Regierung abzutreten;
2. eine Entschädigung von sechs Millionen Dollars für das zerstörte Opium zu zahlen, und
3. die Eröffnung des Handels binnen zehn Tagen stattfinden zu lassen.
Thatsächlich wurde durch diesen Vertrag nur erreicht, dass die Engländer sich am 26. Jänner 1841 in den Besitz der Insel Hongkong setzten. Alles andere blieb auf Befehl der Regierung in Peking unausgeführt, welche nach Canton die Weisung ergehen liess, die ruchlosen Barbaren vom Angesicht der Erde wegzu- fegen, und erst infolge erneuerter Angriffe der Engländer konnten die englischen Kaufleute ihre Factoreien beziehen und den Handel in der früher geübten Weise durch Vermittlung der Hongs wieder aufnehmen.
Während man in Peking die in Canton abgeschlossenen Verträge missachtete, weil man es nicht fasste, dass es einer kleinen Truppe Fremder gelingen konnte, das Reich, von dessen Unüberwindlichkeit man vollkommen überzeugt war, zu Verträgen zu zwingen, war man auch in England mit dem Abschlusse der Con- vention unzufrieden, weil man auf Basis der errungenen Erfolge ein Recht auf ausgedehntere Zugeständnisse zu haben meinte und durch die Erfahrung belehrt, nur auf solche Verträge Werth legte, die vom Kaiser selbst sanctionirt waren.
Um einen solchen zu erzwingen, verlegten die Engländer den Kriegsschau- platz weiter gegen Norden, also näher an die Hauptstadt Peking.
Am 10. October wurde bei Tschinhac, an der Mündung des Yangtsekiang, von den Landungstruppen eine starke Streitkraft der Chinesen vollständig ge- schlagen, und die Engländer nahmen ihre Winterquartiere in der reichen Handels- stadt Ningpo, wo sie durch ihr musterhaftes Verhalten, das in grellem Gegen- satze zu der Beutelust der chinesischen Söldlinge stand, den friedliebenden Theil der Bevölkerung für sich gewannen.
Im Frühjahre 1842 drangen sie in die Mündung des Yangtsekiang ein, besetzten das reiche Schanghai und eroberten Tshinkianfü, den Schlüssel zum Kaisercanal, auf welchem damals noch Peking sein Getreide aus den Südprovinzen bezog. Doch die Gefahr einer Aushungerung brach noch nicht den Eigendünkel der Herren in Peking. Erst als sie sahen, dass es den Engländern Ernst sei mit der Besetzung Nankings, der südlichen Hauptstadt des Reiches und der Ge- lehrtenstadt Chinas, gaben sie nach, denn sie fürchteten deshalb einen Aufstand des Volkes, das in China sich um Politik nicht kümmerte, weil dafür die Man- darinen da sind, das aber in grossen Unglücksfällen einen Wink des Himmels sah, die Regierung mit Gewalt zu beseitigen, unter der solches sich ereignet. Solche unglückliche Ereignisse können selbst der Dynastie verhängnissvoll werden.
Der grosse Ocean.
dass die Escadre den Perlfluss aufsuchte. Das Furchtbarste war abgewendet, aber die Verhandlungen, welche die Chinesen nach der Abberufung des Lin-Tse-Tsin eingeleitet hatten, wurden von ihnen unverschämt in die Länge gezogen, um da- durch Zeit zu gewinnen, sich möglichst in Vertheidigungszustand zu setzen. Da die Engländer in Erfahrung brachten, dass die Chinesen eine friedliche Lösung überhaupt nicht in Erwägung zögen, gingen sie sofort zum Angriff über. In wenigen Stunden des 7. Jänner 1841 waren die Vertheidigungswerke an der Flussmündung zum Schweigen gebracht und die Kriegsdschunken zerstört, so dass die Provinzialregierung um Waffenstillstand bitten musste, um eine Conven- tion abzuschliessen, laut welcher versprochen wurde:
1. die Insel Hongkong der englischen Regierung abzutreten;
2. eine Entschädigung von sechs Millionen Dollars für das zerstörte Opium zu zahlen, und
3. die Eröffnung des Handels binnen zehn Tagen stattfinden zu lassen.
Thatsächlich wurde durch diesen Vertrag nur erreicht, dass die Engländer sich am 26. Jänner 1841 in den Besitz der Insel Hongkong setzten. Alles andere blieb auf Befehl der Regierung in Peking unausgeführt, welche nach Canton die Weisung ergehen liess, die ruchlosen Barbaren vom Angesicht der Erde wegzu- fegen, und erst infolge erneuerter Angriffe der Engländer konnten die englischen Kaufleute ihre Factoreien beziehen und den Handel in der früher geübten Weise durch Vermittlung der Hongs wieder aufnehmen.
Während man in Peking die in Canton abgeschlossenen Verträge missachtete, weil man es nicht fasste, dass es einer kleinen Truppe Fremder gelingen konnte, das Reich, von dessen Unüberwindlichkeit man vollkommen überzeugt war, zu Verträgen zu zwingen, war man auch in England mit dem Abschlusse der Con- vention unzufrieden, weil man auf Basis der errungenen Erfolge ein Recht auf ausgedehntere Zugeständnisse zu haben meinte und durch die Erfahrung belehrt, nur auf solche Verträge Werth legte, die vom Kaiser selbst sanctionirt waren.
Um einen solchen zu erzwingen, verlegten die Engländer den Kriegsschau- platz weiter gegen Norden, also näher an die Hauptstadt Peking.
Am 10. October wurde bei Tschinhac, an der Mündung des Yangtsekiang, von den Landungstruppen eine starke Streitkraft der Chinesen vollständig ge- schlagen, und die Engländer nahmen ihre Winterquartiere in der reichen Handels- stadt Ningpo, wo sie durch ihr musterhaftes Verhalten, das in grellem Gegen- satze zu der Beutelust der chinesischen Söldlinge stand, den friedliebenden Theil der Bevölkerung für sich gewannen.
Im Frühjahre 1842 drangen sie in die Mündung des Yangtsekiang ein, besetzten das reiche Schanghai und eroberten Tshinkianfü, den Schlüssel zum Kaisercanal, auf welchem damals noch Peking sein Getreide aus den Südprovinzen bezog. Doch die Gefahr einer Aushungerung brach noch nicht den Eigendünkel der Herren in Peking. Erst als sie sahen, dass es den Engländern Ernst sei mit der Besetzung Nankings, der südlichen Hauptstadt des Reiches und der Ge- lehrtenstadt Chinas, gaben sie nach, denn sie fürchteten deshalb einen Aufstand des Volkes, das in China sich um Politik nicht kümmerte, weil dafür die Man- darinen da sind, das aber in grossen Unglücksfällen einen Wink des Himmels sah, die Regierung mit Gewalt zu beseitigen, unter der solches sich ereignet. Solche unglückliche Ereignisse können selbst der Dynastie verhängnissvoll werden.
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die Verhandlungen, welche die Chinesen nach der Abberufung des Lin-Tse-Tsin
eingeleitet hatten, wurden von ihnen unverschämt in die Länge gezogen, um da-
durch Zeit zu gewinnen, sich möglichst in Vertheidigungszustand zu setzen. Da
die Engländer in Erfahrung brachten, dass die Chinesen eine friedliche Lösung
überhaupt nicht in Erwägung zögen, gingen sie sofort zum Angriff über. In
wenigen Stunden des 7. Jänner 1841 waren die Vertheidigungswerke an der
Flussmündung zum Schweigen gebracht und die Kriegsdschunken zerstört, so
dass die Provinzialregierung um Waffenstillstand bitten musste, um eine Conven-
tion abzuschliessen, laut welcher versprochen wurde:
1. die Insel Hongkong der englischen Regierung abzutreten;
2. eine Entschädigung von sechs Millionen Dollars für das zerstörte Opium
zu zahlen, und
3. die Eröffnung des Handels binnen zehn Tagen stattfinden zu lassen.
Thatsächlich wurde durch diesen Vertrag nur erreicht, dass die Engländer
sich am 26. Jänner 1841 in den Besitz der Insel Hongkong setzten. Alles andere
blieb auf Befehl der Regierung in Peking unausgeführt, welche nach Canton die
Weisung ergehen liess, die ruchlosen Barbaren vom Angesicht der Erde wegzu-
fegen, und erst infolge erneuerter Angriffe der Engländer konnten die englischen
Kaufleute ihre Factoreien beziehen und den Handel in der früher geübten Weise
durch Vermittlung der Hongs wieder aufnehmen.
Während man in Peking die in Canton abgeschlossenen Verträge missachtete,
weil man es nicht fasste, dass es einer kleinen Truppe Fremder gelingen konnte,
das Reich, von dessen Unüberwindlichkeit man vollkommen überzeugt war, zu
Verträgen zu zwingen, war man auch in England mit dem Abschlusse der Con-
vention unzufrieden, weil man auf Basis der errungenen Erfolge ein Recht auf
ausgedehntere Zugeständnisse zu haben meinte und durch die Erfahrung belehrt,
nur auf solche Verträge Werth legte, die vom Kaiser selbst sanctionirt waren.
Um einen solchen zu erzwingen, verlegten die Engländer den Kriegsschau-
platz weiter gegen Norden, also näher an die Hauptstadt Peking.
Am 10. October wurde bei Tschinhac, an der Mündung des Yangtsekiang,
von den Landungstruppen eine starke Streitkraft der Chinesen vollständig ge-
schlagen, und die Engländer nahmen ihre Winterquartiere in der reichen Handels-
stadt Ningpo, wo sie durch ihr musterhaftes Verhalten, das in grellem Gegen-
satze zu der Beutelust der chinesischen Söldlinge stand, den friedliebenden Theil
der Bevölkerung für sich gewannen.
Im Frühjahre 1842 drangen sie in die Mündung des Yangtsekiang ein,
besetzten das reiche Schanghai und eroberten Tshinkianfü, den Schlüssel zum
Kaisercanal, auf welchem damals noch Peking sein Getreide aus den Südprovinzen
bezog. Doch die Gefahr einer Aushungerung brach noch nicht den Eigendünkel
der Herren in Peking. Erst als sie sahen, dass es den Engländern Ernst sei mit
der Besetzung Nankings, der südlichen Hauptstadt des Reiches und der Ge-
lehrtenstadt Chinas, gaben sie nach, denn sie fürchteten deshalb einen Aufstand
des Volkes, das in China sich um Politik nicht kümmerte, weil dafür die Man-
darinen da sind, das aber in grossen Unglücksfällen einen Wink des Himmels
sah, die Regierung mit Gewalt zu beseitigen, unter der solches sich ereignet.
Solche unglückliche Ereignisse können selbst der Dynastie verhängnissvoll werden.
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/404>, abgerufen am 22.11.2024.
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